Text: Gaby Jordi
Die Spannung steigt im UND-Raum an diesem 2. November um 19.25 Uhr. Ein aktueller Parteipräsident und eine Fast-Bundesrätin sind bereit für das Politpodium von UND Generationentandem und der Kirchgemeinde Steffisburg.
Veronika Michel, Pfarrerin in der Kirchgemeinde Steffisburg, begrüsst die eingeladenen Gäste sowie die dem Live-Stream folgenden ZuschauerInnen. Gerechtigkeit, Frieden und die Wahrung der Schöpfung, dafür engagiert sich die Kirche, so Pfarrerin Michel. Konzerne sollen für Schäden, die sie anrichten, geradestehen und dafür Verantwortung übernehmen. Es geht auch um das Image der Schweiz.
Moderatorin, Lara Thurnherr, begrüsst ihrerseits die PodiumsteilnehmerInnen und startet mit einem Gedankenexperiment
in die Diskusionsrunde:
Stellen Sie sich vor, Sie wären Chef/Chefin eines international tätigen jedoch
in der Schweiz ansässigen Unternehmens. Für welche Missstände und Risiken fühlen Sie sich verantwortlich?
Regula Rytz hofft, dass es keine Missstände geben würde, für die sie sich verantworten müsste. Allerdings ist ihr klar, dass, wer international tätig ist, dafür verantwortlich ist, was vor Ort passiert. Sie würde sich für gute Arbeitsbedingungen einsetzen, lokal mit den Behörden zusammenarbeiten. Dieser Verantwortung sollten sich alle Unternehmen bewusst sein.
Jonas Lüthy stimmt Rytz‘ Aussagen im Grundsatz zu. Sinnvolles Wirtschaften verlange, dass «man zu seinen Sachen und zur Umwelt schaut». Das sei auch im Herz eines jeden Unternehmers. Das beinhalte, dass ich für mein Unternehmen hafte, für das, was ich konkret verursache. Nicht jedoch für Zulieferer. Und wichtig: Ich hafte dort, wo ich etwas vergehe, und nicht in irgendeinem Land. Standards im Bereich Menschenrecht und Umweltschutz müssen respektiert werden.
Janina Aeberhard möchte als Unternehmerin garantieren, dass global und international anerkannte Mindeststandards für Menschenrechte und Umweltschutz respektiert werden. Hier hat sie den Anspruch, dass diese in beim Wirtschaften in der Schweiz und im Ausland eingehalten werden müssen. Sie könne nicht nur ihr eigenes Gärtchen sorgfältig bewirtschaften, hingegen im Ausland vor diesen Standards die Augen schliessen.
Gerhard Pfister: Als Chef eines Unternehmens ist man verantwortlich für das, was das Unternehmen, sowie für das, was man als Unternehmer tätigt. Ebenso für das, was die Mitarbeitenden tun. Hingegen ist man nicht in der Verantwortung für das, was man nicht selber beeinflussen kann. Also für Handlungen, wofür weder ich selber noch das Unternehmen Urheber ist. Als Chef eines weltweit tätigen Konzerns glaube ich, dass 99 Prozent der im Ausland tätigen Schweizer Unternehmen sich verantwortlich verhalten. Sie nehmen diese Verantwortung sehr ernst. Sie setzen sich dort, wo sie tätig sind, für eine bessere Welt, Wohlstand, Gerechtigkeit und für Arbeitsplätze ein.
Sorgfaltspflicht und Haftung
Die Moderatorin verweist auf den Inhalt der Initiative. Dieser umfasst zwei Teile: Einer betrifft die Sorgfaltspflicht, der andere die Haftung. Falls die Initiative angenommen wird, muss jedes Schweizer Unternehmen prüfen, ob seine Tochter sowie deren kontrollierte Unternehmen die Menschenrechts- und Umweltstandards einhalten oder brechen. Es sei denn, es handle sich um ein KMU, welches in einem tiefen Risikobereich tätig ist. Für Schäden, welche Unternehmen wie wirtschaftlich kontrollierte Tochterunternehmen anrichten, haftet das Schweizer Unternehmen. Es sei denn, das Unternehmen erbringt den Beweis, dass die Sorgfaltspflicht eingehalten wurde.
Weshalb braucht es die Initiative
Wenn 99 Prozent der Schweizer Unternehmen die Standards bereits einhalten – weshalb braucht es dann die Initiative?
An dieser Frage zeigt sich die Uneinigkeit des Pro- und des Kontra- Lagers: Für die BefürworterInnen braucht es diese Initiative für die schwarzen Schafe, welche die Standards nicht als Selbstverständlichkeit betrachten, sich nicht an die Standards halten. Die Schweiz gilt als globaler Standortmagnet für international tätige Konzerne. Als Beispiel wird Syngenta genannt. Syngenta (ein chinesischer Konzern in Basel) produziert sehr gefährliche Pestizide, die in die gesamte Welt exportiert werden. Wenn eine solche Firma von der Schweiz aus wirtschaftet, soll sie unsere Werte einhalten.
