

Die Vielfalt und Akzeptanz gehören in der heutigen Zeit zu den obersten Prioritäten. Das Brechen von Tabus ist uns wichtig, und die Pflege des Selbst ist unumgänglich. Das Heute ist gut, besser denn je, oder? Warum also dieser Optimierungswahn in der heutigen Zeit? Lautet das Motto unserer Gesellschaft: Jeder darf so sein, wie er ist, nur ich muss besser sein, als ich bin?
Entspannung gleich Stress
Ich wollte der Sache auf den Grund gehen und machte eine nicht repräsentative Umfrage, an der sich 40 Personen zwischen 12 und 66 Jahren beteiligten. Und ich war erstaunt, zu sehen, in welch paradoxer Zeit wir heute leben. Zwar stehen für alle Befragten mehr Zeit und Work-Life-Balance mit Abstand an erster Stelle ihrer Wünsche. Dennoch gaben über 50 Prozent der Teilnehmenden an, dass sie häufig bis sehr häufig nach Optimierung streben. Mehr noch, es ist fast schon beunruhigend, wenn es darum geht, sich mal zu entspannen oder unproduktive Zeit zu haben, denn dies bedeutet für 30 Prozent der Befragten Stress. Nur knapp 15 Prozent können sich stressfrei entspannen. Ein Widerspruch, der meiner Meinung nach in die heutige Zeit passt. Die Lebenszeit füllen wir damit, uns zu verbessern. Es gibt keinen Bereich im Leben, der nicht optimiert werden kann.
«Die Lebenszeit füllen wir, um uns zu verbessern. Es gibt keinen Bereich im Leben, der nicht optimiert werden kann.»
Elias Gobeli
Besser sein als die Norm
Nur knapp drei Prozent der Befragten fühlen sich mit der gesellschaftlichen «Norm» zufrieden. Alle anderen wollen bei manchen Themen besser oder gar überall besser sein als die «Norm». Dies ist ein weitverbreitetes Phänomen: «Normalität» ist in einer Leistungsgesellschaft negativ bewertet. Ich denke an meine Schulzeit, als einige SchülerInnen eine Krise bekamen, wenn sie eine 4,5 im Test hatten. Warum wollen die Menschen besser werden? Oder anders gefragt: Was wollen die Menschen erreichen? Neben einer besseren Work-Life-Balance werden von den meisten Befragten eine bessere Gesundheit und die Erlangung finanzieller Freiheit als wichtigstes Ziel genannt. An zweiter Stelle steht mehr Erfolg in der Karriere. Und was spannend ist: Mehr Einfluss in der Gesellschaft zu haben, ist vielen wichtig. Man vergleicht sich, oft auch unbewusst.

Wir wollen uns stetig verbessern und vergleichen uns tagtäglich, auch wenn wir es nicht wahrhaben wollen. An erster Stelle steht allerdings nicht das Vergleichen in den naheliegenden sozialen Medien. Die große Mehrheit der Befragten vergleicht sich am Arbeitsplatz und im Freundeskreis. Die Optimierung hat auch Vorteile, aber für die meisten ist sie auch eine Last. Auf die Frage, was sie am meisten belaste, antworten die Teilnehmenden: Wir stellten an uns selbst sehr hohe Erwartungen.
Umfrage: Was belastet dich momentan am meisten?

Mein Fazit
Wir werden schon im Kindesalter auf Wettbewerb und «besser zu sein als andere», auf Leistung getrimmt. Das Notensystem in der Schule zeigt, dass die individuelle Norm in der Gesellschaft nicht ausreicht. Schade, denn wir haben so viele Möglichkeiten und eine riesige Auswahl an Lebensformen. Es scheint so, als suchten wir durch den «optimalen Menschen» eine Art Sinn im Leben, der aber wegen unserem Perfektion und der Erwartungshaltung praktisch nicht zu erreichen ist.
«Der Optimierungswahn ist zur Normalität geworden.»
Elias Gobeli
Wir sollten uns um uns selbst sorgen und den Ellenbogen anderer Menschen keine Aufmerksamkeit schenken. Jeder Mensch hat das Potential, sich zu optimieren, jedoch ist es, wenn wir ehrlich sind, selten für uns selbst. Der Optimierungswahn ist zur Normalität geworden. Und da wir nicht Teil der Normalität sein wollen, ist es am besten, diesen Trend zu beenden.