Draussen regnet es in Strömen, es ist Samstagmorgen, 8 Uhr. Wenn Krisen als Wetterlage beschrieben werden würden, dann vermutlich so. Bei Wolkenbrüchen hilft ein Regenschirm, doch was können Gemeinden tun, wenn der Krisenmodus zum Dauerzustand wird? «Ruhe bewahren und weitermachen», lautet der Titel des 17. Politforums Thun.

Während sich der grosse Saal des KK Thun zum zweiten Teil des Forums langsam füllte, blätterte in der linken Bühnenecke Bänz Friedli in der Zeitung. Er sass an einem grossen Holztisch, in der Ecke stand ein Garderobenständer, über ihm baumelte eine Hängelampe. Neben dem inszenierten Wohnzimmer befand sich die bunt leuchtende Hauptbühne mit schwebender Leinwand und schlichtem Rednerpult, eingerahmt von pinken Neonröhren. Im rechten Teil warteten gemütliche Ledersessel darauf, von Gesprächsgästen besetzt zu werden. Etwas weniger jung und modern war dagegen das Publikum: In den Reihen sassen plaudernde PolitikerInnen und VertreterInnen von Behörden, alle ungefähr zwischen 50 und 60 Jahre alt, so wie man sich Gemeinderäte und -verwaltungen etwa vorstellt.
«Etwas weniger jung und modern war dagegen das Publikum: In den Reihen sassen plaudernde PolitikerInnen und VertreterInnen von Behörden, alle ungefähr zwischen 50 und 60 Jahre alt.»
Darleen Pfister
Mangelhafte Krisenresistenz
Als der Kabarettist das Forum mit Witzen über den Kinderspielplatz der Gemeinde Rubigen einläutete, schienen die Corona-Pandemie, der Klimawandel, der russische Angriffskrieg und die Energiemangellange weit weg. Die Tagesmoderatorin Sonja Hasler holte das Publikum jedoch schnell in die Realität zurück: «Wir haben immer noch Krise als Thema. Das könnte man nach Bänz fast vergessen.» Spätestens mit dem ersten Vortrag des Berner Regierungsrats und Sicherheitsdirektors Philippe Müller wurde wieder allen in Erinnerung gerufen, welche Probleme die aktuelle Weltlage bereithält. Sachlich und direkt brachte er in seinem Vortrag über die sicherheitspolitischen Herausforderungen von Kanton und Gemeinden im Kanton Bern auf den Punkt.
«Es gibt einen Mangel an Krisenresistenz, oder in anderen Worten, an Resilienz.»
Philippe Müller
Dabei stellte er nicht gerade ein positives Zeugnis für das bisherige Krisenmanagement der Behörden aus: Es gebe einen Mangel an Krisenresistenz, oder in anderen Worten, an Resilienz. Ausserdem gestalte sich der Einstieg in den Krisenmodus etwas schwierig, denn: «Wenn wir das Gefühl haben, es geht uns gut, sind wir etwas nachlässig.» Deshalb würde er den Titel des Politforums auch abändern: Von «Ruhe bewahren und weitermachen» zu «Ruhe bewahren und vorbereitetes und geübtes Weitermachen».
Anpassung gegen Naturkatastrophen
Das sieht auch Nils Hählen so. Der Leiter der Abteilung der Naturgefahren des Kantons Bern appelliert im nächsten Vortrag an InfrastrukturbetreiberInnen und GebäudebesitzerInnen, präventiv robuste Schutzmassnahmen gegen Naturkatastrophen umzusetzen. Es bestehe nämlich dringender Handlungsbedarf: «Der Klimawandel steht uns nicht bevor, wir sind mittendrin.» Der ausgebildete Forstingenieur illustrierte mithilfe zahlreichen Statistiken, was das für Auswirkungen hat. Während hinter ihm Videos von Schlammflüssen, Staubwolken und Überschwemmungen ablaufen, erzählt er trocken von Hochwassern im Winter, geschmolzenem Grindelwaldgletscher und dass es «bald einmal» schwierig werden könnte, in der Lenk Ski zu fahren. Diese Szenarien missfallen nicht nur den Lenker Gemeindevertretenden.

«Ein Experte, den man versteht», kommentierte Bänz Friedli den Vortrag. Damit hatte er Recht – Nils Hählen hat berndeutschen Klartext gesprochen. Nicht nur, weil er Wörter wie «Chemp» verwendet hat, sondern auch, weil die Menschen die Sinnhaftigkeit hinter dem Schutz vor Naturgefahren sehen, wie der Experte selbst gesagt hat. Nach den zwei ernüchternden Referaten schaffte es der Kabarettist in seinem satirischen Intermezzo jedoch, das Publikum im schönsten Parmelin-Akzent über die Stromspar-Massnahmen des Bundes wieder zum Lachen zu bringen.
Durch Dialog zu mehr Resilienz
Etwas weniger umgangssprachlich, dafür wesentlich optimistischer waren die nächsten beiden Referenten Romano Wyss und Tobias Luthe. Sie leiten gemeinsam die Mountain Resilience Arbeitsgruppe der Universität Bern. Mit schönen Grafiken und komplizierten Fremdwörtern erzählte das Tandem, dass Krisen und Veränderungen als Chancen betrachtet werden müssen. Nur im Dialog mit der Bevölkerung könnten Lösungen für Gemeinden gefunden werden, die beispielsweise vom Skitourismus abhängig seien und unter dem Klimawandel leiden. Wie das denn konkret umgesetzt werden könne, fragte ein Gast. Romano Wyss schlägt einem eingehenden Skitourismusort zum Beispiel ein Coworking Space vor – Hauptsache, eine Begegnungszone wird geschaffen.

