
Träume sind Schäume?!
Hanna Peter (75)
Träume sind Schäume, sagt man. Das kann ich so nicht bestätigen. Meine Erfahrung dazu ist eine andere. Wenn ich meinen Freunden erzähle, dass ich wieder geträumt habe, erhalte ich so ein ironisches Lächeln. «Also ich träume nie», ist die Reaktion. Ich glaube, das stimmt so nicht. Wir träumen alle und wir brauchen diese Träume. Nur sind diese oft sehr schnell wieder weg.
Im Frühling 2020 erhielt ich wieder einmal die Aufforderung vom Strassenverkehrsamt, den Fahrausweis abzugeben oder eben den üblichen Besuch beim Arzt zu machen. Ja, gebe ich den Ausweis ab oder nicht? Gebe ich wieder etwas Nützliches weg? Ein langes Ringen mit mir selber. Ich bat um einen Traum. «Ich bin mit einem Kastenwagen unterwegs. Diese Fahrt wurde zum Alptraum. Überall Hindernisse, Baustellen, und zwar in grossem Ausmass. Tiefe Abgründe, schwieriges Rückwärtsfahren usw.» Am Morgen war für mich der Entscheid, den Ausweis zurückzuschicken, völlig klar.
Wir träumen alle und wir brauchen diese Träume.
Hanna Peter
Während des Corona-Lockdowns träumte ich fast jede Nacht von Menschenansammlungen, mir bekannten wie auch unbekannten Menschen. Meine Interpretation ist: Ich lebte mein soziales Leben, auf das ich verzichten musste, nachts im Traum.
Ich durchlebte gerade eine Krise und gönnte mir endlich meinen langersehnten Wunsch, einen Gleitschirm-Tandemflug. Wunderbares Wetter, ein guter Guide. Es war prächtig. Mein Traum in der folgenden Nacht: «Ich stehe auf meinem Balkon. Rundum ereignen sich merkwürdige Dinge. Plötzlich öffnet sich im unteren Stock die Store meiner Nachbarin (schwer krank, real), sie klappt sich erst in die Waagrechte und am Schluss noch ganz nach oben. Dann trat die Frau, in ein wunderbares Licht gehüllt, hinaus. Ich rief ihr zu: «Ja, geh! Geh in die Freiheit! Die Freiheit wartet auf dich.» Mir wurde wieder klar; es geht um meine Freiheit!
Bei einem Psychologen erlebe ich gelegentlich das katathyme Bilderleben. Ich führe eine begleitete Kommunikation mit meinem Unterbewussten. Mit einem Satz des Begleiters trifte ich ab in meine Welten. Das ist eine sehr tiefe Erfahrung, denn es zeigen sich vor allem Bilder, die zu mir gehören und die mir etwas bedeuten. Danach werden diese Bilder mit dem Begleiter besprochen und angeschaut. Manchmal ist es schmerzhaft, manchmal schaut man sehr gerne hin. So vergehen einige Sitzungen und für mich war das letzte Bild eine Belohnung für meine manchmal oft schwierigen Sitzungen.
Mein letztes Bild aus einemTraum: Ich gehe in einem engen Tal. Der Hang rechts ist steinig und wild. Der Hang links grün, mit Blumen übersät, ja lieblich. Weit vorne, am Ende des Tales, sehe ich eine kleine Alphütte. Auf der Bank vor dieser Alphütte sitzt eine alte Frau. Sie sieht zufrieden, entspannt und in sich gekehrt aus. Ich freue mich sehr, ihr zu begegnen. Ich sehe mein Lebensziel. Der Weg führt durch das steinige und holprige Tal wie auch über blumige und satte Wiesen. Die Belohnung erwartet mich am Ende des Tales. Die Frau auf dem Bänkli strahlt Ruhe, Gelassenheit, Friede, Liebe aus. Sie ruht in sich.
Vorgeträumtes Leben
Géraldine Maier (21)
Immer und immer wieder wiederholten sich kleine und grössere Filme in meinem Kopf, die mich auf fremden, weitentfernten Strassen zeigten, nur mit dem nötigsten Hab und Gut. In diesem Kopfkino folgte ich meiner eigenen Person durch mir unbekannte Länder, sah, wie ich mit den unterschiedlichsten Persönlichkeiten in Kontakt kam, Freundschaften schloss und von einem tollen Erlebnis zum nächsten zog. Ich kann diese nächtlichen Bilderabfolgen nicht mehr eins zu eins nacherzählen und ich weiss nicht mehr genau, was ich in der Nacht erlebte und was am Tag, wenn ich einfach in Gedanken abschweifte. Doch ich erinnere mich noch sehr gut an die starke Sehnsucht nach der grossen, weiten Welt, die durch diese gedanklichen Szenarien entstand.
