Generationenforum zum Nachschauen und Nachhören
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In Thun fehlt es aktuell an Wohnraum. Nur gerade 0,19% der Wohnungen stehen aktuell leer, man kann also richtiggehend von einer Wohnungsnot reden. Warum das so ist und wie dieses Problem politisch, aber auch gesellschaftlich angegangen werden könnte, darüber diskutierten im Politpodium am 23.08.2023 unter Moderation von Luc Marolf von «und» folgende Gäste:
- Adrian Christen (50) ist dipl. Architekt FH, SP Stadtrat seit 2015,Mitglied Sachkommission Bau und Liegenschaften, Präsident Pro Velo Region Thun und seit 2018 Co-Präsident Wohnbaugenossenschaft Zukunft Wohnen.
- Edith Siegenthaler (40) ist Präsidentin des Kantonalen Mieterinnen- und Mieterverbands und setzt sich im Grossen Rat für faire und bezahlbare Mieten ein.
- Peter Aegerter (66) war während seinem Berufsleben in der Baubranche (Architektur/Bauleitung/Gebäudebetrieb) tätig und ist seit 2011 Mitglied im Thuner Stadtrat.
- Madeleine Amstutz (44), Grossrätin Kanton Bern und Vorstandsmitglied des Hauseigentümerverbands Sektion Thun, SVP.
Mit auf der Bühne: Susanne Szentkuti (43), Stadtplanerin der Stadt Thun.
Warum haben wir eine solche Wohnungsnot? Susanne Szentkuti antwortet: Einerseits liege das natürlich an der sehr hohen Lebensqualität hier im Tor zum Oberland, die viele Menschen in die Stadt lockt und für eine hohe Nachfrage an Wohnraum sorgt. Gleichzeitig sei es aber auch so, dass in den letzten zehn Jahren in Thun verglichen mit anderen Städten sehr wenig neuer Wohnraum geschaffen worden sei. Mehr Wohnungen zu bauen, sei auch nicht mehr so einfach wie früher, wo die Stadt einfach immer weiter auf die grüne Wiese hinauswachsen konnte. Heute müsse man sich im bestehenden Stadtraum weiterentwickeln und Lösungen finden, diesen optimal zu nutzen.

Genossenschaftlicher Wohnungsbau: Die Lösung aller Probleme?
Natürlich reicht es nicht aus, wenn einfach nur mehr Wohnungen existieren würden – sie müssten gleichzeitig auch erschwinglich bleiben. Eine Mehrheit des Publikums im Saal gibt an, Angst zu haben, einmal keine bezahlbare Wohnung mehr zu finden. Deshalb erhält ein Thema wiederholt besondere Aufmerksamkeit, nämlich die genossenschaftlichen beziehungsweise gemeinnützigen Wohnungen.
Wie Susanne Szentkuti erklärt, handelt es sich dabei um Wohnungen, bei denen der Mietpreis nur zur Deckung der Bau- und Unterhaltskosten verwendet wird (sogenannte «Kostenmiete»), mit denen also keine Rendite erzeugt werden soll. Längerfristig würden die Mietpreise bei Genossenschaftswohnungen deshalb deutlich niedriger als bei gewöhnlichen Mietwohnungen ausfallen. Thun habe eine lange Tradition an gemeinnützigem Wohnungsbau, heute liege der Anteil an solchen Wohnungen aber nur noch bei knapp 10% aller Mietwohnungen.
Das solle sich ändern, findet Adrian Christen, es brauche wieder mehr gemeinnützige Wohnungen, denn diese würden viele Vorteile mit sich bringen. Dadurch, dass sich auch Junge und Menschen mit geringem Einkommen eine solche Wohnung leisten könnten, fördern sie die soziale Durchmischung. Auch Peter Aegerter findet genossenschaftliches Wohnen grundsätzlich eine gute Sache. Allerdings könne dieses heute nicht mehr in derselben Form wie vor einigen Jahrzehnten stattfinden. Früher habe es noch dazugehört, dass man selber Pflichten im Haus hatte, etwa das Treppenhaus zu putzen oder sich um den Garten zu kümmern. Heute wollen MieterInnen aber, dass derartige Aufgaben von der Hausverwaltung übernommen werden. Auch müssten neue Bauten moderne Standards erfüllen. Dadurch würden die Betriebskosten viel höher und es würde schwieriger, die neuen Wohnungen wirklich günstig zu vermieten, eine Tatsache, der sich viele BefürworterInnen nicht bewusst seien.
