In der Schweiz gibt es mit der aktuell geltenden Zustimmungslösung zu wenig Organspenden. Der Moderator Elias Rüegsegger (27) nennt eindrückliche Zahlen zur Eröffnung des Podiums vom 1. April 2022: 123 Tage warten PatientInnen auf eine Lunge, 983 Tage auf eine Niere. Nun steht die erweiterte Widerspruchslösung zur Debatte. Am 15. Mai wird über das neue Transplantationsgesetz abgestimmt, nach dem Organe ohne explizite Zustimmung entnommen werden dürfen. Zwei Einschränkungen sind darin vorgesehen: Entweder ein Mensch sagt zu Lebzeiten Nein zur Organentnahme oder aber die Angehörigen verwehren die Zustimmung, falls der Wille der Patienten nicht bekannt ist.
Der konkrete Fall
Elias Rüegsegger wendet sich an den Herzchirurgen, PD Dr. Franz Immer (54), der seit 13 Jahren Direktor der Stiftung Swisstransplant ist und selbst Herzen transplantiert hat: «Nehmen wir an, eine 40-jährige Patientin ist hirntot, die Organe funktionieren nur noch dank Maschinen….» Franz Immer betont, dass diese Situation auch für ein routiniertes Intensivpflegepersonal sehr schwierig sei. Insbesondere belaste es, wenn man den Willen der PatientInnen nicht kenne und dazu die Angehörigen befragen müsse. Wenn aber die Zustimmung gewährt, die Transplantationszentren informiert seien, Empfänger gefunden und vorbereitet seien, dann könne der «wahnsinnig emotionale» Moment eintreten: Das Herz fange im Empfänger an zu schlagen, pumpe Wärme in den Körper und der Patient spüre beim Erwachen die warmen Finger und erhalte Lebensqualität zurück.
Das gebannte Publikum
Im brechend vollen Bistro des Gymnasiums Schadau herrscht nach dieser Schilderung Totenstille. Das Thema ist existenziell, persönlich, politisch und enthält viele ethische Fragen. Die vielen anwesenden GymnasiastInnen und die älteren Anwesenden sind der Fragestellung nicht ausgewichen. Sie und die Zuschauerinnen am Livestream stimmen via Mentimeter ab und sagen mehrheitlich Ja zur Organspende, denn Leben retten ist zentral.
Gesellschaftliche Debatte unerlässlich
Grundsätzlich sind alle PodiumsteilnehmerInnen für eine Organspende, denn sie kann Leben retten. Die Grossrätin EVP Melanie Beutler-Hohenberger (44) nimmt Organspende wörtlich: Eine Spende sei grundsätzlich freiwillig. Ausserdem sieht sie den Schutz kultureller und religiöser Gruppierungen nicht genügend gewährleistet. Sie vertritt das Unterstützungskomitee Nein zur Organentnahme ohne explizite Zustimmung.
«Die Solidargemeinschaft hat die moralische Pflicht, sich mit der Organspende auseinanderzusetzen.»
Melanie Beutler-Hohenberger
Über dieses neue Gesetz braucht es eine eingehende gesellschaftliche Debatte, davon ist Susanne Clauss (56), Co-Präsidentin und Mediensprecherin des Referendumskomitees, überzeugt. Um diese anzuregen, wurde sie Teil der Gruppe, die das Referendum gegen die eigentlich bloss dem fakultativen Referendum unterliegende Vorlage ergriffen hat. Mit dem neuen Gesetz gebe es einen gesellschaftlichen Wandel, eine Erwartungshaltung an PatientInnen, Angehörige und Gesundheitspersonal. Eine Entscheidung zur Organentnahme in diesen Ausnahmezuständen zu treffen, sei eine Überforderung, ja unmenschlich.
«Mein Körper gehört mir!»
