Das Politpodium zum Nachschauen und Nachhören
Als Videopodcast: YouTube
Als Audiopodcast: Soundcloud | Spotify | Apple Podcast
Erstmalig luden am 24. April 2024 das neu gegründete Thuner Jugendparlament und der Verein UND Generationentandem zum gemeinsamen Politpodium ein. Das Thema: «Dienstpflicht: Wie weiter?» Bewusst wurden für dieses Politpodium nur Jungpolitiker:innen eingeladen, denn es ist sowohl dem Jugendparlament Thun wie auch UND Generationentandem ein grosses Anliegen, jungen Menschen, die in der Politik stark unterrepräsentiert sind, eine Stimme zu geben und sie zur politischen Teilhabe zu motivieren.
Was ist das Jugendparlament Thun?
Das Jugendparlament Thun wurde aufgrund eines Jugendvorstosses, der im Juli 2023 durch den Stadtrat Thun genehmigt wurde, gegründet. Das Jugendparlament Thun ist ein politisch und konfessionell unabhängiger Verein, der die politische Teilhabe von jungen Menschen fördert. Ein besonderer Zweck des Thuner Jugendparlaments besteht darin, die Beteiligungsmöglichkeit «Jugendvorstoss» bekannter zu machen.
Wie es zur Dienstpflicht kam
Das Thema des ersten Jugendpodiums von UND Generationentandem und dem Jugendparlament Thun ist die Dienstpflicht. Damit alle Personen im Publikum auf dem gleichen Stand sind, gibt Nicolas Mezger (18), Vorstandsmitglied des Jugendparlaments Thun, eine kurzen Überblick über die Geschichte der Schweizer Dienstpflicht.
Vor der Gründung des Bundesstaates Schweiz mit der Einführung der Bundesverfassung im Jahr 1848 gab es in der Schweiz kein zentralisiertes Militär. Erst 1888 wurde die Schweizer Armee erstmals formalisiert und bewusst als Milizarmee etabliert. Seit dem Haager Abkommen aus dem Jahr 1907, das die Neutralität der Schweiz definiert, dient die Schweizer Armee in erster Linie der Landesverteidigung.
Seit ihrer offiziellen Etablierung im 19. Jahrhundert schwankte die Bedeutung der Schweizer Armee für die Bevölkerung. Besonders hohe Zustimmung erhielt das Militär während des Zweiten Weltkriegs und des Kalten Krieges. In diesen Phasen stiegen meist auch die Militärausgaben stark an. Das Militär entwickelte sich immer wieder weiter und wurde auch immer wieder umstrukturiert, um sich neuen Begebenheiten, wie zum Beispiel neuen Bedrohungen, anzupassen.
Militärdienst:
In der Schweiz besteht eine allgemeine Wehrpflicht für Männer ab dem 20. Lebensjahr. Sie müssen eine Rekrutenschule absolvieren und danach in der Armee oder der Zivilschutzorganisation dienen. Frauen können freiwillig Militärdienst leisten. Die Rekrutenschule ist die Grundausbildung für alle Rekruten und dauert in der Regel 18 bis 21 Wochen. Nach der Rekrutenschule leisten Soldaten regelmässig Wiederholungskurse, um ihre Fähigkeiten aufrechtzuerhalten.
Zivildienst:
Männer, die aus Gewissensgründen den Militärdienst verweigern, können stattdessen Zivildienst leisten. Bis 1996 konnten Männer für eine solche Verweigerung verhaftet werden. Der Zivildienst dauert in der Regel 1,5-mal so lange wie der Militärdienst, den die verweigernden Männer abzuleisten hätten. Zivildienstleistende arbeiten in sozialen, humanitären oder ökologischen Bereichen und leisten einen Beitrag zum Gemeinwohl.
Zivilschutz:
Der Zivilschutz ist für die Bewältigung von Katastrophen und Notfällen zuständig. Dazu gehören der Schutz der Bevölkerung, die Evakuierung, medizinische Versorgung und die Unterstützung der Behörden. Der Zivilschutz ist in verschiedene Bereiche unterteilt, darunter die Feuerwehr, der Sanitätsdienst und der technische Dienst. Die Beteiligung am Zivilschutz ist freiwillig. Viele Freiwillige absolvieren eine Grundausbildung und nehmen an Übungen teil, um im Ernstfall einsatzbereit zu sein.
Nach der hilfreichen Einordung durch Nicolas Mezger übernimmt Elias Rüegsegger (29), Geschäftsleiter von UND Generationentandem, das Wort und führt in die Podiumsdiskussion mit den fünf Jungpolitiker:innen Angel Okaside (SVP), Mey Fokas (FDP), Nils Hirschi (jglp), Lea Feuz (Junge Grüne) und Laurin Gerber (Juso) ein
Eine Dienstpflicht für alle?
