«Was, du weisst nicht, wer godi ist?», wundert sich Elias. Wir sind am Vorbereiten der Präsentation an der Hauptversammlung 2025 und schreiben die Zahlen «93» und «8» auf die Folie: Alter des ältesten und des jüngsten Mitglieds bei UND Generationentandem.

godi Brunner, seit Kurzem 94 Jahre alt, bereitet jeden Mittwochnachmittag den Pizzateig für den Pizzaabend im Offenen Höchhus zu. Ich treffe ihn zwei Stunden vor seinem Pizzateig-Einsatz, höre zu, schreibe mit, vergesse zu notieren, frage nach, staune und weiss danach: godi schreibt sich zwar prinzipiell klein, ist aber ganz gross!
Erzählt man jemandem von godi, heisst es gleich: Ja, godi war ein Verdingkind. Diese ersten 20 Jahre – godi hat sie hier selbst festgehalten – sind wichtig und wohl entscheidend, doch bleiben noch mehr als weitere 70 Jahre.
Immer voller Einsatz
Bis zum Ellenbogen wird gebürstet mit Wasser und Seife wie es alle freiwillig Engagierten in der obligatorischen Hygieneeinführung gelernt haben. «Da bin i druff» meint godi ernsthaft, denn er mache ja Lebensmittel für Menschen, die er nicht kenne.

Er habe sein Leben lang gearbeitet und das nicht wenig, lässt godi so nebenbei fallen.
Seine Geschichte begann 1931 in Altstätten. Auf vielen, auch vielen unschönen Umwegen kam er im Berner Oberland an. Einige Schuljahre, ohne spezielle Ermutigung durch Lehrer:innen. Er wollte weiterkommen, wäre gerne Schmid oder Schreiner geworden und ging dann schliesslich in die Lehre bei einem Kleinschreiner. Kleinschreiner?

Für Kleinschreiner sei alles möglich, vom Schächteli bis zum Kleinmöbel, auch Griffeltruckli, meint godi, winkt aber gleich ab: «Dann sind die Tiroler gekommen, haben alles nachgemacht wie die Chinesen heute.»
Genaues Arbeiten liegt godi: Er wägt präzise ab, vermischt Hefe mit Wasser, rührt sorgfältig um und fügt dann das Mehl bei: «Es wird haargenau gewogen», betont godi. «Nicht bloss nach Gefühl», doppelt er nach. Die Mengenangaben entnimmt er einer vorbereiteten Tabelle in der Küche des Offenen Höchhus.

30 Lehr- und Wanderjahre
godi gibt die Masse in die Rührmaschine. Während der Knethaken dreht, zählt er seine nächsten Stationen auf: Portier in Gunten, Hilfsmineur auf der Jungfrau. Hier stimmten Essen, Lohn und Schlafen. Da oben konnte man erstens nichts ausgeben und zweitens Abenteuer erleben: Ganz ohne Ausrüstung sei er auf die Jungfrau hochgeklettert, mehrmals!
An freien Wochenenden dann doch Ausflüge in den Berner Kursaal. Hier lernte er seine erste Frau kennen und blieb in Bern. Arbeiten auf dem Bau, Schneeschaufeln, Hilfsarbeiter, Stelle bei Chocolat Tobler, auch mal arbeitslos. Dann die Chauffeurstelle in einer Malerei, schliesslich Verantwortung für ein ganzes Malerteam, ohne eigene Ausbildung oder Führungserfahrung. Der Vorgesetzte bestimmte einfach: «Dr Brunner macht’s» und entlöhnte ihn entsprechend schäbig. godi aber machte die Malerprüfung und fing dann 1966 selbständig an mit einem eigenen Malergeschäft.
Etwa 20 Min. müsse der Teig geknetet werden. Das Mehl sei eben nicht immer gleich trocken, aber er sehe es dem Teig an, ob er gut ist.
Renate
godi war mittlerweile wieder ohne Familie. Nach zwei Jahren Single, wie godi sagt, machte er ein Inserat, «für Heim, Telefon und Büro». Und es kam Renate. Sie schaute gut zu Heim, Telefon und Büro, vor allem aber zu godi.
1978 han i d Renate dörfe kenne lehre
si macht mer z Büro u gryft mer under d Arme
uf die Art han i mi besser chönne chere
u derzue het mis Härz o chönne erwarme
[…]
Gantrisch, godi 2020
Renate lebte früher im Tessin und verspürte Sehnsucht nach Wärme. godi ging mit. Es begann ein weiteres Abenteuer: Die beiden fanden in Vaglio Objekte mit grossem Umschwung, die sie nach ihrem Gusto ausbauten. Viel Arbeit, viel Herzblut, viel sichtbarer Erfolg.

