Was ist Lichtverschmutzung?
Der Begriff «Lichtverschmutzung» bezeichnet die dauernde Abwesenheit völliger Dunkelheit. Dabei wird der Nachthimmel durch künstliche Lichtquellen aufgehellt, besonders wenn das Licht auch nach oben abgestrahlt wird. Das Licht wird in den Luftschichten der Erdatmosphäre gestreut. Über Städten spricht man auch von deren Lichtglocke oder Lichtkuppel.
Die gegen oben gerichteten und reflektierten Lichtemissionen haben sich in der Schweiz seit den 1990er-Jahren mehr als verdoppelt, natürlich dunkle Gebiete werden immer seltener. Im Schweizer Mittelland ist der Nachthimmel durch die künstliche Beleuchtung so stark aufgehellt, dass von blossem Auge nur noch ein Bruchteil der potenziell wahrnehmbaren Sterne sichtbar ist. Im Naturpark Gantrisch ist der Nachthimmel nur 0,3-fach aufgehellt, in der Stadt Bern 40-fach.
Knips: Ich schalte das Leselicht aus und lege meinen Kopf auf das Kissen. Müde versuche ich, einzuschlafen, doch es will mir nicht gelingen. Etwas stört mich. Ich schlage die Augen auf und blicke aus meinem Dachfenster in den bewölkten Nachthimmel – er leuchtet! Gedämpft und mit einem orangen Farbstich, der bestimmt nicht von den versteckten Sternen kommt. Doch woher sonst? Könnte das die Lichtverschmutzung sein? Vielleicht sind es die Wolken, die die Strassenbeleuchtungen und Leuchtschilder reflektieren. Während ich darüber nachgrüble, schlafe ich ein.
Darleen Pfister (20)
Draussen – ungestört?
Der Mangel an Dunkelheit übt zahlreiche störende Einflüsse aus: Nachtaktive Insekten werden gestört und verenden zu Millionen an den Lampen. Zugvögel werden von ihren Flugbahnen abgelenkt. Vögel fangen in den Städten früher an zu singen und sind auch abends länger aktiv. Der biologische Tag-Nacht-Zyklus vieler Tiere ist gestört. Menschen leiden zunehmend an Schlaflosigkeit. Astronomische Beobachtungen sind stark beeinträchtigt. So ist in Städten und deren «Speckgürtel» die Milchstrasse nicht mehr sichtbar.
Geblendet von den Lichtern staunen einige Gesichter in diesen Garten. Jede Pflanze, jeder Baum, jeder Zaun ist «belichtet». Die tausenden LED-Lämpchen mögen nicht nur Menschen erschrecken. Tiere werden sich in diesem Garten kaum niederlassen können. Ist so viel Licht nötig?
Manuj Breier (20)
Wie geht’s uns mit dem Licht?
Der heutige Mensch hat am Tag zu wenig und in der Nacht zu viel Licht! Damit die innere Uhr synchronisiert werden kann, muss der Mensch pro Tag mindestens 30 Minuten der Beleuchtungsstärke 1000–2000 lx ausgesetzt sein, am besten bei natürlichem Tageslicht. Bei geringeren Beleuchtungsstärken sind längere Expositionen erforderlich. In unseren Breitengraden werden diese Werte, draussen unter freiem Himmel, auch im Winter über Mittag problemlos erreicht. In den Innenräumen liegen diese Werte in der Regel viel tiefer. Da heutzutage immer mehr Menschen sich vermehrt in Innenräumen aufhalten, wird der Tageslichtbedarf zum Einstellen der inneren Uhr teilweise unterschritten. Die Folgen sind ähnlich denjenigen, die bei einem Jetlag vorkommen.
Übernachten im VW-Bus. So letztens in Spanien. Vor uns das Meer, mit grossen Wellen, starkem Wind: genial. Dem Strand entlang läuft ein Weg, gesäumt von Strassenlaternen; alles ist hell erleuchtet, die ganze Nacht; hinter uns ein riesiger, menschenleerer Bahnhof, ein Klotz von Neonröhren mit kaltem, sehr hellem Licht, daneben eine Fussgängerwarnanlage, die rote Blitze aussendet.
Esther Lips (65)
In der Nacht stellt sich der menschliche Körper auf Ruhe ein. Zu viel Licht beeinflusst die Qualität des Schlafes. Bereits ab rund 100 lx Beleuchtungsstärke kann die innere Uhr aus dem Gleichgewicht gebracht werden. Vertauscht der Mensch den Tag mit der Nacht, erreicht er nie die gleich gute Konzentration. Der Mensch ist ein Tagtier (nach Dr. Christian Cajochen, PUK Basel, 30. 10. 2002).
Im Unterschied zur Luftverschmutzung, deren Folgen auf die Gesundheit gut untersucht sind, sind die Auswirkungen auf den Menschen bei der Lichtverschmutzung sicher weniger unmittelbar. Aus psychologischer oder philosophischer Sicht ist es möglicherweise ein nicht unwesentlicher Verlust im Bereich der zunehmenden Entfremdung des Menschen. Der bewusste oder auch zufällige Blick zu den Gestirnen kann helfen, andere Dimensionen im Hinterkopf zu behalten und vielleicht bescheidener und umsichtiger zu bleiben oder zu werden, und dies täte uns in der jetzigen Zeit besonders gut.(Dr. Philipp Hurni, Facharzt FMH).
