Im Rahmen der Aktionstage gegen Rassismus lud UND Generationentandem in Zusammenarbeit mit dem KIO (Kompetenzzentrum Integration) zum Podium.
Aufgewachsen in einer Demokratie, wissen wir, dass die Stimme des Volkes gehört wird. Wählen ist Teil des gesellschaftlichen Alltags, aber nicht für alle. Was ist mit denen in unserer Gesellschaft, welche nicht wählen dürfen, und nicht gewählt werden können. Knapp ein Viertel der Gesellschaft hat keinen Zugang zur Formung von politischem und gesellschaftlichem Leben. Als Einstieg ins Podium sagte Gemeinderätin Katharina Ali-Oesch, dass politische Teilhabe alle betrifft, entweder passiv oder aktiv.
Warum braucht es die Aktionstage gegen Rassismus?
Angel-Simon Okaside meint: «Für mich ist es wichtig, dass Rassismus thematisiert wird. Rassismus konfrontiert Leute mit Migrationshintergrund. Hier muss sensibilisiert werden.» Und auch Amina Roçi findet: «Diese Tage braucht es, weil Rassismus alle betrifft. Hier ist man Ausländer, und doch ist man hier Zuhause. Anstelle vom Ausschliessen soll man einbeziehen.»
Einbürgerungsverfahren
Amina Roçi erzählt uns von ihrer Erfahrung mit ihrem Einbürgerungsverfahren: «Ja, ich bin endlich seit Januar 2022 eingebürgert. Das Einbürgerungsverfahren ging ganze zwei Jahre; was ich persönlich nicht nachvollziehen kann. Ich kam hier zur Welt, bin hier aufgewachsen. Ich musste nicht Teil der Gesellschaft werden, sondern war es immer. Im Einbürgerungsprozess sollten Personen von beiden Seiten einbezogen werden. Auch Personen, die schon eingebürgert wurden. Der Prozess soll überdacht werden.» Die Hürden beim Einbürgerungsverfahren sollen abgebaut werden.
Tarek Naguib erklärt dies damit: «Ein Argument, um die Hürde abzubauen, ist das, was wir uns – seit es die Schweiz gibt – auf die Fahne schreiben. Ein Mythos: Die beste Demokratie der Welt zu sein. Und bis vor kurzem haben wir 50 % ausgegrenzt, und nun grenzen wir immer noch 25 % der Bevölkerung aus. Alle, die betroffen sind, sollen mitbestimmen.»
Darshikka Krishnanantham findet auch: «Ich bin eine stolze linke Schweizerin. Alle Länder sollten sich an unserer Demokratie eine Scheibe abschneiden. Wie diese Demokratie gelebt wird. Aber dann, in der Einbürgerung, sind wir sehr weit hinten. Die Linke plädierten schon seit Jahren, dass jedes Kind, das hier auf die Welt kommt, den Schweizer Pass erhalten soll. In vielem sind wir Vorbilder, aber in dieser Hinsicht ist noch viel zu machen. Ein Kind, das hier geboren wird, muss doch Schweizer sein.»
Nur Angel-Simon Okaside ist zufrieden damit, wie die Einbürgerung läuft. Seine Meinung zum Einbürgerungsverfahren: «Die Hürden sollen nicht runter geschraubt werden. Denn es sind gute Bedingungen und Richtlinien, an die man sich halten muss. Es ist eine Garantie, damit der Prozess, einen Schweizer Pass zu erhalten, richtig läuft. Man muss es wollen. Man muss das Leben danach richten, diese Anforderungen zu erfüllen. Ich finde es wichtig, dass dies so bleibt. Die Richtlinien sind nicht streng. Die Verfahren müssen sachlich und fair sein.»
Wer darf politisch teilhaben? Wer darf Schweizer sein?
Angel-Simon Okaside fasst kurz und bündig zusammen: «Hier aufgewachsen, an Traditionen anpassen und sich beteiligen in Vereinen. Den Weg gehen bis zum Schweizer und somit die Schweizer Einbürgerung erhalten.»
Tarek Naguib nimmt Bezug auf das Wort Schweizer: «Mit dieser Floskel Schweizer, Schweizerin sein, um eingebürgert zu werden, damit werden andere fremd gemacht. Ich würde es umkehren. Alle Menschen, die da sind und leben und sich diesem Land zugehörig fühlen, sind Teil der Schweizer Bevölkerung. Das ist für mich der springende Punkt. Ein Schweizer, eine Schweizerin gibt es eigentlich gar nicht. Wir alle können vielfältige Geschichten erzählen. Die Frage sollte sein, wie wollen wir die Schweiz gemeinsam gestalten. Und nicht wer ist Schweizer.»
Auch Darshikka Krishnanantham fragt sich: «Was ist ein richtiger Schweizer? In ihrem Alltag erlebt sie es regelmässig: «Ich wurde oft damit konfrontiert mit der Aussage, ihr lebt doch meistens in eurem Volk als Tamilin, ohne Schweizer? Darfst du einen Schweizer heiraten? Heisst das, dass ich nur eine halbe Schweizerin bin? Weil ich trotzdem noch meine Kultur lebe? Muss ich meine Kultur richtig aufgeben? Damit ich mich als vollblütige Schweizerin anerkennen lassen darf? Ich finde ich bin Schweizerin. Und ich lebe auch die andere Kultur.»
