Heinz Gfeller (71)
Was bedeutet es, «Entscheidungsträger» zu sein; was erlebt man in dieser Rolle alles? Wer je an einer Schule gearbeitet hat, wird das Gefühl kennen: Über mir sitzt jemand Mächtiges. In einem Gymnasium der Rektor, die Rektorin. Hans-Ueli Ruchti hatte diesen Posten in Thun zwanzig Jahre lang inne.

Wie wird jemand RektorIn? Das muss keineswegs über eine LehrerInnen-Karriere laufen, zeigt Hans-Ueli Ruchti (63) auf: Seine Jugendträume vom Piloten oder Bergführer liessen sich zwar nicht realisieren; dafür lernte er Elektronik-Mechaniker, arbeitete im Produkte-Management; holte dann die Matur nach und begann zu studieren, mit Schwerpunkt Volkswirtschaft. Um zu verdienen, unterrichtete er zugleich – und blieb in der Schule hängen. Um Rektor zu werden? Auch das strebte er nicht von vornherein an; doch wie die Möglichkeit sich bot, reizte sie ihn. Von 2000 bis 2020 war er Rektor des Gymnasiums Schadau (später Thun). Eigentlich meinte er, sieben Jahre dabei zu bleiben…
Grosse Aufgaben
Mit welcher Motivation? «Ich kann nicht so gut schweigen», sagt Hans-Ueli Ruchti; er will seine Meinung einbringen. Er versprach sich, gewisse Ideale zu realisieren – was dann nicht immer gelang, «zum Glück nicht». Sein Schlüsselwort mag sein: der Gestaltungswille – verbunden mit Verantwortung. Die Vielfalt der Aufgaben zog ihn an: RektorInnen sind zuständig für oder befassen sich mit Gebäuden und Reinigung, mit Unterrichtskonzepten, Personal, Buchhaltung und Sekretariat, lassen sich zu Gesetzen vernehmen.
Zu den erfolgreichen Neuerungen seiner Amtszeit zählen die zweisprachigen Maturen, erweiterte Wahlmöglichkeiten für SchülerInnen, neue Unterrichtsformen, die umfassende Digitalisierung; dazu Neubauten und die komplizierte Fusion der beiden Gymnasien Schadau und Seefeld. In diesem Zusammenhang stellte sich die Frage, ob eine einzelne Person an der Spitze stehen sollte und könne. Hans-Ueli Ruchti findet: In normalen Situationen geht auch ein Duo; in angespannten aber ist eine Einzelperson besser. Entschieden habe er jedoch selten einsam – sondern meist im Kollektiv in der Schulleitung oder im Kollegium. In der siebenköpfigen Leitung verantworten alle ihre Ressorts.
«Nicht überall sind Mehrheitsentscheide, besonders basisdemokratische, sinnvoll.»
Hans-Ueli Ruchti, ehemaliger Gymnasialrektor
Ein Beispiel: die Verteilung der LehrerInnen-Pensen. Da hörte er die KollegInnen an, fällte jedoch die endgültigen Entscheide. Auch während der emotional geladenen Fusion lief einiges so ab.

Es komme auf das Menschenbild an, das die leitende Person vertrete. Er vertraue seinerseits auf Menschen mit – eben – Gestaltungswillen; wenn die sich wohl fühlten, Gestaltungsfreiheit bekämen, leisteten sie optimale Beiträge und das Arbeitsklima sei gut. Ganz gemäss dem Leitsatz: Der arbeitende Mensch steht im Mittelpunkt.
Ruchti kennt unterschiedliche Typen von RektorInnen. Auch solche, die gerne direktiver führen als er, die das aus einem persönlichen Ideal heraus von sich verlangen – und manchmal darunter leiden –, die jedenfalls gewärtigen, dass Untergebene ihnen für vieles die Schuld zuschieben.
Das Wesentliche
Wie ist’s mit dem Gefühl von Macht? Wenn man diese von «machen» herleitet, ergibt sie für Ruchti Sinn. (Der Herkunfts-Duden führt das Wort allerdings auf (ver)mögen» zurück.) Es könne ja attraktiv wirken, «mit der Macht zu kokettieren»; es sei schön, wenn der persönliche Gestaltungswille sich durchzusetzen vermöge. Aber auf der andern Seite steht immer die Verantwortung, und das Zusammenleben muss unbedingt gelingen.
Eine besonders wichtige, schwierige Entscheidung? Das Gymnasium Schadau platzte aus den Nähten; Neubauten wurden dringend nötig. Doch da erwiesen sich die Behörden als schwerfällig: Regierungs- und Grossrat, Direktionen und Ämter, auch lokale Behörden, ein Architekturbüro, alle hatten mitzureden, es ging nicht vorwärts. Ruchti fragte sich:
«Wann haue ich auf die Pauke, setze ich etwas durch?»
Hans-Ueli Ruchti, ehemaliger Gymnasialrektor
Er wandte sich an die Zeitungen und die Eltern der SchülerInnen; er drohte, Schicht- oder Samstags-Unterricht einzuführen – innert einer Woche erschienen 30 Artikel zum Problem, innert einem halben Jahr stand wenigstens ein Pavillon da. Macht? «Im Sandwich bist du immer», zieht Ruchti Bilanz.

Drei Grundsätze noch, die ihm wichtig sind. So die Frage der «Regelungsdichte»: «Wir tendieren dazu, zu viel zu regeln.» Es habe sich bewährt, die Frage nach der Notwendigkeit und den Wirkungen zu stellen, um dann auf die eine oder andere Regelung zu verzichten. Regeln sollten nicht den Anspruch haben, die einzig richtige Lösung zu sein. Vielmehr sollte man sie als die aktuell geltenden, gemeinsam vereinbarten «Spielregeln» sehen, die immer wieder überprüft werden können. Sinnvoll müssen sie sein – und «die Betroffenen möglichst davon überzeugt». Wer Menschen dazu bringen will, Entscheide umzusetzen, kann sie vor oder nach dem Entscheid davon überzeugen. Ruchti plädiert für: vorher.
Entscheidungsträger! Hat Hans-Ueli Ruchti schwer daran getragen? Als er sein Amt antrat, spürte er die Anforderungen heftig. «Allen gute Bedingungen schaffen, auch dem Abwart…» Die Last blieb, doch gewöhnte er sich daran, nahm sie nicht mehr wahr. Beim Weggang 2020 empfand er allerdings eine grosse Entlastung.
Erfahrungen von Entscheidungsträgern
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