Zwei Initiativen zur Landwirtschaft stehen am 23. September zur Abstimmung, die nicht verwechselt werden sollten: die Initiative für Ernährungssouveränität und die sogenannte Fair-Food-Initiative. Erstere stammt von der Westschweizer Bauernvereinigung Uniterre und richtet sich gegen die zunehmende Liberalisierung und Globalisierung in der Landwirtschaft. Sie verlangt vom Bund Unterstützung für kleinere Betriebe und regionale Märkte.
Die Fair-Food-Initiative, um die es hier geht, will, dass sich der Bund für qualitativ gute, umweltgerechte, ressourcenschonende, tierfreundliche und fair hergestellte Lebensmittel einsetzt. Für Diskussion sorgt, dass diese Regeln auch für importierte Lebensmittel gelten sollen. GegnerInnen der Initiative bezweifeln, ob das umsetzbar ist.
Es geht um Grundsatzfragen
Glasklar tritt in der Debatte um die Fair-Food-Initiative ein Grundkonflikt zutage: jener zwischen Ethik und wirtschaftlichen Interessen. Wir finden ihn heute immer wieder: Wenn wir Energie und Ressourcen schonen, bremst das die Wirtschaft, wenn wir den CO2-Ausstoss reduzieren, leidet die Produktion von Öl und Kohle. Wenn wir Zölle zum Schutz der einheimischen Wirtschaft einführen, leidet der Freihandel, wenn wir die Sozialwerke ausbauen, geht das auf Kosten der Sparprogramme. Wirtschaft ist auf Profit und Wachstum ausgerichtet, das lässt sich nicht so leicht ändern, aber es bringt die Belastbarkeit unseres Planeten an die Grenzen.
Auch ein anderer Grundkonflikt zeigt sich in dieser Debatte: Wie wir die Tiere nutzen und wie es dabei den Tieren geht. Seit 10’000 Jahren domestizieren Menschen Tiere. Heute sind 90 Prozent der grossen Tiere domestiziert. Es galt immer als klar, dass wir Menschen uns von den Tieren abheben und das Recht haben, sie zu nutzen. Man sagte, die Tiere hätten keine Seele. Descartes ordnete sie den Maschinen bei. Heute kümmern wir uns mehr um das Wohl der Tiere. Die Biologie lehrt uns, dass auch sie fühlen und leiden. Doch Tierschutz steht mit Wirtschaftsinteressen in Widerspruch. Wenn Mutterkühe ihre Jungen bei sich behalten dürfen, kompliziert das den Arbeitsablauf. Wenn Käfighaltung verboten wird, braucht es mehr Platz für die Tiere.
«Eine ganz andere, weiterführende Konfliktlösung wäre, wenn kreative Kräfte zum Tragen kämen und Lösungen aus einer ganz neuen Perspektive fänden.»
Solche Konflikte können auf verschiedene Arten angegangen werden. Die schlechteste ist, wenn eine Mehrheit ihre Interessen gegen eine Minderheit durchdrückt, in unserm Fall, wenn das Tierwohl oder die Wirtschaftsinteressen einseitig geopfert würden. Das lässt eine unzufriedene Minderheit zurück. Die zweite ist der Kompromiss. Er ist bedeutend besser; der Nachteil des Kompromisses ist aber, dass man sich dabei der Lösung auf dem tiefsten Niveau verschreibt, einer Minimallösung, zu der alle noch irgendwie stehen können. Das wäre zum Beispiel der Fall, wenn die grausame Tierhaltung beibehalten, aber mengenmässig begrenzt würde. Eine ganz andere, weiterführende Konfliktlösung wäre, wenn kreative Kräfte zum Tragen kämen und Lösungen aus einer ganz neuen Perspektive fänden. So wenn zum Beispiel die Wirtschaft mit ganz neuen, aber tierschonenden Produkten belebt würde. Abstimmungen sind auf Ja oder Nein angelegt, Fantasie können wir beim Abstimmen kaum entwickeln. Unaufgeregte, fantasievolle ParlamentarierInnen sind gefragt.
Fairfood-Initiative: Ja oder Nein? Eine zwiespältige Frage
Es ist einer der wohl mittlerweile populärsten Begriffe in der heutigen Zeit: die Nachhaltigkeit. Auch in der Fairfood-Initiative spielt sie eine zentrale Rolle. Doch sobald die Nachhaltigkeit zum Thema wird, muss automatisch auch das Thema Portemonnaie mit in die Diskussion einbezogen werden. Und hier sind wir schon mitten im Thema. Die Fairfood-Initiative bietet vor allem in einem Konflikt Diskussionsstoff: Im Wirtschafts-Ethik-Konflikt. Konkret stellt sich bei der Fairfood-Initiative die Frage: Ist mir das Tierwohl wichtiger, als die Bankscheine in meiner Geldbörse? Will ich für nachhaltige Lebensmittel tiefer in die Tasche greifen?
Für die Initianten der Fairfood-Initiative ist klar, die Produktion von umwelt- und ressourcenschonenden Nahrungsmitteln muss auf nationaler wie auch internationaler Ebene gefördert werden. Es sollen in Zukunft mehr tierfreundliche Nahrungsmittel unter fairen Arbeitsbedingungen hergestellt werden.