Jetzt blicke ich auf eine neunzehnmonatige Reise durch das westliche und südliche Afrika zurück und kann Parallelen zwischen meinen Träumen und der Wirklichkeit feststellen.
Géraldine Maier
Durch die Lektüre von «Geniales Gedächtnis» und «Die Kunst des mentalen Trainings» wurde ich auf die unscheinbare Kraft unserer Gedanken aufmerksam. Auf einmal stellten sich mir die Fragen: Habe ich schon einige Jahre vor dem Verlassen der Schweiz mir unbewusst einen Weg zurechtgelegt? Wurden meine scheinbar sporadischen, spontanen Handlungen und Begegnungen durch meine lebendigen Visionen gesteuert? Beantworten kann ich diese Fragen nicht mit Gewissheit, aber was hinter unserer mentalen Kraft steckt, fasziniert mich.
Träume verstehen lernen
Werner Kaiser (82)
NeurowissenschaftlerInnen sagen gerne, Träume seien zufälliges Produkt der Neuronen. Von ihrem Standpunkt aus haben sie sogar recht. Elektronische Geräte finden keinen Sinn in den Vorgängen des Gehirns. Sinn findet im Bewusstsein statt. Hier aber erlebte ich in meiner Arbeit als Psychotherapeut eine Fülle von Sinnzusammenhängen und hilfreichen Intuitionen.
Träume spiegeln, was in uns vorgeht. Träume verknüpfen aktuelles Erleben mit Situationen aus der Kindheit. Träume laden uns emotional auf für den folgenden Tag. Träume bringen tiefe Ahnungen an die Oberfläche. Träume lassen uralte Symbole der Menschheit wieder aufleben. Träume sind eine fantastische Vielfalt von Geschichten, Bildern und Bedeutungen.
Wenn wir unseren Träumen auf die Spur kommen wollen, müssen wir vorerst lernen, uns an sie zu erinnern. Am besten legen wir am Abend Schreibzeug bereit und nehmen uns fest vor, beim Erwachen den Traum aufzuschreiben. Sobald wir erwachen, noch bevor wir uns bewegen, fangen wir den Traum ein. Dann erst machen wir uns ans Schreiben. Mit etwas Übung behalten wir immer mehr von den Details und dem Gehalt der Träume.
Träume spiegeln, was in uns vorgeht
Werner Kaiser
Um den Sinn des Traumes zu verstehen, gibt es viele Wege. Am besten versuchen wir, ihn nochmals zu erleben, mit Bild, Wort und Emotion. Dabei schauen wir, was in uns auftaucht. Was würde ich dem Traum für einen Titel geben? Welches war das zentrale Gefühl? Und kenne ich das auch im Wachzustand? So beginnen wir, Zusammenhänge mit unserm Alltag zu erkennen.
Eine gute meditative Verarbeitung der Träume ist, sie zu malen. Wenn wir das regelmässig tun, werden in den Träumen Entwicklungen sichtbar. Über Wochen und Monate spiegeln sie, was in unserer Seele vor sich geht. In einer meiner Lebenskrise träumte ich regelmässig von sterbenden und toten Säuglingen. Als dann wieder quicklebendige Kinder auftauchten, wusste ich, dass die Krise ihrem Ausgang entgegenging.
Der Sinn eines Traums zeigt sich oft gut, wenn wir den Traum nochmals durcherleben und ihm dabei einen neuen, besseren Ausgang geben. Vor allem Kinder reagieren erstaunlich gut, wenn sie angeleitet werden, dem Monster eines Angsttraums mutig zu begegnen, mit ihm zu sprechen, es zu füttern. Die Opferhaltung weicht so einer mutigen Konfrontation. Der Traum kann auch gespielt werden. Wer von der Bedrohung durch einen Menschen träumt, kann die Person virtuell auf einen Stuhl setzen und sie im Traum ansprechen. Die Antwort gibt man dann auf einem zweiten Stuhl, und so entsteht ein Dialog, der oft klärt, was im Traum gemeint ist. Wer fantasiebegabt ist, kann so Erstaunliches erleben.