Als Co-Moderator Stefan Geissbühler, Chefredaktor vom «Thuner Tagblatt», dem Publikum die beiden Kandidierenden Katharina Ali-Oesch (SP) und Reto Schertenleib (SVP) vorstellte, sagte er scherzhaft in Bezug auf die Anordnung auf dem Podium, man habe die beiden so aufgestellt, dass klar sei, wer links und wer rechts stünde.
Wie könnte man diesen Satz deuten? Einmal so, dass hier zwei Personen stehen, die klare Gegensätze repräsentieren, die man also in «Links»-und-«rechts»-Schubladen stecken kann. Oder aber auch: Dass die beiden auf dem Podium, als Personen und als Kandidierende einander doch so nahestehen, dass sie ohne die visuelle Unterstützung durch die Platzierung gar nicht so leicht voneinander zu trennen sind.
Wer im gut besetzten Rathaussaal in Thun sass oder die Veranstaltung per Livestream verfolgte, dürfte schnell zur zweiten Interpretation tendiert haben. Die folgenden 90 Minuten haben diesen Eindruck dann noch weiter bestätigt. Stefan Geissbühler und sein Co-Moderator Elias Rüegsegger von UND Generationentandem löcherten die Kandidierenden mit politischen wie auch persönlichen Fragen, bei denen viele Gemeinsamkeiten, aber auch einige Unterschiede ans Licht kamen. Es klaffte jedoch nie ein unüberwindbarer Graben.
Die Kandidierenden: Richtungswahl für Thun
Katharina Ali-Oesch (SP) setzt sich seit 2016 im Thuner Stadtrat für mehr Gerechtigkeit und Chancengleichheit ein. 1970 geboren und in Schwarzenegg aufgewachsen, bringt sie sowohl als ausgebildete Lehrerin wie auch mit ihrer Erfahrung in der Thuner Stadtpolitik gute Voraussetzungen für die Exekutive mit. Als Präsidentin der SP-Fraktion und als Vizestadtratspräsidentin kennt sie die Funktionsweise von Behörden und Verwaltung bestens und sorgt zudem als Frau in der Exekutive für eine ausgewogenere Vertretung im Sinne der Gleichstellung.
Reto Schertenleib (SVP) ist seit 2011 im Thuner Stadtrat. Er vertritt eine bürgernahe und wirtschaftsfreundliche Politik. Reto Schertenleib ist 1979 in Thun geboren und zur Schule gegangen. Nach einer Kochlehre erwarb er das Wirtepatent und bildete sich weiter als Betriebsleiter NDs HF. Im Militär bekleidet er den Rang eines Offiziers, arbeitet als Quartiermeister in Genf, als Leiter Verpflegungszentrum in Wangen an der Aare und führt jetzt als Betriebsleiter des Waffenplatzes Bern die Abteilung Infrastruktur und Logistik mit knapp 30 Mitarbeitenden. Er lebt mit Frau und drei Kindern in Thun
Die Menschen
Katharina Ali-Oesch und Reto Schertenleib konnten ein Bild von sich zeichnen, wer sie als Person und als ThunerIn sind. In Beantwortung vieler Fragen zeigten sich erstaunlich viele Parallelen. Eine Auswahl: Beide haben einmal in einer Bäckerei gearbeitet – heute isst sie lieber eine Cremeschnitte, er ein Schinkengipfeli. Beide kochen lieber, als ins Restaurant zu gehen – er Chässoufflé, sie Birchermüesli. Beide bevorzugen als Fremdsprache Französisch. Anderswo scheiden sich die Geister – bei der Frage nach dem Lieblingsort in der Stadt bevorzugt sie ihr Zuhause oder die Schadau; er geht lieber ins Lachenareal. Sie liebt Berge, er Seen. Viele der lockeren Antworten lösten im Saal Gelächter aus, besonders wenn die eine odere andere Antwort der beiden Kontrahenten der eigenen Parteilinie (oder deren Klischee) entweder entsprach oder widersprach.
Wie nicht anders zu erwarten, zeigte die Diskussion aber auch grosse Differenzen auf, etwa bei der Frage, wie man Velo und Auto benutze. Katharina Ali-Oesch braucht das Velo, wann immer es geht, und das Auto nur, wenn es zwingend nötig ist. Reto Schertenleib hingegen gab zu, das Auto noch oft zu verwenden, beispielsweise, um zur Arbeit nach Bern zu fahren – die im Vergleich zum ÖV gewonnene Zeit mit seiner Familie verbringen zu können, habe für ihn hohe Priorität.
Die grossen Themen
Diverse Themen wurden angesprochen, etwa Bildung, Generationenfragen und das Angebot an öffentlichen und kulturellen Lokalitäten. Die beiden Themen, die an diesem Podium die meiste Aufmerksamkeit erhielten, waren einesteils ein globales sowie andernteils ein Thun-spezifisches: Das Klima und der Verkehr.
