Die Welt befindet sich in einem Wandel. Das ist unbestritten. Auch in der Politik tut sich etwas. Momentan machen vermehrte Rechtsrutsche gerade weltweit Schlagzeilen. Als Aussenstehende kann man sich durchaus fragen, welche Ursachen dieser Wandel hat. In diesem Zusammenhang steht unter anderem auch immer wieder der Populismus. Doch was ist Populismus eigentlich und wo finden wir aktuelle Beispiele dazu?
Brasilien – der Ruf nach der starken Hand
In Brasilien nimmt der Populismus inzwischen bedrohliche Formen an. Mit Jair Bolsonaro (Bild) wurde im Oktober 2018 ein Präsident gewählt, der für seine frauenfeindlichen, schwulenfeindlichen und rassistischen Sprüche bekannt ist und sich offen für eine Militärdiktatur begeistert. Er will mit Trump zusammenarbeiten, das Pariser Klimaabkommen auflösen und «dem Flirt mit Sozialismus, Kommunismus, Populismus und Linksextremismus» den Garaus machen. Der Bevölkerung Brasiliens geht es schlecht. Konflikte schwelen seit langem im Land. Es herrscht Wut über die Erhöhung der Fahrpreise, die teuren Stadionbauten für die Fussball-WM und die überall verbreitete Korruption und Armut. Wie oft in solchen Situationen entstand der Ruf nach einer starken Hand. Bolsonaro entsprach diesem Ruf.Bei einer Wahlveranstaltung wurde er Opfer einer Messerattacke. Das brachte ihm zusätzliche Popularität, so dass er schliesslich mit 55,5 Prozent zum Präsidenten gewählt wurde. wird von den Massen bejubelt. wka
Extreme, klare Ansichten
Das Wort Populismus stammt vom lateinischen Wort «populus», was so viel wie «Volk» bedeutet. Im Populismus geht es um die Bedürfnisse des Volkes und um alles, was die Menschen – eben das Volk – beschäftigt. Populisten vertreten immer eine sehr klare Meinung, sei es politisch rechts oder links. Da sie die Menschen als «Volk» ansprechen, fühlen sich viele angesprochen. Dadurch wird eine gemeinsame Identität geschaffen, die alle ausgrenzt, die nicht gleicher Meinung sind. Das ist sehr gefährlich, da es speziell in einer Demokratie viele verschiedene Meinungen gibt und geben soll.
Populistische Parteien vertreten extreme und klare Ansichten. Sie liefern auf komplizierte Fragen einfache Antworten. Oft sind ihre Anforderungen und Antworten auf Probleme jedoch unpräzise formuliert und dadurch problematisch in der Umsetzung.
Ursachen des Populismus
Immer mehr Menschen schliessen sich populistischen Parteien an und fühlen sich von ihnen verstanden. Wie kommt es dazu?
Da sind vorerst Ängste und Probleme der Bevölkerung. Arbeitet eine Partei gezielt damit, kann sie diese einfacher für sich gewinnen. Sie thematisiert beispielsweise die herrschende Arbeitslosigkeit oder den drohenden Anstieg der Armut. Damit geht sie gezielt auf die Sorgen der Bevölkerung ein und schafft Grund, sich ihr anzuschliessen. Das Volk wird denen folgen, die versprechen, sich für sein Wohlergehen hart einzusetzen und durchzugreifen. Ein anderer Grund ist mangelnde Information. Wie kann man sich eine Meinung bilden, wenn man nicht gut genug und ehrlich informiert ist?
Wie kann man so die verschiedenen Hintergründe – beispielsweise den Klimawandel betreffend – verstehen? Solange man nicht weiss, worum es geht, sich aber dennoch politisch beteiligen will, ist es problematisch. Die scheinbar am einfachsten vorgehende Partei, nämlich die, die vorgibt, sich um das Wohl des Volks zu kümmern, wird gewählt werden.
PolitikerInnen spielen überall auf der Welt mit der Hoffnung der Menschen. Unabhängig davon, wie es den Menschen in diesen Ländern geht, machen sie glorreiche Versprechen und lassen die WählerInnen im Glauben, verstanden zu sein. Oftmals zeigt sich aber, dass sich die Umsetzung schwieriger als gedacht gestaltet und dass gemachte Versprechen nicht wie geplant eingehalten werden können. Dies wiederum lässt viele BürgerInnen enttäuscht zurück. Wenn dann eine populistische Partei mit einem Wahlprogramm und Zielen daherkommt, die zwar extrem, aber aufgrund ihrer simplen Art leicht verständlich sind, spricht dies enttäuschte WählerInnen an. Und sie schliessen sich jenen an, von denen sie glauben, dass sie noch etwas bewirken können.
Rechts oder links?
Zurzeit geht es in der Politik vorwiegend um Rechtspopulismus. Parteien, die auf der extrem rechten Seite stehen, gewinnen vielerorts die Wahlen. In Italien regieren die Lega und die Cinque Stelle, in Deutsch-land finden die AfD, in Holland Geert Wilders, in Frankreich Marine Le Pen starken Zulauf. Auch in Südamerika ist der Rechtsrutsch unverkennbar. Dabei werden in mehreren Ländern PolitikerInnen in höchste Ämter gewählt, die auf eine ungute, eben populistische Weise rechts stehen. Linkspopulismus ist heute weniger virulent. Während die Rechtspopulisten Stimmen machen, indem sie Menschengruppen wie Flüchtlinge, Fahrende oder «Sozialschmarotzer» anprangern, fangen Linkspopulisten Stimmen durch ihren Einsatz für benachteiligte Bevölkerungsschichten. Wir befassen uns hier mit dem Rechtspopulismus.