In den Zielen ist man sich einig
Die Ziele der Initiative teilen auch ihre Gegner. Menschenrechte und Umweltschutz müssen respektiert werden. Die Differenz besteht in der Ausprägung der Massnahmen. Hier fehlt es an der Differenzierung. Der Text der Initiative unterscheidet nicht zwischen Grosskonzernen und kleinen Unternehmen, KMU’s.
Der Gegenvorschlag beinhaltet eine Berichterstattungspflicht für grössere Unternehmen. Nach Meinung der BefürworterInnen der Initiative geht diese Berichterstattungspflicht jedoch zu wenig weit. Es wird nicht auf die Sorgfaltspflicht und die zivilrechtliche Haftung abgestellt. Das bedeutet: Die Einhaltung der globalen Mindeststandards basiert weiterhin auf Freiwilligkeit. Wir brauchen griffige Richtlinien, welche den Rahmenbedingungen einer globalisierten Wirtschaft angepasst sind. In den Augen der BefürworterInnen ist der Gegenvorschlag viel zu lasch.
Christoph Siegrist bezieht für die reformierte Kirche Stellung: Bei der Erarbeitung dieser Initiative waren auch die Hilfswerke von Anfang an involviert. Wichtig sei, dass die internationalen Standards nach der UNO- Menschenrechtskonvention überall umgesetzt werden.
Die geforderte Beweislastumkehr kann von den Initiativgegnern nicht mitgetragen werden. Eine lückenlose Überwachung der Lieferkette ist nicht möglich.
Was ist am Gegenvorschlag schlecht?
In dessen Mittelpunkt steht einzig die Berichterstattungspflicht. Es braucht eine Sorgfaltsprüfung und zivilrechtliche Haftung. Der Gegenvorschlag ist zahnlos. Diese Einschätzung teilen die Initiativgegner nicht. Nach ihnen orientiert sich der Gegenvorschlag an den internationalen Standards Der Ansatz der Initiative führt zu mehr Bürokratie, man wittert eine Flut von Klagen. Mit der Annahme der Initiative hätte die Schweiz das strengste Gesetz im internationalen Vergleich, ein Schweizer Alleingang. Man hegt die Befürchtung, dass der Standort Schweiz bei Annahme der Initiative unattraktiv wird. Auch einen Verlust von Steuereinnahmen wegen erhöhten Verwaltungsaufwands durch die KoVI können wir uns nicht leisten.
Input von Stefan Brupbacher: Das Klagerecht und die Beweislastumkehr ist gemäss ihm das Ende der Reputation. Sie kann innerhalb einer Woche durch negative Zeitungsberichte zerstört werden. Das wird nicht durch eine Beweislastumkehr wieder richtig gestellt werden können. Der Gegenvorschlag hingegen basiert auf dem, was in den vergangenen 20, 25 Jahren funktioniert hat, nämlich: einem kooperativen Ansatz. Die absolute Armut hat seit den 1990er-Jahren um 80 Prozent abgenommen. Der Gegenvorschlag wird dazu führen, dass mehr Transparenz in den Bereichen Kinderarbeit und Konfliktmineralien geschaffen wird. Hier muss die Kontrolle der Lieferketten organisiert werden. Haftungsrisiko und Reputationsschäden können verhindert werden.
In der Schlussrunde fordert die Moderatorin ihre Podiumsgäste auf, ihr jeweils bestes Argument gegen die eigene Position seitens der gegnerischen Seite zu äussern:
Janina Aeberhard: Ja, eine Anklage kann der Reputation eines Unternehmens schaden. Ich bin jedoch nicht der Meinung, dass es zu unbegründeten Anklagen kommen wird, weil unser Schweizer Prozessrecht hohe Hürden hat.
Jonas Lüthy: Es ist schon wahr, dass das eher bürgerliche Parlament den eventuell angenommenen Initiativtext noch in einem konkreteren Gesetzesartikel ausarbeitet. Aber es ist ein staatspolitischer Witz, dass das Parlament aus einem so unpräzisen Verfassungsartikel einen guten Gesetzesartikel ausarbeiten können soll.
Regula Rytz nennt den Verfassungstext, der noch kein Gesetzestext ist. Die Themen müssen in der Umsetzung noch präzisiert werden. Sie sieht dies auch als Chance, um aufeinander zuzugehen, um all die gerade diskutierten Fragen noch zu klären. Für Gerhard Pfister ist das allerbeste Argument dieser Initiative jenes, das praktisch nicht zu widerlegen ist: Menschenrechte, Umwelt und Schöpfung müssen gewahrt werden. Was das Argumentieren gegen die Initiative eben auch so schwer macht.
Wer organisiert dieses Politpodium?
UND Generationentandem lanciert vor eidgenössischen Abstimmungen regelmässig Politpodien. Die aktive politische Debatte ist durch Corona bedroht. Der politisch und konfessionell unabhängige Verein will einen Beitrag zu einer breiten gesellschaftlichen Diskussion über wichtige Abstimmungsvorlagen leisten. Die Podien werden durch junge NachwuchsmoderatorInnen geleitet. Das Publikum kann sich während der Debatte mit Fragen via WhattsApp und E-Mail beteiligen: So macht Politik Freude.
Dieses Politpodium wurde gemeinsam mit der reformierten Kirchgemeinde Steffisburg organisiert.