Mein Name ist Chayenne. Ich stamme aus dem Hause Diethelm und bin ein belgischer Schäferhund. Feminin und kleiner als meine deutschen Cousins, aber nicht weniger schlau, wachsen mir langsam graue Haare. Bald feiere ich meinen neunten Geburtstag, was für einen Hund meiner Art schon ein recht stolzes Alter bedeutet. Seit meiner Geburt werde ich dazu trainiert, ein ausgezeichneter Such- und Rettungshund zu werden, und ich wage zu behaupten, dass es gelungen ist. Das Beste am Trainieren ist, dass es Spass macht – sogar sehr viel Spass. Das Motto heisst: «schneller – höher – stärker», oder jedenfalls so ähnlich. Ganz alles verstehe ich von der Sprache der Zweibeiner nicht, aber dafür so manches Wort auf Französisch: «Coucher! Platz! Non! Nein! Assis! Sitz!»
Hündchen und Herrchen
Ich habe ein Herrchen gefunden – für mich mein Ein und Alles. Gabriel sorgt sich nicht nur rührend um mich, er trainiert mich auch regelmässig und versucht mir – leider häufig vergebens – sogenannte gute Manieren beizubringen. Er ist mein Schutzengel, und ich bin sein Schutzhund. Wie wir uns kennengelernt haben? Ich verrate es euch: Ich habe ihn mir ausgesucht, weil er mir mit seiner ruhigen Art so gut gefiel. Ich bin nämlich ein ziemlich nervöser Hund, und so passen wir sehr gut zusammen.

Das kam so: Gabriel meldete sich im Militär als Hundeführer an, respektive er bewarb sich, ein Hundeführer zu werden. Das ist nämlich hier in der Schweiz gar nicht so einfach. Das Militär hat hohe Erwartungen und strenge Voraussetzungen, die die jungen Anwärter:innen erfüllen müssen, um überhaupt für dieses Amt in Frage zu kommen. So rücken also die jungen Rekrut:innen ein, trainieren mit mehreren Hunden und werden peinlichst genau während Wochen beobachtet. Wer kommt überhaupt für diesen anspruchsvollen Job in Frage? Wer passt zu wem? Welcher Zweibeiner zu welchem Vierbeiner? Nein, nicht die Anwärter:innen suchen aus, sondern wir Hunde zeigen, wer zu uns passt – und die Chefs vom Militär haben, so habe ich gehört, auch noch ein kleines Wörtchen mitzureden.
Wenn also so ein junger Mensch, beispielsweise mein Gabriel, der zuvor noch nie etwas mit Hunden zu tun hatte, sich über mehrere Wochen von seiner besten Seite gezeigt hat, dann wird er eventuell ausgesucht. Anschliessend darf er dann seinen Hund für einen beachtlichen Betrag kaufen und muss dazu noch eine Reihe von Zusatzverpflichtungen als Hundeführer:in unterschreiben. So ein bisschen wie ein Ehevertrag stelle ich mir das vor, mit dem kleinen Unterschied, dass nur einer – und das ist das Herrchen oder das Frauchen – unterschreiben muss. Wir Hunde wiederum versuchen – als Gegenleistung – brav zu sein und manchmal auch zu folgen.
Redog
Viele Hunde und auch Zweibeiner wissen, was eine Hundeschule ist. Eine Schulung bei Redog für Such- und Rettungshunde ist aber noch ein anderes Paar Schuhe: Man erhält dort eine umfassende Ausbildung, die jahrelang dauert und lebenslang weitergeführt wird. So wurde ich beispielsweise während der ersten vier Jahre von Gabriel trainiert und auf Prüfungen vorbereitet. Manchmal haben wir sie verpatzt, aber sauer war mein Herrchen nie, obwohl er jedes Mal den Test berappen musste. Fast jedes Wochenende ging Gabriel mit mir zum Trainieren an extra geeignete Orte im In- und Ausland, wo es viel Platz und wenig Häuser und Autos gab.