Eine Untersuchung der Militärakademie an der ETH Zürich aus dem Jahr 2021 zeigt, dass der Zuspruch für eine Dienstpflicht für alle Geschlechter in den letzten zehn Jahren stark zugenommen hat. 67 Prozent unterstützen eine Dienstpflicht für alle, zehn Jahre zuvor waren es erst 52 Prozent.
«Gleiche Rechte heisst auch gleiche Pflichten.»
Nils Hirschi
Auch die Jungpolitiker:innen auf dem Podium stimmen grundsätzlich zu, dass alle Geschlechter einen Dienst leisten sollten. «Gleiche Rechte heisst auch gleiche Pflichten», meint zum Beispiel Nils Hirschi (18) und auch Mey Fokas (19) betont, dass wenn Gleichberechtigung gefordert wird, dies in allen Bereichen umgesetzt werden muss. Obwohl sie auch anmerkt, dass sie selbst lieber keine Dienstpflicht leisten möchte und ausserdem eine Umsetzung der Dienstpflicht bei Frauen komplexer ausfallen könnte: «Was, wenn eine Frau früh Mutter wird?»
Lesetipp: Schweizer Armee – Sinn oder Unsinn?
Die Meinungen über unsere Armee gehen weit auseinander. Zum Austausch der verschiedenen Standpunkte haben sich Frederik Besse (30), Chefredaktor von «Schweizer Soldat», und Jonas Kampus (20), Sekretär bei Gruppe Schweiz ohne Armee (GSoA), mit einem Generationentandem an einen Tisch gesetzt.
Militärdienst, Zivildienst oder Service Citoyen?
Im vergangenen Jahr beschloss der Bundesrat, die Hürden für den Zivildienst langfristig zu erhöhen. Der Grund: Dem Militär laufen die Soldaten davon – so nahm 2023 die Anzahl Personen, die vom Militär- zum Zivildienst wechselten, im Vergleich zu 2022 um weitere 1.8 Prozent zu. In diesem Zusammenhang gilt aber auch zu erwähnen, dass aktuell die Höchstgrenze an Militärpersonal immer noch überschritten ist. Die Höchstgrenze liegt bei 140’000, der aktuelle Bestand liegt aber bei fast 150’000 Armeeangehörigen.
Trotzdem unterstützt Angel Okaside diesen Entscheid: «Ich stehe dazu, dass Männer Militärdienst leisten sollen». Er meint, dass es heute zu einfach sei, «sich herauszuschlängeln.» Auf die Aussagen von Lea Feuz (19) und Laurin Gerber (20), die sagen, dass der Militärdienst den Dienstleister:innen nichts bringt, kontert er: «Ich habe im Militär gelernt mit Wut und Stress umzugehen, das sind wichtige Fähigkeiten.»
«Ich stehe dazu, dass Männer Militärdienst leisten sollen.»
Angel Okaside
Nils Hirschi unterstützt den Militärdienst ebenfalls, bezeichnet sich aber als grossen Unterstützer der Service-Citoyen-Initiative. Die Initiative fordert, dass alle Schweizer:innen einen Dienst leisten müssen – sei das im Militär, beim Zivildienst oder Schutz oder in einem anderen Milizbereich. Zwischen den unterschiedlichen Bereichen würde, nach Einführung der Service-Citoyen-Initiative, komplette Gleichberechtigung bestehen, der Mindestbestand (aktuell: 100’000 Armeeangehörige) beim Militär müsste aber natürlich weiterhin aufrechterhalten werden.
«Militär- oder Zivildienst sollte für alle sein, aber für alle freiwillig.»
Lea Feuz
Kritischer wird die Dienstpflicht, und insbesondere den Militärdienst und die Ungleichbehandlung der beiden Dienstmöglichkeiten, von Lea Feuz und Laurin Gerber gesehen. Das Militär vernachlässigt heute wichtige Bereiche, wie zum Beispiel den Katastrophenschutz oder die Cybersicherheit, betonen sie. Insbesondere bei dem hohen Budget – aktuell beträgt das Budget der Schweizer Armee zwischen fünf und sieben Milliarden Franken – sei das nicht akzeptierbar. Sie fordern auf der einen Seite eine Umstrukturierung des Militärs, auf der anderen Seite unterstützen sie aber auch eine komplette Aufhebung der Dienstpflicht. Lea Feuz sagt dazu: «Militär- oder Zivildienst sollten für alle sein, aber für alle freiwillig.»
Einigkeit besteht am Ende dieses Podiums nicht zwischen den fünf Jungpolitiker:innen. Was aber vermutlich allen im Saal klar ist: Die komplette Abschaffung der Dienstpflicht ist aktuell nicht mehrheitsfähig. Dass sie sich weiterentwickelt, zum Beispiel in Richtung Service Citoyen ist aber durchaus möglich. Und was ebenfalls klar ist: Die Diskussion muss weitergeführt werden.