Das Politpodium zum Nachschauen und Nachhören
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Sind «die Jungen» wirklich so politikverdrossen, wie oft behauptet wird? Drei Tage nach den Parlamentswahlen vom 22. Oktober 2023 fragen wir bei den wichtigen RepräsentantInnen der Jungparteien kritisch nach: Wie zufrieden sind sie mit dem Ausgang der Wahlen? Wie fühlen sie sich vertreten und wie vertreten die Jungparteien ihre jungen AnhängerInnen? Das ist das erste Politpodium von UND Generationentandem nach einem Wahlsonntag: Die «Jung-Elefantenrunde»!

Die Gäste auf dem Podium
- Nils Fiechter (27) sagt als Chef Strategie der Jungen SVP Schweiz der «Classe Politique» den Kampf an und will die Schweiz zurückgewinnen.
- Tobias Frehner (22) ist Präsident der Jungfreisinnigen Kanton Bern und engagiert sich leidenschaftlich für sichere Renten, tiefe Steuern und mehr Freiheit im Kanton Bern.
- Marc Rüdisüli (25) präsidiert Die Junge Mitte Schweiz. Er setzt sich für mehr Lösungen statt empörte Blockadepolitik ein
- Corina Liebi (28) ist Präsidentin des glp lab und setzt sich für eine Schweiz ein, die wirtschaftlich und gesellschaftlich liberal agiert und auch der Umwelt Rechnung trägt.
- Mirjam Hostetmann (23), ist Vize-Präsidentin JUSO Schweiz. Sie setzt sich für eine Zukunft ohne Diskriminierung und Ausbeutung ein, in der alle Menschen ein gutes Leben in einer intakten Umwelt führen können.
- Magdalena Erni (19) setzt sich als Co-Präsidentin der Jungen Grünen Schweiz für den Klimaschutz ein und fordert unter dem Motto «keine Zeit für kleine Schritte» ein radikales Umdenken in der Schweizer Politik.
- Dr. Marlène Gerber (38), Co-Direktorin Année Politique Suisse am Institut für Politikwissenschaft (IPW) der Uni Bern und Alumna des Gymer Schadau. Sie bringt den wissenschaftlichen Blick auf die Wahlergebnisse aufs Podium.

Erste Reaktionen auf den Wahlsonntag
Die zu Beginn durchgeführte Mentimeter-Umfrage zeigt beim mehrheitlich jungen Publikum im Saal gemischte oder enttäuschte Reaktionen auf die nationalen Wahlen. Wer hat Grund, unzufrieden zu sein, wer hingegen ist zufrieden?
Zu letzteren gehört sicher Nils Fiechter von der JSVP, deren Mutterpartei national wie auch kantonal klar stärkste Kraft geblieben ist. Wie zufrieden ist er, sowohl mit dem Resultat, als auch persönlich? Fiechter sieht sich primär als Vertreter seiner Partei. Bei Wahlen gehe es nicht nur um Personen, sondern um Inhalte. Gewählt werden diejenigen, welche die wichtigen Themen am besten vertreten. Nach den Verlusten vor vier Jahren habe die Partei wieder zugelegt und stehe vor der Aufgabe, eigene Lösungen zu präsentieren.
Weniger Grund zum Feiern hat die GLP: Auf nationaler Ebene hat die Partei zwar prozentuell nur 0,2% weniger Stimmen als 2019, durch das Wahlsystem verliert sie aber trotzdem 6 ihrer zuvor 16 Sitze. Corina Liebi schaut trotzdem optimistisch in die Zukunft: Wenn die GLP weiterhin so gute Arbeit wie in den letzten vier Jahren leistet, wird sie diese Sitze in vier Jahren wieder gewinnen.
Marc Rüdisüli von der Mitte ist zufrieden, trotz des «Fails» vom Bundesamt für Statistik, welches die nationalen Wahlprozente zunächst falsch gemeldet hatte. Auch wenn man die FDP in Wählerprozenten nicht überholt hat, sieht es doch danach aus, dass man schlussendlich in beiden Kammern mehr Sitze haben werde. Der Grundstein dafür sei vor vier Jahren gelegt worden. Analysen hätten gezeigt, dass viele Leute die Positionen der Partei zwar teilen, das C in CVP aber ablehnten: deshalb habe man den Schritt zur «Mitte» gemacht. Man sei dann aber auch mit klaren Positionen in den Wahlkampf gegangen, besonders in den Bereichen Gesundheitspolitik, Aussenpolitik, Neutralität, und das werde geschätzt.