Kontrollen im Ausland: Qualität auf Kosten des Preises
Konkrete Massnahmen klingen plausibel und haben aber teilweise einen Haken: Der Aufwand ist zu gross. So sollen beispielsweise leicht verarbeitete, importierte Lebensmittel aus dem Ausland die gleichen Standards erfüllen, wie wir sie in der Schweiz haben. Die Konsequenz: mehr Kontrollen im Inland aber auch direkt vor Ort im Ausland. Dies wiederum führt zu einem grossen finanziellen Aufwand, der am Schluss natürlich auch auf den Schultern der KonsumentInnen lastet. Zusätzlich sollen Phänomene wie der Nahrungsmittelverbrauch (Food Waste) bekämpft werden, denn heute werden laut offiziellen Quellen immer noch rund ein Drittel unserer Nahrungsmittel entsorgt.
«Die Initiative klingt sympathisch. Wer will schon Fleisch von Tieren essen, die ihr ganzes Leben eingepfercht in einem engen Stall leben.»
Man muss zugeben: Die Initiative klingt sympathisch. Wer will schon Fleisch von Tieren essen, die ihr ganzes Leben eingepfercht in einem engen Stall leben und zudem mit Medikamenten gefüttert werden, die auch bei uns Menschen zum Schluss schwere Konsequenzen haben könnten? Gleichzeitig muss man sich aber auch die Frage stellen: Wer will noch tiefer in die Tasche greifen, wenn neben dem teuren Bioprodukt im Kühlregal ein ebenso saftig aussehendes Stück Rindsfleisch hängt, dass deutlich billiger ist, zumal man am Wochende in Zürich die Tante besuchen will und das Zugticket allein schon ein Vermögen kostet? Genau hier könnte man doch sparen…
Hier sprechen wir direkt den Wirtschafts-Ethik-Konflikt an. Entscheidend ist am Schluss eben nicht mehr nur unser gesunder Menschenverstand, denn der ist in den Massen, die wir heute an Nahrungsmitteln produzieren, schon lange untergegangen. Entscheidend sind unsere finanziellen Möglichkeiten und unser vor allem durch die Medien vermitteltes Wissen. Denn gäbe es niemanden, der sich um die Erhaschung schlimmer, tierquälerischer Bilder kümmern würde, so hätten wir womöglich teilweise keine Ahnung, wie es auf gewissen Höfen zu und hergeht.
Die Grundlagen sind bereits gelegt
Der Bundesrat ist der Meinung, dass die Initiative «unnötig» sei. Man habe verfassungstechnisch bereits eine sehr gute Grundlage, die die Erweiterungen und Anpassungen von Fairfood bereits beachten. Konkret heisst das, dass in der Bundesverfassung bis dato Folgendes festgehalten wird:
«Er [(der Bund)] erlässt Vorschriften zur Deklaration von Herkunft, Qualität, Produktionsmethode und Verarbeitungsverfahren für Lebensmittel.» (Bundesverfassung, Artikel 104, Absatz 3, Abschnitt c.)
Die InitiantInnen möchten diesen Abschnitt erweitern, eine Grundlage für die Forderungen ist aber tatsächlich bereits in der Bundesverfassung festgehalten, weshalb es der Bundesrat unter anderem empfiehlt, die Initiative abzulehnen.
Schlussendlich muss sich aber jeder einzelne die Frage stellen, ob er oder sie es ethisch vertreten kann, was in der Nahrungsmittelbranche teilweise mit den Tieren angestellt wird, womit sich der Kreis wieder schliesst und wir wieder beim eingangs erwähnten Wirtschafts-Ethik-Konflikt sind.
Über den folgenden Link können sich Interessierte ein animiertes Gedankenexperiment zum Thema Tierethik anschauen, dass vom bekannten Philosophen Richard David Precht konzipiert und von SRF Kultur in der Reihe «Filosofix» animiert wurde: Das Gedankenexperiment «Menschenfleisch»: https://www.srf.ch/kultur/gesellschaft-religion/filosofix
Aus dem Initiativtext (Art 104a)
1 Der Bund stärkt das Angebot an Lebensmitteln, die von guter Qualität und sicher sind und die umwelt- und ressourcenschonend, tierfreundlich und unter fairen Arbeitsbedingungen hergestellt werden. Er legt die Anforderungen an die Produktion und die Verarbeitung fest.
2 Er stellt sicher, dass eingeführte landwirtschaftliche Erzeugnisse, die als Lebensmittel verwendet werden, grundsätzlich mindestens den Anforderungen nach Absatz 1 genügen; für stärker verarbeitete und zusammengesetzte Lebensmittel sowie für Futtermittel strebt er dieses Ziel an. Er begünstigt eingeführte Erzeugnisse aus fairem Handel und bodenbewirtschaftenden bäuerlichen Betrieben.
3 Er sorgt dafür, dass die negativen Auswirkungen des Transports und der Lagerung von Lebens- und Futtermitteln auf Umwelt und Klima reduziert werden.
Das offizielle Video des Bundes zur Abstimmung.