Madeleine Amstutz fügt hinzu, dass es kein Problem sei, wenn genossenschaftliche Wohnungen durch InvestorInnen gebaut würden – häufig würde aber bei den Forderungen nach mehr solchen Wohnungen auch die Erwartung mitschwingen, dass der Staat den Kauf von Bauland und den Bau selbst mit Steuergeldern unterstützen solle. Das sei nicht nötig, besonders nicht, da nach einer Studie der Raiffeisenbank mindestens 50% der BewohnerInnen von genossenschaftlichen Wohnungen sich auch eine Wohnung zu marktüblichen Preisen leisten könnten. Edith Siegenthaler entgegnet, günstiges Wohnen sei keineswegs nur für die unteren Bevölkerungsschichten gedacht. Das Ziel sei, dass alles bezahlbaren Wohnraum haben können und desto weniger Geld man für das Wohnen aufwenden müsste, desto mehr habe man für andere Ausgaben zur Verfügung.
Niemand unter den Podiumsgästen ist dem gemeinnützigen Wohnungsbau grundsätzlich abgeneigt. Vonseiten von Susanne Szenkuti wird betont, dass dieser zwar ein wichtiger Baustein für die Stadtentwicklung und damit verbundene gesellschaftliche Herausforderungen sei, es aber auch andere Wohnungsformen gibt, welche zur städtischen Vielfalt beitragen. Von rechter Seite kommt ebenfalls, dass die konkrete Wohnform weniger wichtig sei, als dass überhaupt wieder mehr gebaut werden könne – und es genau dafür aktuell einfach zu viele Hindernisse, zu viele Vorgaben und Reglemente gebe, die Bewilligungsverfahren viel zu lange dauern würden. Hier müsse die Politik bessere Rahmenbedingungen schaffen.
Warum steigen die Miet- und Immobilienpreise immer weiter?
Auch die Kosten bei nicht-genossenschaftlichen Wohnungen werden thematisiert. Zwischen 2000 und 2022 sind die durchschnittlichen Mietpreise in Thun um 30% angestiegen. Warum das? Für Edith Siegenthaler gibt es dafür keinen triftigen Grund. VermieterInnnen würden die Mietpreise bei einer neuen Vermietung oftmals rein willkürlich erhöhen, so dass man als NeumieterIn teilweise viel mehr bezahle als jemand, der oder die schon lange im gleichen Haus wohnt. Madeleine Amstutz widerspricht dem, die Mietpreise würden keineswegs grundlos erhöhen, stattdessen müsse man als VermieterIn heute immer mehr Vorgaben und Standards befolgen, etwa im Bereich Umwelt und Energie, weshalb die Aufwandskosten immer höher würden. Peter Aegerter fügt an, angesichts der steigenden Nachfrage sei es kein Wunder, dass auch die Preise immer weiter ansteigen würden.
Für Madeleine Amstutz sollte es auch generell das Ziel sein, dass die Menschen nicht zum Mieten gezwungen wären, sondern sich auch wieder vermehrt selbst Wohneigentum leisten könnten. Mit den immer weiter steigenden Immobilienpreisen sei dies ausser per Erbschaft kaum noch möglich, nicht zuletzt durch zu hohe Steuern beim Eigentumserwerb und -besitz. Aber hier würde sich die linke Seite dagegen wehren, gerade für Junge den Weg zum Wohneigentum zu vereinfachen. Adrian Christen findet zwar ebenfalls, dass es auch mehr Eigentumswohnungen bräuchte, doch insgesamt gäbe es halt viel mehr MieterInnen als EigentümerInnen, weshalb man der Wohnungsnot primär mit mehr Mietwohnungen begegnen müsse.
Wer soll oder muss Platz machen?
Obwohl Wohnraum immer teurer wird, ist die Wohnfläche pro Kopf in der Schweiz in den letzten zehn Jahren ebenfalls angestiegen. Heute hat jede Person durchschnittlich 46,5 Quadratmeter zur Verfügung. Das liege daran, dass im Vergleich zu früher mehr Menschen alleine leben und sich dies dank dem hohen Lebensstandard auch leisten können. Auch gibt es immer mehr ältere Menschen, die möglichst lange in ihren Wohnungen bleiben wollen. Angesichts der Wohnungsnot stellt sich hier die schon im Titel des Podiums platzierte Frage: Braucht es so viel Raum pro Person, oder sollte diesem Zustand entgegengewirkt werden, entweder mit Anreizen oder Gesetzen? Zweifelsohne ein kontroverses Thema. Bei der Frage, ob man selber bereit wäre, den eigenen Wohnraum zu verkleinern, um mehr Platz zu schaffen, ist das Publikum dementsprechend gespalten. Ja und Nein erhalten beide fast genau gleich viele Stimmen.

Anreize, die selber genutzte Wohnfläche freiwillig zu reduzieren, seien im Moment keine vorhanden, meldet sich eine Stimme aus dem Saal. Gerade als ältere Person, wenn man alleine in einer eigentlich zu grossen Wohnung lebt, habe man nichts davon, diese aufzugeben. Wechsle man in eine kleinere Wohnung, zahle man dann oftmals durch die höheren Mietpreise mehr als vorher.