Tarek Naguib findet es auch paradox denn: «Vielfalt ist schon lange eine Realität und gleichzeitig gibt es Diskriminierung auf allen Ebenen. Schauen wir in die Medien, in die Redaktionen, in die Politik. Wir können in alle Institutionen reinschauen, wo EntscheidungsträgerInnen drinnen sind. Menschen mit Migrationshintergrund sind einfach in der Minderheit. Dort wo letztendlich entschieden wird. Da braucht es den Mut hinzuschauen. Ja, lass es uns gemeinsam gestalten. Das heisst, dass Menschen mit Mehrfachzugehörigkeit auch in den Positionen, die entscheiden, drinnen sind.»
Die Menschen brauchen auch Mut.
Doch wie sieht es aus, wenn eingebürgert wurde? Beteiligen sich diese dann auch politisch, öffnen sie überhaupt ihr Abstimmungs- und Wahlkuvert. Hier tragen laut Darshikka Krishnanantham die Parteien eine Verantwortung, diese Menschen auch zu erreichen und eine Willkommenskultur zu pflegen.
Amina Roçi findet aber auch, dass es Mut braucht: «Mut, sich politisch zu beteiligen. Oh, du bist Ausländerin, du darfst gar nichts sagen. Du darfst gar nicht in eine Partei. Als Albanerin in eine Partei? Den Menschen beibringen, was es für dich persönlich bedeutet. Sei es mit oder ohne Migrationshintergrund. Aufklärung und Mut machen! Das ist momentan einfach zu still, oder zu stark im Hintergrund. Das soll auf ein Plakat: Bring dich ein. Du bist Teil davon!» Tarek Naguib erinnert aber auch daran: «Und auch denen Mut machen, die zur Mehrheitsbevölkerung gehören. Habt keine Angst vor Vielfalt. Sie ist schon hier. Baut eure Zugangshürden ab.»
Ausländerstimmrecht?
Nur Angel-Simon Okaside ist dagegen. Denn er findet: «Es soll kein Ausländerstimmrecht geben, denn es ist keine Integrationsmassnahme. Sondern dass man es bekommt, wenn man sich vollständig integriert hat. Mit dem Bürgerrecht hat man dann die Pflichten und Rechte.»
Amina entgegnet: «Menschen, die hier geboren sind und sich als Schweizer fühlen, sollen abstimmen können.»
Zukunft der Teilhabe
Tarek Naguib gibt einen kurzen Ausblick für die Zukunft der politischen Teilhabe: «Über die Zukunft der politischen Teilhabe wird die gesellschaftliche Realität entscheiden. Entscheidend ist, ob wir gemeinsam als Gesellschaft ein Interesse daran haben, die grossen gesellschaftlichen Probleme zu lösen, wie beispielsweise Migration, Klima, Krieg Russland-Ukraine. Wertefragen. Was wollen wir für eine Gesellschaft sein? Es sind nicht alle am Tisch, die mitdiskutieren können. Das ist für die Gesellschaft eher hinderlich, als dass es nützt. Wie kommen wir in einen Diskurs rein, wo wir vielstimmiger werden? Postmigrantische Realität von unserer Schweizer Gesellschaft als Wert und Kraft nutzen. Und nicht immer Trennungen machen.» Amina Roçi wünscht sich mehr Austausch und Verständnis und Darshikka Krishnanantham möchte auf der Multi-Kulti Schweiz aufbauen und diese anerkennen und eine neue Kultur auch auf politischer Ebene.
Das Podium
- Angel-Simon Okaside (18) findet, dass der Schweizerpass das Tor zum Abstimmen bleiben muss. Er ist Mitglied der SVP Thun.
- Darshikka Krishnanantham (37), erste schwarze Stadträtin Thun (2016–2020), sie setzt sich für Familienanliegen, soziale Gerechtigkeit und für Minderheiten ein. Sie ist Mitglied der SP.
- Tarek Naguib (46) ist Vorstandsmitglied von Aktion Vierviertel und Co-Geschäftsleiter des Instituts Neue Schweiz INES.
- Amina Roçi (21) wurde als Seconda in der Schweiz geboren, aufgezogen und schliesslich eingebürgert. Sie studiert Französisch und Philosophie an der Universität Bern und meint, dass die Vergabe vom Schweizer Stimmrecht sowie das aktuelle Einbürgerungsverfahren überdacht werden sollten.
- Moderation: Miriam Lenoir (28)
Podien von UND Generationentandem
Partizipativ, digital und innovativ – so lassen sich die Podien beschreiben: Das Publikum bringt sich via Mentimeter in die Diskussion ein. Via Livestream können ZuschauerInnen aus der ganzen Welt teilhaben. Die Podien stehen später als Video- und Audiopodcast auf den verschiedenen Plattformen zum Nachhören bereit.