Nicht zufrieden ist hingegen Tobias Frehner von den Jungfreisinnigen: Die gesteckten Ziele wurden klar nicht erreicht, man hat sogar einen Sitz verloren. Gerade angesichts der Situation, die wir im Moment auf der Welt haben, wären laut ihm doch eigentlich freisinnige, freiheitliche Lösungen gefragt, die Partei müsse nun analysieren, warum das Stimmvolk das nicht so sehe.
Magdalena Erni schaut mit gemischten Gefühlen auf den Wahlsonntag zurück. Sie sei hässig über Rechtsrutsch, das neue Parlament werde die Klimakrise, die grösste Herausforderung unserer Zeit, sicher nicht mehr so effektiv bekämpfen. Gleichzeitig sei sie aber glücklich darüber, dass die Jungen Grünen die Position der wählerInnenstärksten Jungpartei schweizweit habe halten können.
Am linken Ende des politischen Spektrums überschneiden sich die beiden Parteien SP und Grüne von den Positionen her stark. Warum hat jetzt die SP zugelegt und die Grünen dagegen verloren? Mirjam Hostetmann von der JUSO erklärt es wie folgt: 2019 sei der Höhepunkt der Klimastreiks gewesen, die SP habe es damals nicht geschafft, sich auch als Klimapartei zu profilieren, weshalb die Grünen stärker von dieser Bewegung profitiert hätten. Jetzt nach der Pandemie seien aber auch andere Themen wie etwa Krankenkassenprämien gefragt, bei denen man sich besser positioniert habe. Auch habe die SP eine sehr gute Kampagne gefahren, die gerade bei den Jungen viele mobilisiert hätte.
Sind die Jungen in der Politik genügend vertreten?
Wie zufrieden sind die Anwesenden mit der Vertretung der jungen SchweizerInnen im Parlament? Katja Riem aus dem Kanton Bern ist eine von nur 12 ParlamentarierInnen unter 35, niemand unter 26 wurde gewählt, was löst das bei den VertreterInnen der Jungparteien aus?
Nils Fiechter sieht hier kein Problem. Das Stimmvolk habe entschieden, wer ins Parlament kommt und dieses hat somit die vom Volk gewünschte Repräsentation. Die Parteien hätten ja auch die Möglichkeit gehabt, mehr KandidatInnen eines bestimmten Alters oder Geschlechts aufzustellen, wenn diese höheres Wahlpotenzial gehabt hätten, was aber offenbar nicht der Fall war.
Für Magdalena Erni hingegen muss das Parlament in einer Demokratie auch alle Bevölkerungsschichten repräsentieren. Dass weniger Junge und weniger Frauen als vor vier Jahren gewählt wurden, stimmt sie nachdenklich, gerade weil in den kommenden Jahren für die Gleichstellung wichtige Vorlagen vors Parlament kommen würden und es etwa bei der Kita-Finanzierung Stimmen brauchen würde, die sich auch wirklich aus eigener Erfahrung dafür einsetzen können.