Vorsichtiger Optimismus
Der milde Winter beschäftigt auch den CEO der BWK AG Robert Itschner. Er freute sich über den starken Regen an diesem Tag, der die Stauseen wieder füllte. Sein Optimismus blieb allerdings verhalten: «Wir können uns nicht beruhigen. Der Winter ist zwar durch, doch wir müssen eine gewisse Vorsicht an den Tag legen.» Die Stromknappheit bleibe auch in den nächsten Jahren eine Herausforderung, insbesondere in den kalten Monaten.

Um dieser zu begegnen, brauche es jedoch «massiv mehr Tempo» bei Investitionen in Wind- und Wasserkraft, weil das am günstigsten und effektivsten sei. Während Itschner BelpmoosSolar lobte und betonte, nichts mit dem schwimmenden Solarkraftwerk auf dem Thunersee zu tun zu haben, wandelte sich draussen der Regen in Schnee.
Angepasster Teller
In der Pause standen die Forumsteilnehmenden vor dem Kuchenbuffet Schlange. Wäre das auch nach Christian Hofers Referat noch der Fall gewesen? Er ist der Direktor des Bundesamtes für Landwirtschaft und zählte Massnahmen auf, wie die Versorgungssicherheit gewährleistet werden könne. Eine davon ist die gesündere und angepasstere Ernährung – also keine Nussgipfel. Zumindest nicht so oft, wie wir sie aktuell essen. Um diese Versuchung zu verringern, müsse das Ernährungsumfeld angepasst werden: Anstelle von Pizza- und Dürüm-Take Aways sollen an Bahnhöfen mehr Äpfel und krumme Karotten verkauft werden.

Experimente gegen Fachkräftemangel
Sich besser verkaufen muss sich nicht nur unperfektes Gemüse, sondern auch die Gemeinden, fand Robert Zaugg. Der Universitätsdozent und Unternehmer betonte, dass uns der kommunale Fachkräftemangel länger begleiten werde und nicht von sich aus verschwinde. Trotz dieser negativen Botschaft schaffte er es mit seiner lockeren Art sogar, Bänz Friedli Konkurrenz zu machen. Neben guten Sprüchen brachte er auch zahlreiche Massnahmen gegen fehlende Personalressourcen. Dennoch; eine umfassende Lösung habe er nicht. Wichtig sei, zu experimentieren.

«Die 4-Tage-Woche ist das neue Homeoffice, diese Veränderung wird kommen».
Jöelle Bühler
Diese Realität kennt auch der Adelbodner Gemeinderatspräsident Markus Gempeler, wie er im anschliessenden Podiumsgespräch erzählte. Aufgrund fehlender Personalressourcen habe das Bergdorf aktuell keine Baudirektion. Sein Rezept gegen die hohe Belastung sei die Aufteilung: «Die Zusammenarbeit von Randgemeinden ist ein ‘zur-Wehr-setzen’ gegen Zwangsfusionen.» Die Leiterin des Personalamtes der Stadt Thun, Jöelle Bühler, will dagegen die Haltung gegenüber Jungen verändern, damit sie länger auf der Verwaltung bleiben. Zudem ist sie überzeugt: «Die 4-Tage-Woche ist das neue Homeoffice, diese Veränderung wird kommen».
Gut gerüstet
Zwei Tage lang Vorträge über Krisen hören – macht das nicht pessimistisch? Im Gegenteil, findet die Teilnehmerin Christine Hofer. Sie habe in den Referaten Instrumente für mehr Resilienz in Gemeinden besser kennengelernt, die sie als Geschäftsleiterin der Gemeinde Kirchberg nun nutzen wolle. Diesen Optimismus teilt auch Fritz Jenzer, Teilnehmer und Präsident des Vereins Bildungszentrum für Wirtschaft und Dienstleistung. Die ReferentInnen hätten praxisorientierte Wege aufgezeigt, wie wir aus der Krise kommen – das habe ihn überzeugt.


Resilienz entwickeln und einfach weitermachen: Diese Strategie scheint angekommen zu sein. Auch bei Bänz Friedli, der das Politforum in breitem Oberländer-Dialekt mit einem Zitat von Nils Hählen zusammenfasst: «Es chunnt e Chemp obe achi, es git e Veränderig vor Landschaft u de isch umi guet.» Beschwingt und optimistisch ging das Publikum von einem krisengeprägten Forum nachhause. Der Schnee ist inzwischen geschmolzen.

Das Politforum Thun
Das Politforum Thun ist ein etablierter Anlass für Politikerinnen und Politiker sowie Behördenmitglieder aus allen politischen Ebenen im Kanton Bern. Dank hoher Aktualität der Themen sowie attraktiven Referentinnen und Referenten hat der Anlass ein grosses Stammpublikum und grosse Anziehungskraft auch für neue Behördenmitglieder.