Beim Klima wurde auf den am 27. Juni 2019 in der Stadt Thun ausgerufenen Klimanotstand hingewiesen und gefragt, wie die Kandidierenden dazu stünden und was ihrer Ansicht nach in Thun seither bereits gemacht worden sei, beziehungsweise noch gemacht werden sollte.
Reto Schertenleib äusserte sich kritisch zum Begriff «Notstand» und wies darauf hin, dass sich mit Alarmismus noch nichts verändern würde. Die Prozesse, mit denen die Stadt Thun ihren Beitrag zum Klimaschutz liefern könne, seien aus seiner Sicht bereits aufgegleist. Die Wirtschaft sei in der Lage, die nötigen Innovationen zu erbringen, wenn sie nicht mit übertriebenen Abgaben erdrückt werde. Insgesamt sei man auf gutem Weg, müsse aber dranbleiben.
Katharina Ali-Oesch befürwortete die Ausrufung des Klimanotstandes und wünschte sich, dass die Stadt Thun beim Klimaschutz eine Vorbildfunktion einnehme, etwa indem bei eigenen Gebäuden und der Arealentwicklung hohe Standards eingefordert würden. Diese Prozesse sollten nach ihr noch schneller vorangehen. In Reaktion auf ihren Kontrahenten lehnte sie es ab, Probleme oder Lösungen rein in der Wirtschaft als abgegrenztem Bereich zu suchen. Umwelt- und Klimaschutz sieht sie als eine gesamtgesellschaftliche Pflicht.
Das Thema Verkehr gab am meisten zu diskutieren. Es herrschte Konsens darüber, dass die aktuellen Verhältnisse in Thun problematisch seien. Von beiden Seiten wurden sowohl Sofortmassnahmen als auch längerfristige Veränderungen als notwendig erachtet.
Katharina Ali-Oesch hob hervor, dass der Verkehr ein Problem sei, das die Stadt weder alleine verursache noch alleine lösen könne. Man müsse auf regionaler Ebene die im Verkehrsforum beschlossenen Massnahmen mittragen.
Reto Schertenleib stellte den Verkehr ebenfalls als regionales Phänomen dar, das sich ständig weiterentwickle und welches man deshalb nie aus den Augen verlieren dürfe. Er war weniger zuversichtlich, dass auf regionaler Ebene bald Lösungen gefunden würden und stellte den Kanton als teilweise die Entwicklungen behindernde Instanz dar. Deshalb plädierte er für Sofortmassnahmen, beispielsweise für die temporäre Aufhebung des Einbahnregimes in der Innenstadt. Seine Kontrahentin entgegnete, dass die Innenstadt mit diesem Einbahnregime deutlich an Attraktivität gewonnen habe, und gab bedauernd zu, dass es besonders für die AutofahrerInnen vom rechten Thunerseeufer kurzfristig keine gute Lösung gäbe.
«Angreiferin» und «Verteidiger» – die Rhetorik
im Wahlkampf
Eine Thematik, die sich durch die gesamte Podiumsdiskussion zog, war die Frage, wie diese Ersatzwahl nun eigentlich genau gesehen werden solle. Beide Kandidierenden bestreiten ihren Wahlkampf mit unterschiedlicher Rhetorik. Reto Schertenleib stellte sich als Verteidiger der bürgerlichen Mehrheit dar, welche bis zum Ende der Legislaturperiode erhalten bleiben sollte, während seine Gegnerin den offenen Sitz nun «angreifen» würde. Katharina Ali-Oesch wies den Vorwurf zurück, der Sitz «gehöre» dem bürgerlichen Lager, und verwies darauf, dass es nach dem Wahlrecht völlig legitim sei, dass sich mehrere KandidatInnen um den Sitz streiten würden. Beide behaupteten von sich, frischen Wind in den Gemeinderat bringen zu können. Katharina Ali-Oesch sprach sich deutlich für einen Richtungswechsel aus. Reto Schertenleib war es wichtig, als Person und nicht nur als Repräsentant der Partei gesehen zu werden.
Einig waren sich beide Seiten in Bezug darauf, wie essenziell die Suche nach dem Konsens und das Kollegialitätsprinzip im Gemeinderat seien. Beide waren bestrebt, sich selbst als Brückenbauer und Teamplayer darzustellen. Sie unterstrichen diese Behauptungen mit ihren Tätigkeiten inner- und ausserhalb der Politik, um das Bild zu vermitteln, für den Job bereit zu sein. Ein Votum des Stadtpräsidenten Raphael Lanz ganz am Schluss gab ihnen hier zusätzliche Glaubwürdigkeit: Er verkündete, unabhängig vom Wahlresultat, garantiert einen guten neuen Kollegen oder eine gute neue Kollegin zu bekommen.
Zum Podium
Das Podium wurde von UND Generationentandem in Kooperation mit dem «Thuner Tagblatt» organisiert. Es war das (bisher) einzige Podium zur Ersatzwahl in den Gemeinderat Ende November. Das Podium wurde via Livestream von zahlreichen ZuschauerInnen verfolgt und in den Medien beachtet.
Bericht im «Thuner Tagblatt»
Bericht in der «Jungfrauzeitung»