Man dürfe das junge Engagement nicht nur auf Wahlresultate reduzieren, findet Marc Rüdisüli. Ein Wahlkampf führe auch generell immer zu mehr Engagement von Jungen, mehr Parteieintritten, mehr zukünftigen Kandidaturen. Und Corina Liebi fügt an: Junge hätten auch andere Wege, sich Gehör zu verschaffen, die sie in den kommenden Jahren verstärkt nutzen können und müssen, etwa Demonstrationen, oder eben Betätigung in den Jungparteien.
Die nächste Frage in die Runde: Was sind denn eigentlich Themen, die vor allem die Jungen interessieren und ansprechen? Darauf gibt es keine einfache Antwort, denn oft sind natürlich die Themen, die für Junge hohe Relevanz besitzen, auch für andere Altersschichten von Bedeutung.
Marc Rüdisüli schlägt aber ein Thema vor, das alle Jungen betreffe und auch alle Jungparteien zusammenbringe: Die psychische Gesundheit. Die Zukunftsangst, die durch verschiedenste Faktoren wie Corona, Klima, Krisen und Kriege beeinflusst wird, sei bei Jungen hoch und es sei wichtig, dass hier genug in die Prävention und Hilfsangebote investiert werde. Die Jungparteien seien diejenigen, die das in die institutionelle Politik tragen können.
Müssen Jungparteien provozieren?
Gerade bei den Polparteien haben die Jungparteien oft noch extremere Positionen als die Mutterparteien. Muss das so sein und wenn ja, warum?
Mirjam Hostetmann sagt dazu: Das Ziel der Provokation sei klar: Wir machen auf die Probleme unserer Zeit aufmerksam. Als Jungpartei hätten sie dabei auch noch teilweise andere Mittel und Wege zur Verfügung, als die Mutterpartei. Aber es sei auch wichtig zu sagen, dass sie das nicht aus Spass oder so machen, sondern weil sie diese Probleme wirklich ernst nehmen.

Vom anderen Pol her tönt es ähnlich: Nils Fiechter betont, man müsse sich immer bewusst sein, dass es um die Sache gehe, eine Provokation müsse da sein, um Reaktionen in der Politik und Medien hervorzurufen, nicht nur der Provokation willen. Wenn man als Jungpartei nur zahm und anständig sei, höre einem niemand zu. Natürlich gäbe es auch Grenzen, die man nicht überschreiten darf, sonst macht man sich strafbar, aber generell sollen Jungparteien aufmüpfiger und lauter sein dürfen und auch mal Sachen aussprechen, die bei der Mutterpartei vielleicht nicht möglich wären.
Aus der Mitte fügt Marc Rüdisüli hinzu, Jungparteien müssten ihre eigenen Grenzen kennen, was für sie sagbar ist und was nicht. Bei einigen Parteien liege diese Grenze weiter draussen, bei anderen eben nicht.
Warum wählen die Jungen nicht?
Nur 33% der 18-24 Jährigen gingen 2019 an die Urne, was die tiefste Zahl aller Altersgruppen darstellt. Was sind dafür die Gründe?
Nach einer Umfrage von Easyvote gäbe es immer noch zu viele, die nicht wüssten, wie sie genau wählen können und was sie dabei beachten müssten, sagt Mirjam Hostetmann. Die politische Bildung sei an Schulen nach wie vor zu wenig ein Thema.
Wie kann oder muss die politische Bildung aber verbessert werden?
Magdalena Erni findet: Politische Bildung sei zu theoriebasiert, bestehe zu sehr einfach daraus, Fakten zum Wahlsystem auswendig zu lernen. Es brauche mehr Einblicke, wie Politik und politisches Engagement tatsächlich ablaufen würden.
Die politische Bildung an der Schule sei ein schwieriges Thema, so Marc Rüdisüli. Lehrkräfte würden sich oft zurückhalten, weil sie Angst hätten, von Eltern direkt der Einflussnahme angeklagt zu werden, hier fehle es an Anleitungen.
Für Nils Fiechter sollte der politische Prozess soll in der politischen Bildung vor allem anhand von Praxisbeispielen dargestellt werden: Was passiert etwa, wenn die Gemeinde eine neue Schule bauen will? Was gehört da alles dazu, wer ist alles beteiligt? Dem stimmt auch Tobias Frehner zu: Politik bestehe nicht nur aus Wahlkampf, sondern etwa auch aus Kommissionsarbeit auf lokaler Ebene.

