Politpodium: Umweltverantwortungsinitiative: Realistisch oder utopisch?
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Die Umweltverantwortungsinitiative – die Volksinitiative «Für eine verantwortungsvolle Wirtschaft innerhalb der planetaren Grenzen – der Jungen Grünen zielt darauf ab, die Schweizer Verfassung so zu ergänzen, dass wirtschaftliche Aktivitäten die planetaren Grenzen nicht überschreiten. Die Umsetzung soll innerhalb von zehn Jahren erfolgen.
In Zusammenarbeit mit der Reformierten Kirchgemeinde Glockental lud UND Generationentandem am 21. Januar 2025 zum Abstimmungspodium «Umweltverantwortungsinitiative: Realistisch oder utopisch?» ein. Die Gäste waren:
- Ueli Hagnauer (72), Gründungsmitglied der Klimagrosseltern.
- Magdalena Erni (21), Co-Präsidentin der Jungen Grünen Schweiz.
- Thomas Knutti (51), Landwirt und SVP-Nationalrat.
- Stefan Funk (26), Mitglied der Jungfreisinnigen.

Von 1 bis 10
Im Foyer der Kirche Glockental prangt auf einem Flipchart eine klare Frage: «Übernehmen wir heute genug Verantwortung für unsere Umwelt?» Die Reaktion des Publikums ist eindeutig – ein klares «Nein». Auf dem Podium hingegen gehen die Meinungen auseinander. Magdalena Erni vergibt der Schweiz eine 2, Ueli Hagnauer eine 3, Stefan Funk eine 7 oder 8. Und Thomas Knutti? Er zögert nicht und setzt selbstbewusst die Höchstnote: «10.»
Damit ist die Bühne bereitet für eine kontroverse Diskussion.
«Es geht nicht nur um Altruismus»
Den Auftakt macht Stefan Funk. «Natürlich tragen wir Verantwortung – aber es ist nicht nur eine moralische Frage. Es liegt auch in unserem eigenen Interesse, unseren Planeten lebenswert zu halten.» Einig ist man sich über das Ziel, doch wie es erreicht werden soll, daran scheiden sich die Geister. Ueli Hagnauer bringt eine emotionale Perspektive ein: «Unsere Nachkommen haben ein Recht auf eine intakte Erde – mit fruchtbaren Böden und sauberem Wasser.»
«Es liegt auch in unserem eigenen Interesse, unseren Planeten lebenswert zu halten.»
Stefan Funk

Ueli Hagnauer engagiert für die Umwelt: Das Gründungsmitglied der Klimagrosseltern plädiert für mehr Verantwortung gegenüber künftigen Generationen. – Bild: Hans-Peter Rub
Auch Thomas Knutti, der als Landwirt tagtäglich mit der Natur arbeitet, sieht die Verantwortung. Doch er mahnt zur Besonnenheit: «Wir müssen realistisch bleiben. Ökologie und Wirtschaft dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden.» Magdalena Erni wiederum warnt vor den Folgen, wenn nicht gehandelt wird: «Ernteausfälle und Extremwetter sind keine abstrakten Szenarien mehr, sondern Realität. Der Schutz unserer Lebensgrundlagen ist unverzichtbar.»
«Unsere Nachkommen haben ein Recht auf eine intakte Erde – mit fruchtbaren Böden und sauberem Wasser.»
Ueli Hagnauer
Das Publikum hört aufmerksam zu. Die Unterschiede in den Bewertungen sind gross – doch am Ende bleibt eine drängende Frage im Raum: «Tun wir wirklich genug?»
Was fordert die Initiative überhaupt?
Die Umweltverantwortungsinitiative will sicherstellen, dass wirtschaftliche Tätigkeiten nur so viele Ressourcen verbrauchen und Schadstoffe freisetzen, wie es die Umwelt verkraften kann. Konkrete Massnahmen könnten sein:
- Ausbau erneuerbarer Energien.
- Energetische Gebäudesanierungen.
- Förderung des öffentlichen Verkehrs und nachhaltiger Landwirtschaft.
Hier findet ihr eine einfache Erklärung der Initiative: esayvote
Was sind planetare Grenzen?
Planetare Grenzen sind Schwellenwerte, die die Belastbarkeit der Erde in neun Umweltbereichen definieren. Werden sie überschritten, drohen irreversible Schäden. Planetare Grenzen zeigen, wo dringend gehandelt werden muss, um die Erde für kommende Generationen zu bewahren.
Die neun Bereiche: Klimawandel (z. B. CO2-Konzentration), Biodiversitätsverlust (z. B. Artensterben), Stickstoff- und Phosphoreintrag (z. B. Überdüngung), Landraumnutzung (z. B. Abholzung), Frischwassernutzung, Ozeanversauerung, Aerosole in der Atmosphäre (z. B. Feinstaub), Chemische Verschmutzung, Schutz der Ozonschicht