Daneben war godi Hauswart in Vico Morcote für 82 Wohnungen mit drei Heizungen, samt einem Schwimmbad und mit über 1000 beschwerlichen Treppenstufen, anspruchsvolle Vorgesetzte inklusive. «Hör auf, du wirst krank» warnte Renate. Sie verkauften und kehrten zurück in den Norden.
Zurück im Norden
In Utzigen fand godi eine Stelle im Pflegeheim. Herzbeschwerden machten zwei Bypässe nötig. «10 Jahre sollte das halten», meinte der Arzt bei der Entlassung. Da war godi gerade mal knappe 63 Jahre alt. Einige Jahre später ging er in Pension.
Verdingzeit
«Da heiraten sie, haben Familie, Arbeit; kaum kommen sie in die Pension, dann kommt alles hoch.» Sie, die Verdingkinder. Auch bei godi. Er begann zu schreiben, berndeutsch, grad so wie es mitten aus seinem Herzen kam. Er schrieb wie besessen, fügte Bilder ein, layoutete, druckte aus, band ein: Voilà!

«ruhen» à la mode de godi und Renate
Ruhen, ein Wort, das seltsam anmutet, wenn godi es ausspricht. Renate und er jedenfalls ruhen nicht. Seit 30 Jahren arbeiten sie zu allem hin noch freiwillig: Sie betreuten Häuser während Ferienabwesenheiten im In- und Ausland, halfen aus, wo Not an Menschen war, in Heimen, bei den Thuner Seespielen, bei Sportvereinen, sorgten für Zusammenhalt im Quartier.
Jetzt sei er gut, der Teig, meint godi. Er «mödelet» die Masse noch etwas, bevor sie in den Schüsseln im Kühlraum bei 0 Grad ruhen bis am Freitagabend.

2018 der nächste Coup: Renate und godi entdeckten in Bern das Foodwaste-Bankett und wollten sowas auch in Thun realisieren. Sie wurden Mit-Initianten von Thun isst Thun und retteten in der Folge Lebensmittel. Für UND Generationentandem schneidet Renate Drucksachen zu, godi «flyert» und klebt Plakate; er müsse in Bewegung bleiben. Letzte Woche schrieb er mir: «Es fehlen noch zwei Standorte, die ich aus Zeitgründen nicht machen konnte. Dann ist Schluss bis Montag.»

Es kommt auf alle an
Ins Offene Höchhus sei er einfach so «reingerutscht». 2024 verarbeitete er 160 Kilogramm Mehl. Probiert habe er sie schon, die Pizza, aber möglichst früh am Abend müsse es sein. Renate und er essen nicht gerne spät, damit es nicht schwer aufliegt. Die Pizza sei fein, aber nicht wegen ihm: «Es kommt auf alle an, damit es gelingt.»

Wofür würdest du mitten in der Nacht aufstehen?
Wenn es Renate nicht gut geht.
Welche wichtige Person/Persönlichkeit möchtest du einmal treffen?
Für mich zählt in erster Linie nur Renate. Und nochmals Renate. Basta.
Was gefällt dir an UND?
Die Leute, die ich hier treffe. Die Akzeptanz.
Was bringt dich auf die Palme?
Ein Familienereignis, das mich heute noch beschäftigt.
Vielen Dank für dieses wunderbare Porträt!
Unglaublich – so viel Leben, so viel Arbeit und so viel Pizzateig! Lieber Godi, liebe Heidi, DANKE!