Susanne Clauss
Auch Flavia Wasserfallen (43), Nationalrätin SP, legt Wert auf die gesellschaftliche Debatte und betont, dass im Transplantationsgesetz eine Informationskampagne vorgesehen sei. Bereits heute werde viel informiert, doch gelte, künftig alle Bevölkerungsschichten und Sprachgruppen zu erreichen.
Entlastung oder Belastung?
Gemäss Susanne Clauss ändere sich auch mit dem neuen Gesetz nicht viel. Die Angehörigen würden weiterhin gefragt. Aber mit der Erwartung, von vorneherein Ja zur Organspende zu sagen, wachse der gesellschaftliche Druck enorm. Dagegen hält Flavia Wasserfallen: «Eine überwiegende Mehrheit will bereits jetzt nach dem Tod Lebensqualität fördern», und Franz Immer sekundiert, die erweiterte Widerspruchslösung stärke die Selbstbestimmung, indem man irgendeinmal aktiv Nein sagen müsse.
«Eine überwiegende Mehrheit will bereits jetzt nach dem Tod Lebenqualität fördern.»
Flavia Wasserfallen
Ein fixer Termin für die Zustimmung?
Einmal im Leben einen Termin haben und dann entscheiden, wäre das kein guter Vorschlag? So fragt Elias Rüegsegger. «Wo gibt es diesen Moment?», entgegnet Flavia Wasserfallen. Verschiedene Lösungen, wie bei einem Arztbesuch oder beim Lösen der ID, seien aber für unpassend und zu teuer befunden worden. Für Melanie Beutler wäre dies eine stärkere Garantie, dass etwas angeschaut wird. «Wir wollen, dass sich die Leute äussern.» Das möchte auch Franz Immer. Aber es sei unrealistisch, denn mit allen bisherigen Massnahmen in diese Richtung, habe man lediglich kleine Fortschritte gemacht und immer noch eine grosse Abhängigkeitsrate.
«Es gibt ein Ja zum guten Leben, nicht ein Recht darauf.»
Franz Immer
Wichtige Fragen als Abschluss
Gibt es ein Recht auf Organe? Die Podiumsgäste sagen: Ja (Flavia Wasserfallen). Nein, nur einen Wunsch (Susanne Clauss). «Es gibt kein Recht, etwas von mir zu fordern.» (Melanie Beutler). «Es gibt immer ein Ja zum guten Leben, nicht ein Recht darauf.» (Franz Immer). Das Publikum stimmt via Mentimeter und sagt mehrheitlich Ja.
Dürfen wir verlangen, dass man sich mit Organspende auseinandersetzt? Auch dazu stimmen Publikum und Podium vorwiegend ja. Susanne Clauss sagt nein, denn das sei Wunschdenken.
Müssen wir dafür sorgen, dass es genügend Organspenden gibt? Hier gibt es eine klare Zustimmung.
Was ist nach dem Tod? Zu dieser sehr persönlichen Schlussfrage äussern sich die Podiumsgäste unterschiedlich und breitgefächert. Das Publikum nimmt sie mit in den verschneiten Abend.
Politpodien von UND: Brisant, kontrovers und fair
UND Generationentandem lanciert vor eidgenössischen Abstimmungen politische Debatten für Menschen aller Generationen. Nationale Persönlichkeiten verschiedenster politischer Couleur treffen aufeinander – moderiert und organisiert durch unsere freiwillig Engagierten. «So fördern wir den Dialog der Generationen zu gesellschaftspolitisch relevanten Themen», erklärt der Initiant und Geschäftsleiter von UND Generationentandem, Elias Rüegsegger.
Partizipativ, digital und innovativ – so lassen sich die Podien beschreiben: Das Publikum bringt sich via Mentimeter in die Diskussion mit ein. Via Livestream können ZuschauerInnen aus der ganzen Welt teilhaben. Die Podien stehen später als Video- und Audiopodcast auf den verschiedenen Plattformen zum Nachhören bereit