Auch sei ein dickes Wahlcouvert voller Papierflyer nicht mehr das richtige Medium, um Junge zu erreichen, kritisiert Corina Liebi. Parteien und auch politische Instanzen müssten heute auf den Medien unterwegs sein, auf denen die jungen Menschen auch aktiv sind.
Tobias Frehner schliesst mit einem Appell: Es sei einfach schade, dass trotz des riesigen Privilegs, in einem freien Land wie der Schweiz zu leben, so viele das Wahlcouvert ungeöffnet wegwerfen. Er könne da nicht anders als enttäuscht sein und wünsche sich, dass sich das ändert.
Sind Jungparteien zu wenig erfolgreich?
Eine Person aus dem Publikum fragt: Sind Jungparteien denn nicht eigentlich politisch irrelevant? Niemand von einer Jungpartei wurde gewählt und der gesamte Wähleranteil der Jungparteien ist gegenüber 2019 auch gesunken.
Marc Rüdisüli sagt, man könne die Jungparteien sicher einmal als Kaderschmieden für die Politiktalente der Zukunft sehen. Wenn Spitzenkandidierende der Jungparteien auf die Hauptliste gesetzt werden, was vielerorts vorgekommen sei, wäre das schon ein grosses Zeichen vonseiten der Mutterpartei, dass sie dem Nachwuchs eine Chance geben wollen und Potenzial in einem sehen.
Sind die Jungparteien also vor allem da, ein paar Talente für die Hauptliste herauszufiltern und der Rest könnte sich die Mühe auch gleich sparen?
Nils Fiechter sieht das anders: Wenn das Ziel sei, möglichst viele junge Menschen für die Politik zu motivieren, dann lohne es sich, eine eigene Liste zu führen. Die Kandidierenden seien viel motivierter, wenn sie auch wirklich Wahlkampf betreiben und sich einbringen dürfen. Oft könnten Jungparteien durch Listenverbindungen auch der Mutterpartei dabei helfen, ein Restmandat abzugreifen.

Mirjam Hostetmann kritisiert das Konzept von Haupt- und Nebenlisten generell: Die Wahrheit sei, dass nur Personen auf der Hauptliste wirklich gewählt werden können. Und wenn man dann die Jungen, queere Menschen oder solche mit Migrationshintergrund einfach auf eine separate Liste steckt, kann sich die Partei zwar damit brillieren, solche Listen aufzustellen, aber diese haben keine reelle Wahlchance.
Ein Einwand von Corina Liebi lautet: Man dürfe für die Jungparteien auch nicht immer nur die nationalen Wahlen anschauen. Bei lokalen Wahlen hätten Jungparteien auch Chancen, die JGLP habe etwa im Berner Stadtparlament zwei Sitze geholt. In Zukunft sei das vielleicht auch im Nationalrat möglich, aktuell wäre man aber noch nicht ganz dort.
Wozu braucht es Jungparteien?
Nur wenige Jugendliche können sich das Engagement in einer Jungpartei wirklich vorstellen. Warum braucht es die Jungparteien schlussendlich doch?
Marc Rüdisüli findet: Es brauche sie, um den Mutterparteien etwas auf die Finger schauen, sie daran erinnern, auch die Perspektive der Jungen zu berücksichtigen.
Ein weiterer Grund ist laut Corina Liebi auch, dass es einfach Spass macht, sich in Jungparteien zu engagieren. Man erlebt Politik auf eine andere, ungezwungenere Art.

Magdalena Erni fügt hinzu: Jungparteien seien auch ein Ort für Leute, die sich aus anderen Gründen nicht in der regulären Politik engagieren dürfen, etwa Jugendliche unter 18 oder Personen ohne Schweizer Pass.
Jungparteien machen auch Politik, weil es letztlich um die Zukunft des Landes geht und die Jungen diejenigen sind, die am längsten damit leben müssen, so Nils Fiechter. Die Jungparteien seien ein idealer Einstiegsort in die Politik, sie seien gemeinsam in der Lage, einen politischen Diskurs aufzustellen, in welchem verschiedene Ansichten präsentiert und diskutiert werden können, etwa an einem Podium wie diesem hier.