«Das Beste am Trainieren ist, dass es Spass macht – sogar sehr viel Spass. Das Motto heisst: «schneller – höher – stärker», oder jedenfalls so ähnlich.»
Chayenne, Such- und Rettungshündin
Mit diesem intensiven Training wurde ich von Jahr zu Jahr nicht nur schneller, geschickter und kräftiger, sondern eignete mir auch viele weitere Fähigkeiten an. Das Zentralste war, das Suchen und Finden zu lernen – nicht etwa von feinen Würstchen, sondern von Menschenkörpern. Man nennt dies «Nasenarbeit». Dafür haben sich die Redog-Trainer:innen irgendwo versteckt, sind in den Schlamm oder in eine kleine Höhle gelegen, und ich, wie alle anderen Hunde, wurde losgeschickt, sie ausfindig zu machen – natürlich ohne mich ablenken zu lassen.

So richtig spannend, aber auch beängstigend, wurde es für mich, als es in die Höhe ging: Ich musste nämlich fliegen lernen, damit ich bei einem Einsatz im Ausland im Flugzeug oder Helikopter keine Panik bekomme. Eines Morgens packten sie mich in einen Helikopter, dann wurde ich in ein «Gestältli» gesteckt, und wenige Stunden später hing ich bereits in beachtlicher Höhe an einem Seil, um das Fliegen und das Landen aus der Luft zu üben. Es klappte irgendwann. Aber ehrlich gesagt ist mir schon viel wohler mit richtigem Boden unter meinen Pfoten.
Warten auf den Einsatz
Wie ihr euch vorstellen könnt, gibt es in der Schweiz recht viele gut ausgebildete Suchhunde – jedenfalls deutlich mehr, als schlussendlich für einen Auslandeinsatz gebraucht werden. Mit meinem Herrchen sass ich daher schon wiederholt in den Startlöchern und wartete. Das letzte Mal war dies im Februar 2023, bei diesem schrecklichen Erdbeben in der Südtürkei. Wir warteten tagelang auf ein Aufgebot, alles einsatzbereit gepackt. Redog schickte schliesslich 14 Hunde und 24 Helfer:innen ins Katastrophengebiet. Wir waren nicht dabei, packten wieder aus und blieben zu Hause.
Mein Herrchen blieb cool wie immer, aber ich war schon ein bisschen enttäuscht: Gerne hätte ich mitgeholfen, von Trümmern verschüttete Menschen zu suchen und zu finden. Hab ich mich doch mein Leben lang darauf vorbereitet, Leben zu retten. Später kam mir dann allerdings zu Ohren, dass es im Einsatzgebiet nicht nur für die Helfer:innen physisch und psychisch sehr belastend war, sondern auch sehr happig für uns Hunde: Die Schweizer Equipen waren Tag und Nacht bei bissiger Kälte und wenig Essen im Einsatz. Zusätzlich erlitten viele Suchhunde Verletzungen und Schnittwunden durch Trümmer und Scherben an Beinen und Pfoten.
Geduld lernen
Auch in der Schweiz gibt es Einsätze für Such- und Rettungshunde, denn auch hier gehen Menschen verloren. Dies kann beispielsweise bei Menschen mit Demenz geschehen, die orientierungslos weglaufen, oder bei Lawinenopfern. Die Hunde, die dazu in den Einsatz kommen, haben aber eine andere Ausbildung als ich absolviert. Ich bin auf Erdbeben und die Suche in Trümmern spezialisiert. Daher habe ich auch das lange Warten gelernt, was nicht unpraktisch ist, wenn man mit Zweibeinern zu tun hat. Die verschwinden ja ständig irgendwo in Autos, Häusern, Büros oder Läden – und dann muss man sich in Geduld üben.
Bald muss ich mich auf die Pensionierung vorbereiten. Bis es aber soweit ist, trainieren wir fleissig weiter und halten uns bereit, falls wir gerufen werden. Euch allen wünsche ich allerdings, dass ihr nie auf uns angewiesen sein werdet, und beschliesse damit meine Selbstvorstellung mit einem herzlichen «wau-wau»!