Italien – wenn Populisten regieren
In Italien regieren zurzeit zwei populistische Parteien, die rechtsextreme Lega aus Norditalien und die süditalienische Spontanbewegung Cinque Stelle. Beide haben extrem verschiedene Positionen, finden sich aber in einer gemeinsamen Koalition mit einem Regierungsprogramm. Dieses ist eigentlich nicht durchführbar, bringt aber beiden weiterhin Stimmen ein. Die Lega hat Erfolg mit ihrer harten Einwanderungspolitik, Cinque Stelle von Beppe Grillo (Bild) gibt grosszügig Geld in die Sozialwerke. Dem Staat geht es schlecht, die EU rauft sich die Haare über die neu entstehenden Schulden. Die Jugendarbeitslosigkeit im Süden beträgt 50 Prozent, jährlich wandern 50‘000 junge ItalienerInnen aus – aber die Regierung wird in der Bevölkerung gefeiert. Deutlich wird sichtbar, wie auch irrationale Projekte Erfolg haben können, wenn sie die augenblickliche Stimmungslage im Land gut nutzen. wka
Und was denken wir?
Werner: Liebe Julia, wir haben geschrieben, Populisten passten sich der Volksmeinung an. Doch sind dann nicht alle Parteien populistisch? Müssen sie nicht alle der Bevölkerung den Puls fühlen und sich ihren Wünschen anpassen, um überhaupt gewählt zu werden? Tun sie das nicht gerade extrem in der Schweiz ein ganzes Jahr lang vor den Wahlen? Was soll daran also falsch sein?
Julia: Falsch ist es, wenn es ins Extreme geht. Dass ein Extrem – sei es nach links oder rechts – alles andere als förderlich für ein gesellschaftliches Zusammenleben ist, hat sich in der Vergangenheit immer wieder gezeigt.
«Extreme entstehen oft, wenn Not oder Angst die Menschen bedrängt.»
Werner Kaiser
Werner: Ja, und die Extreme entstehen meistens gerade dann, wenn die Not oder die Angst der Menschen gross ist. Um dem Populismus zuvorzukommen, müsste man die Probleme an ihren Wurzeln anpacken: Arbeitslosigkeit, mangelnde Zukunftsperspektiven, Angst vor den Fremden.
Julia: Zudem ist ein gewisses Verständnis für das Geschehen in der Welt unerlässlich, um sich selber eine differenzierte Meinung bilden und dann entscheiden zu können. Bildung ist deshalb wichtig. Auch ein gewisser Wohlstand – materiell, aber auch gesundheitlich – wäre nötig, damit die Menschen unvoreingenommen entscheiden könnten. Denn solange es Menschen auf der Welt so schlecht geht, dass sie auf jede Hilfe angewiesen sind, wird die vermeintlich einfachste Lösung immer am besten klingen.
Österreich – den momentanen Stimmungen folgen
In Österreich zeigt sich das Schwanken der Populisten zwischen Opposition und Teilnahme an der Macht. Die weit rechts stehende Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) begann 1956 als Ansammlung ehemaliger Nazis. Sie startete mit heftiger Kritik an der Regierung, um bald darauf selber Teil der Regierung zu werden. Zwischendurch fiel sie wieder in die Rolle der Opposition. Heute hat sie zwei wichtigen Ministerien inne. Heinz Christian Strache (Bild) ist Vizekanzler. Deutlich zeigt sich auch in Österreich, wie sich populistische Politik chamäleonartig den Themen anpasst. Die Themen der FPÖ wechselten der Stimmung folgend: Die Partei begann mit nationalsozialistischen Parolen, verteidigte dann das «Volk» gegen die «Elite». Später kämpfte sie für den Vorrang der ÖsterreicherInnen vor den «Fremden». Wiederum später verlangte sie, dass nur Einheimische Zugang zu den Sozialwerken erhalten sollten. Und nun trat sie mit grossem Erfolg gegen die illegale Migration an. Das Prinzip ist einfach: Was Stimmen einbringt, ist gut. Wka
Werner: Es gibt Mittel, um dem Populismus Grenzen zu setzen. Neben der Bildung sind es vor allem soziale Verbesserungen in den betroffenen Gebieten. Und doch macht mir der derzeitige Rechtspopulismus Angst. Wir haben die Lage in Italien, Österreich und Brasilien angeschaut (siehe Kästen). Doch auch in Deutschland wächst er, in Frankreich tobt die Wut gegen den Staat, auch in der Schweiz zeigt sich Wut in den Social Media. Man hat den Eindruck, die Welt sei voller Hass, meist gegen die Ärmsten. Soziale Anliegen verlieren an Bedeutung. Oft wird Gewalt angedroht. Ist die Demokratie stark genug, um standzuhalten, wenn eine grosse Führerfigur vor die Massen tritt?
«Und trotzdem glaube ich daran, dass wir von den Social Media profitieren können.»
Julia Steffen
Julia: Ja, teilweise scheint die Lage aktuell prekär zu sein. Und trotzdem glaube ich daran, dass wir in der heutigen Zeit gerade auch von den Social Media profitieren können. Weil sie beispielsweise Informationen innerhalb von wenigen Sekunden weltweit verbreiten können. So ist es auch möglich, Populisten für ihre Aktionen postwendend mit weltweiter Kritik einzudecken.