Edith Siegenthaler würde ein System unterstützen, in dem etwa Wohnungstausche gefördert würden, um je nach Wohn- und Familiensituation eine angemessen grosse Wohnung zu finden, gibt aber zu, dieses sei im Parlament aktuell nicht mehrheitsfähig. Adrian Christen weist daraufhin, dass in kleinerem Rahmen derartige Konzepte bereits existieren, etwa im Rahmen von Genossenschaften, bei denen man in eine kleinere Wohnung in der gleichen Siedlung umziehen muss, wenn die Kinder mal ausgezogen sind. Er ist jedoch dagegen, dass jemand unter Druck gesetzt würde, Wohnraum zugunsten von anderen aufzugeben.
Derartiges jedoch von staatlicher Seite her vorzuschreiben, wäre ein Eingriff in die persönlichen Freiheiten, sagt Madeleine Amstutz. Wer sich mehr Wohnraum leisten kann und will, soll dies auch tun können. Peter Aegerter steht auch Anreizen kritisch gegenüber, da auch diese ein zu grosser Eingriff seien. Was es stattdessen brauche, sei eine gute Vorausplanung, damit man frühzeitig die richtige Wohnsituation für den nächsten Lebensabschnitt suchen und finden kann.
Und wie geht es weiter?
Bei der Frage danach, ob die Wohnungsnot in Zukunft noch schlimmer würde oder ob man es schaffen würde, eine Lösung zu finden, ist das Podium für einmal nicht nach Parteilinie gespaltet. Auf beiden Seiten gibt es sowohl eine optimistische als auch eine pessimistische Meinung. Madeleine Amstutz findet, dass es angesichts der langsamen Umsetzung der Raumplanung und der zögerlichen Bautätigkeit unwahrscheinlich sei, dass die Probleme in einigen Jahren in den Griff bekommen werde. Auch für Peter Aegerter gibt es aktuell noch zu viele Hindernisse, doch er ist zuversichtlich, dass wir in zehn Jahren einige Schritte weiter werden. Ebenfalls positiv eingestellt ist Adrian Christen: Die Stadt sei angesichts der Entwicklungen in den letzten Jahren bereits heute auf einem guten Weg, auch wenn noch ein langer politischer Prozess warte. Mit dem demographischen Wandel seien solche Prognosen aber schwierig, da man heute noch nicht sagen kann, welche Wohnformen in Zukunft überhaupt gefragt sein werden, sagt zuletzt Edith Siegenthaler.

Was sind für die verschiedenen Gäste schlussendlich die wichtigsten Ansätze gegen die Wohnungsnot? Madeleine Amstutz und Peter Aegerter finden, dass es nicht reiche, nur immer mehr zu bauen, wenn die Bevölkerung weiter wachsen und die Nachfrage nach mehr Wohnraum somit auch nie enden werde. Stattdessen müsse man auch die Zuwanderung begrenzen. Weiter sei es wichtig, Hindernisse abzubauen, damit schneller und unkomplizierter gebaut werden könne. Das Argument gegen Zuwanderung wird auf der anderen Seite nicht unterstützt: Zuwanderung gebe es, weil es bei uns viele Arbeitsplätze habe und die Wirtschafte auf Fachkräfte angewiesen sei. Um die grosse Nachfrage zu bewältigen, sei nötig besser aufzuzeigen, welche Wohnformen es eigentlich alles gebe, damit jedeR diejenige finden kann, die zu ihm oder ihr am besten passt.
Als Fazit bleibt zu sagen: Ob gemeinnützige Wohnungen, Mietwohnungen oder Eigentumswohnungen, ob alleine, mit der Familie oder als WG, ob günstig oder luxuriös: Auch in Zukunft werden in Thun eine Vielzahl an Wohnformen gefragt sein. Die richtige Balance zu finden und genügend Wohnraum für alle zu finden, wird Politik und Gesellschaft definitiv noch lange beschäftigen.
Politpodien von UND: Brisant, kontrovers und fair
UND Generationentandem lanciert vor eidgenössischen Abstimmungen politische Debatten für Menschen aller Generationen. Nationale Persönlichkeiten verschiedenster politischer Couleur treffen aufeinander – moderiert und organisiert durch unsere freiwillig Engagierten. «So fördern wir den Dialog der Generationen zu gesellschaftspolitisch relevanten Themen», erklärt der Initiant und Geschäftsleiter von UND Generationentandem, Elias Rüegsegger.
Partizipativ, digital und innovativ – so lassen sich die Podien beschreiben: Das Publikum bringt sich via Mentimeter in die Diskussion mit ein. Via Livestream können ZuschauerInnen aus der ganzen Welt teilhaben. Die Podien stehen später als Video- und Audiopodcast auf den verschiedenen Plattformen zum Nachhören bereit.
