Text: Mischa Gobeli und Barbara Tschopp
Im Jahr 2021 feiert die Schweiz 230 Jahre «Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin», 50 Jahre «Frauenstimmrecht in der Schweiz», 40 Jahre «Gleichstellung von Frau und Mann in der Schweizer Bundesverfassung», 30 Jahre «Frauenstreik 1991» und 2 Jahre «Frauen*streik 2019».
Mit einem Postenlauf unter dem Motto «Feiern und Fordern» wollte das feministische Kollektiv Thun-BeO das Jubiläumsjahr öffentlich sicht- und erlebbar machen. In der Zeit vom 14. bis 27. Juni wurde Interessierten an mehr als 30 Posten in Thun und Steffisburg das Thema «Feminismus, Gleichstellung und Fempowerment» nähergebracht. Die Posten zu Themen wie: Unbezahlte Arbeit, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Consent is key, Feministische Theologie befanden sich in Läden, Geschäften, Klubs, Restaurants, Schulen und Museen in Form von kreativen Aktivitäten, Ausstellungen, informativen Schaufenster und Tafeln. Das AutorInnenteam erkundete mit dem Velo einige dieser Posten. Zwei davon möchten wir der Leserschaft näherbringen.
Erstes staatliches Lehrerinnenseminar der Schweiz
UND Generationentandem verbindet eine enge, erfolgreiche Zusammenarbeit mit dem Gymnasium Thun, insbesondere am Standort Seefeld. In der Geschichte der Ausbildung von Frauen hat dieser Standort eine grosse Bedeutung.
Am 26. Oktober 1923 wurde das heutige Hauptgebäude des Gymnasium Thun, Standort Seefeld, eingeweiht. In den damaligen Neubau zügelte das 1838 gegründete erste staatliche Lehrerinnenseminar der Schweiz, das zuerst provisorisch im Pfarrhaus Hindelbank und später in der Thuner Pension Jungfrau untergebracht worden war. Zum Vergleich: Das Errichten einer ähnlichen Institution für Männer hatte viel weniger Zeit in Anspruch genommen. Das staatliche Lehrerseminar wurde 1833 in Münchenbuchsee gegründet und erhielt bereits 1883 den definitiven Standort in Hofwil.
1948 begann ein knapp 20 Jahre dauerndes pädagogisches Experiment am Lehrerinnenseminar: Die notenfreie Beurteilung. Die damalige Lehrerkonferenz war sich einig, dass die Arbeitseinstellung der Schülerinnen es erlaube, auf den Druck von Zeugnisnoten zu verzichten. Erziehung zur Selbstverantwortung im Lehrerinnenberuf war dabei der leitende Gedanke. Der damalige Versuch wurde zunächst auf drei Jahre befristet. Neben dem halbjährlich geführten Schülerinnenblatt gab es ein so genanntes «Seelenstündchen», während dem der Direktor mit den einzelnen Seminaristinnen Fleiss und Arbeitshaltung besprach. Der Versuch wurde verlängert.
Unvergessen ist der Fall einer Seminaristin, die nicht mit grossartigen Leistungen glänzte, aber während einer Exkursion beim Kalben einer Kuh auf offener Weide entschieden zur Tat schritt und so den Schaden einer Fehlgeburt abwenden konnte. Ihr wurde wegen dieser mutigen Tat die Promotion zugestanden.
1978, sieben Jahre nach der Einführung des Frauenstimmrechts auf nationaler Ebene, wurde der koedukative Seminarunterricht eingeführt. Bis vor 43 Jahren herrschte die Überzeugung, dass Primarlehrer eine andere Rolle und eine andere Ausbildung haben müssten als Primarlehrerinnen. Die grosse eidgenössische Maturareform brachte die Aufhebung der Seminarien. In der Folge wurde die LehrerInnenbildung europakonform auf der tertiären Ebene angeboten.
Frauen, die Thuner-Geschichte schrieben
Seit einiger Zeit beschäftigt sich die Geschichtswissenschaft vermehrt mit Frauen- und Geschlechtergeschichte, um der Vorstellung einer rein männlich geprägten Welt entgegenzuwirken. Immer wieder berichten Quellen über bedeutende Herrscherinnen, Klerikerinnen und Bürgerinnen. So wurde auch die Thuner-Stadtgeschichte von verschiedenen Frauen mitgeprägt.
Gräfin Elisabeth von Kyburg-Chalon war nach dem Tod ihres Mannes Graf Hartmann der Jüngere kurzzeitig Alleinherrscherin über Thun. Vermutlich auf Drängen der Stadtbevölkerung stellte sie 1264 die erste Thuner Handfeste, also die erste Sammlung von allgemeingültigen Rechtsgrundsätzen, aus. An der heute noch erhaltenen Handfeste hängt nur ihr Siegel. Im Mittelalter war es ausgesprochen selten, dass eine Frau als Alleinausstellerin eines solchen Dokumentes auftrat. Kurze Zeit später bekam Peter von Savoyen die Vormundschaft über Elisabeth und ihrer Tochter Anna zugesprochen. Darauf verlor Elisabeth ihre Herrschaftsgewalt in Thun. Als 1316 die zweite Thuner Handfeste entstand, wurde Elisabeth als Urheberin der fast identischen ersten Handfeste totgeschwiegen.
Als Anna von Velschen 1425 verwitwete, wurde sie nach drei Jahrzehnten zur reichsten Frau in Bern. Ihr Vermögen betrug 53’000 Pfund, was für die damalige Zeit eine riesige Summe war. Die im Februar 1380 als Tochter eines Thuner Kleinrates geborene Anna war 1393 durch die Hochzeit mit Petermann von Krauchthal zu viel Geld gekommen. Sie schenkte dem Seilerin-Spital in Bern die Kreuzmatte, wo heute das Berner Inselspital steht.
Barbara Schneiter aus Goldiwil war das letzte Opfer einer Hinrichtung in Thun. Sie war erst 20 Jahre alt, als sie 1816 wegen Kindsmord auf der Allmend mit dem Schwert hingerichtet wurde. Nach einem längeren Verhörprozess gestand Barbara Schneiter, im November 1815 einen Jungen geboren und kurz darauf umgebracht zu haben. Es handelte sich wohl um eine Verzweiflungstat aus Angst und Scham. Sie konnte den Vater des Kindes nicht benennen.
Soweit die aufgespürten Geschichten. Aus Anlass des Jubiläumsjahres bringen wir die Erinnerungen von Dora Kaiser, UND-Mitglied, aus der Zeit ihrer politischen Aktivität: «Es brauchte eine grosse Frustrationstoleranz».