Sebastian Küchler (31) aus Thun hat Tourismus-Management studiert und berät heute Hotels. Und er ist Schiedsrichter! Schon immer nimmt Sport in seinem Leben einen wichtigen Platz ein: Mountainbike, Beachvolley, Badminton – und Fussball, allerdings nicht mehr im Meisterschaftsbetrieb. Eigene Wettkämpfe sind ihm verwehrt, seit er als Schiedsrichter ein höheres Niveau in der Promotion League erklommen hat.dfg

Wer sich als Spielleiter einsetzen will, muss sich durch die Ligen hochdienen. Er startet bei den C-Junioren (13- bis 14-jährig); er wird bei seinen Auftritten von «Coaches» inspiziert und, wenn’s gut läuft, für die nächsthöhere Stufe vorgeschlagen. Er wird also beurteilt – kein messbares, objektives Urteil, wie Sebastian Küchler schmerzlich erfahren musste. Auch wenn die Kriterien grundsätzlich bekannt sind, hat jede Auswahl durch die «Jury» auch subjektive Aspekte. Er hat es bis zur Promotion League (der dritthöchsten) geschafft, wurde dann aber trotz vieler guter Einsätze in der Challenge League nicht weiter promoviert.

Sebastian Küchler hat sich seit Jahren mit viel Überzeugung und Herzblut für den Fussball engagiert und die Absage macht ihm noch immer zu schaffen! Auch Schiedsrichter haben «ein sportliches Ziel» – er wollte aufsteigen, bis auf die europäische Bühne, wer weiss?
Die innere Motivation
Was drängt einen dazu, Schiedsrichter zu werden? Solche braucht es ja unbedingt; Teams sind verpflichtet, welche zu stellen. Aber wer nur die Pflicht erfüllen möchte, wird das nicht lange durchhalten, weiss
Sebastian Küchler. Neben dem Ehrgeiz sieht er indessen gute Argumente, die ihn motivieren. Er habe einen «Erfahrungsrucksack» erworben. Mit 19 Jahren schon sah er sich mit deutlich Älteren konfrontiert und lernte, seine Autorität aufzubauen. Dabei half ihm, dass er im Militär Offizier wurde.
Die Entscheidungslast im Spiel ist hoch!
Wie steht’s nun um die Entscheidungsgewalt eines «Unparteiischen»? Anfangs, erzählt er, sei ihm bewusst geworden: «In jeder Szene musst du aktiv entscheiden», und zwar schnell. Die Spieler schauen auf dich, erwarten einen Entscheid. Nicht entscheiden gibt’s nicht: Wenn du nicht pfeifst, hast du eben auch entschieden, zum Beispiel einen Penalty nicht zu geben.
«Dieser Entscheidungsdruck lastet zu Beginn der Karriere schwer.
Sebastian Küchler (31)
Je mehr du ihm aber ausgesetzt bist, umso besser lernst du damit umzugehen.»
Urteile, die er gefällt hat, belasten ihn normalerweise nicht. Schwierig wird es, wenn er sich nachträglich eingestehen muss, falsch geurteilt zu haben, und dies den Spielausgang beeinflusst hat. Spieler reklamieren ja immer; als Schiri entwickelst du jedoch das Gefühl dafür, ob sie es zu Recht tun. Du musst deine Autorität durchsetzen; aber es gibt auch «Platz für Menschlichkeit». Merkst du, dass du etwas übersehen hast – etwa beim Offside –, kannst du dich mal entschuldigen, den Entscheid korrigieren. Dabei gewinnst du gar an Autorität. Freilich, einen Penalty-Pfiff nimmt keiner zurück.
Die Einsamkeit des Schiedsrichters
Spielleiter stützen sich auf Regeln. Sind die leicht zu handhaben? Die meisten sind eindeutig; doch es gibt auch die mit Interpretations-Spielraum, wie zum Beispiel das «Handspiel» – ein Dauerbrenner in den obligatorischen Schulungen. Für die oberen Ligen werden die Schiedsrichter gut vorbereitet. Bei den Amateuren bleibt viel mehr offen, du bist dir selbst überlassen. Bis zur 3. Liga hinauf agieren Schiedsrichter allein, müssen allein «ihren Entscheid verkaufen». Weiter oben sind sie zum Glück im Trio, das sich verständigen kann, oft non-verbal, mit Zeichen, bevor der Entscheid fällt. Läuft es übrigens mal schief, hast du mehr Mühe, das zu verarbeiten, wenn du allein bist.
Ein ideales Spiel benötigt keinen Schiedsrichter. Hauptziel
Sebastian Küchler (31)
der Unparteiischen ist es, die Spieler zu schützen.
Es soll keine Verletzungen geben, «keine Sicherungen sollen durchbrennen». Ein Schiedsrichter arbeitet präventiv, beruhigend, während die Emotionen hoch gehen. Er soll selber keine solchen zeigen; er muss die Persönlichkeiten der Spieler erspüren und entsprechend gelassen mit ihnen kommunizieren. Psychologie spielt in den Schulungen stets eine Rolle.
«Die Spieler sind ein Spiegelbild für den Schiedsrichter»
Dieser erwartet Respekt von ihnen, doch umgekehrt gilt’s ebenso. Sein Auftreten soll den Respekt gleich fühlbar machen; dann wird dieser von 95 Prozent der Spieler erwidert. Denkt der Schiri hingegen an seine Macht, wird auch das spürbar – und führt sicher zu Schwierigkeiten.
Einzelne «Schwierige» gibt’s immer. Hat Sebastian Küchler negative Erfahrungen gemacht? Handgreiflich ist gegen ihn noch niemand geworden. Bis in seine Kabine verfolgt haben ihn einige erzürnte Verlierer einmal. Sein eindrücklichstes Erlebnis: bei einem Junioren-Match, den er eben allein zu pfeifen hatte. Kurz vor Schluss fiel ein Ausgleich, danach ein grobes Foul, er sollte die rote Karte zücken, doch schon gingen die Teams aufeinander los, und deren Fans stürmten aufs Feld, beteiligten sich. Er zog sich zurück, ihn betraf es gar nicht.

Nun, je höher die Liga, desto professioneller geht es zu – nimmt auch Sebastian Küchler an. Was hält er denn von der internationalen Szene, der am Fernsehen? Natürlich schaue er diese Spiele aus «déformation professionnelle» auf seine Art an, hinterfrage alle Schiri-Entscheide – reagiere daneben allerdings emotional wie alle.
Fussballdramen – die Manipulationsversuche der Spieler
Sebastian Küchler stört sich an den «Shows» mancher Spieler, die mit dramatischen Simulationen den Spielleiter zu manipulieren versuchen. Da doch dessen Anliegen ist, Spieler zu schützen, denkt er sofort, er müsse helfen. Das wird missbraucht – dies wiederum sollte geahndet werden. Der Schiedsrichter verhält sich nach Weisungen, die er vom Schiedsrichter-Komitee erhält; nicht er bestimmt den «Tarif». Er sollte mehr Spielraum bekommen, härter vorgehen dürfen. Die Video-Aufnahmen müssten ihn darin unterstützen. Häufig erkennt man nämlich, wie wenig Respekt die Spieler ihm erweisen.
Positiv dagegen: Der holländische Schiedsrichter B. Kuiper lässt sich filmen und schaut sich bereits in der Matchpause kritische Szenen an, damit er’s danach noch besser meistert. Das findet Sebastian Küchler vorbildlich und hoch professionell.
Nice!