Es gibt Tage, an denen bin ich besonders lichtempfindlich. Da fällt mir immer auf, wie viele unterschiedliche Arten von Licht es gibt. Eine nächtliche Zugfahrt kann wachhalten, während eine Autofahrt am Tag durch dichten Nebel die Augen ermüdet. Sonnenlicht ist eine Vitamin-D-Quelle, ist man ihr allerdings zu lange ausgesetzt, wird man mit Sonnenbrand oder gar einem Sonnenstich bestraft. Manchmal ist natürliches Licht zu grell und künstliches zu penetrant. Wahrscheinlich gilt auch bei Licht: Die Dosis macht das Gift!
Iva Carapovic (23)
Wie’s in unserer Stadt aussieht
Den subjektiven Wahrnehmungen wollen wir doch die praktischen Vorkehren gegenüberstellen, die im öffentlichen Raum selbstverständlich vorgenommen werden. Der folgende Kommentar stützt sich auf Informationen zur Stadt Bern: Philipp Streit, Leiter der Öffentlichen Beleuchtung bei «Energie Wasser Bern» (EWB), hat uns Fragen beantwortet – wie er sie im EWB-Magazin 3/2020 schon dargelegt hatte.
Erstens: «Öffentliche Beleuchtung ist immer ein Kompromiss – ausser bei der Sicherheit.» Wen berücksichtigt EWB dabei alles? AnwohnerInnen, Verkehrsteilnehmende, natürlich; doch Sehenswürdigkeiten und die Tierwelt kommen dazu. Eine bemerkenswerte Breite, namentlich wenn man weiss, dass Menschen ganz unterschiedliche Bedürfnisse anmelden: «Die Meldungen gehen von ‹zu hell› bis zu ‹zu dunkel›. Licht wird sehr individuell wahrgenommen», sagt Philipp Streit. Dasselbe gilt für das «subjektive Sicherheitsempfinden». Sicherheit ist ein weiter Begriff, vom Autofahrer, von der nächtlichen Spaziergängerin, von Behinderten je anders aufgefasst. Als einen wichtigen Sicherheitsaspekt führt Philipp Streit «eine gute Gesichtserkennung» an – neben einer «guten Farbwiedergabe». Was kaum etwas mit Überwachung zu tun hat.
Zu später Stunde schlendert selten jemand auf diesem Privatweg. Trotz des hellen Bahnhofs hinten scheint das Weglicht die ganze Nacht. Wo doch die heutige Technik die Bewegungsmelder erfunden hat. Für den Anwohner gab es schon schlaflose Nächte, da das Licht auch sein Schlafzimmer erhellt.
Dirk Breier
Zweitens: «So viel wie nötig, so wenig wie möglich» zeigt, dass EWB aktuellen Forderungen gerecht werden will. Denn zu den Normen, die die Firma einzuhalten hat, kommen Ansprüche auf Energieeffizienz, auf Sparen – und unser Thema Lichtverschmutzung ist ihr geläufig. Da kann EWB auf etliche erstaunliche Massnahmen verweisen: auf die LED-Lampen, die Strom sparen, lange halten, besser zielen, nicht nach allen Seiten, und «nur noch warmweisses Licht»; auf das Dimmen in späten Stunden, ja auf «dynamisches Dimmen – auch Licht nach Bedarf genannt»; sogar auf Leuchten, die miteinander kommunizieren: Da kommt jemand daher – «damit Personen nie ins Dunkle kommen und das Licht ihnen immer ein wenig vorausgeht».
Der öffentliche Betrieb und die Technik leisten viel; müssen wir auf die einzelnen AnwohnerInnen zurückgreifen? «Licht heisst aber auch privates Licht oder kommerzielles Licht. Aus meiner Sicht gibt es in diesen Bereichen noch viel Potenzial», ist Philipp Streit überzeugt – «Stichwort: Private Kugelleuchten bei Hauseingängen oder Werbebildschirme oder Beleuchtungen von Schaufenstern».
Auf der andern Strassenseite die Schaufenster des Second-Hand-Ladens – fantasievoll dekoriert. Verschiedene Lichtquellen, auch hinten im Lokal, tragen das Ihre bei – die ganze Nacht. Niemand geht mehr vorbei (oder dann vermag er die Auslage nicht mehr zu würdigen). Der Laden scheint einfach zu verkünden: Ich bin da. Und da ist der Bewegungsmelder an der Hausecke vis-à-vis. Vor Jahren wohl installiert, weil Nachtschwärmer die Ecke missbrauchen, sprayen, Wasser lassen… Licht in dunkle Geschäfte! Ich denke, er erfüllt seine Pflicht – auf- und abzuschrecken – mehr schlecht als recht; harmlose Passanten tragen noch einen Schreck davon.
Heinz Gfeller (72)