Magdalena Erni, Co-Präsidentin der Jungen Grünen, warnt eindringlich vor den Konsequenzen der Klimakrise: «Wir sind auf einem schnellen Weg, das Pariser Klimaabkommen zu verfehlen. Ohne mutige Massnahmen riskieren wir unumkehrbare Kipppunkte.»
«Ohne mutige Massnahmen riskieren wir unumkehrbare Kipppunkte.»
Magdalena Erni
Extreme Wetterereignisse, Ernteausfälle und Gletscherschmelze – all das sei längst Realität. Die Schweiz müsse Verantwortung übernehmen und konsequent handeln. Doch Thomas Knutti sieht die Lage differenzierter. Er bestätigt, dass die Biodiversität leidet, stellt aber infrage, ob die Situation tatsächlich so dramatisch ist, wie die Wissenschaft sie darstellt. «Wir Bauern pflegen die Natur und leben nachhaltiger als viele andere. Ich finde es utopisch, was die Initiative fordert.»

Thomas Knutti warnt vor Einschränkungen: Der SVP-Nationalrat und Landwirt betont die Bedeutung eines realistischen Ansatzes in der Umweltpolitik. – Bild: Hans-Peter Rub
Er verweist auf die Fortschritte der letzten Jahre, etwa emissionsarme Traktoren oder effizientere landwirtschaftliche Methoden. «Wir haben schon viel erreicht, aber es muss im Rahmen bleiben.»
«Wir haben schon viel erreicht, aber es muss im Rahmen bleiben.»
Thomas Knutti
Ein schwieriger Balanceakt
Ein zentraler Streitpunkt bleibt die Beziehung zwischen Wirtschaft und Klimaschutz. Gegner der Initiative wie Stefan Funk von den Jungfreisinnigen warnen vor negativen Folgen für Unternehmen und Arbeitsplätze. «Die Schweiz ist innovativ und führend im Recycling. Zusätzliche Vorschriften könnten diese Stärken schwächen.»

Magdalena Erni hält dagegen: Klimaschutz sei nicht nur eine ökologische, sondern auch eine wirtschaftliche Notwendigkeit. «Die Folgekosten von Extremwetterereignissen können bis 2050 auf 10 Milliarden Franken pro Jahr steigen. Investitionen in erneuerbare Energien und nachhaltige Technologien schaffen zudem Arbeitsplätze.» Sie verweist auf neue Wirtschaftszweige, die durch die ökologische Transformation entstehen, und sieht die Initiative als Chance, die Schweiz wirtschaftlich zukunftsfähig zu machen.
Grosskonzerne in der Verantwortung – oder schon auf dem richtigen Weg?
Ein weiteres hitzig diskutiertes Thema ist die Rolle von Grosskonzernen wie Holcim, einem der weltweit führenden Baustoffunternehmen. Magdalena Erni sieht hier einen zentralen Hebel für effektiven Klimaschutz:
«Solche Unternehmen tragen erheblich zum globalen CO₂-Ausstoss bei. Wir müssen sie stärker in die Pflicht nehmen – etwa durch Investitionen in klimaneutralen Beton.»

Doch Thomas Knutti hält dagegen und verteidigt die Wirtschaft. «Holcim schafft Arbeitsplätze und zahlt erhebliche Steuern. Viele Unternehmen setzen bereits auf nachhaltige Innovationen – man muss ihnen die nötige Freiheit lassen, statt sie mit neuen Vorschriften zu belasten.»
Während die einen fordern, dass die Politik Grosskonzerne konsequenter reguliert, argumentieren die anderen, dass wirtschaftlicher Druck bereits für Innovationen sorgt. Doch reicht das aus, um die Klimaziele zu erreichen?
Ein kontroverses Politpodium – und eine offene Entscheidung
Das Politpodium «Umweltverantwortungsinitiative: Realistisch oder utopisch?» zeigt, wie stark die Meinungen zur Umweltverantwortungsinitiative auseinandergehen. Während die Gegner:innen vor wirtschaftlichen Risiken, Wohlstandsverlust und übermässigen Einschränkungen warnen, sehen die Befürworter:innen darin einen unverzichtbaren Schritt, um die natürlichen Lebensgrundlagen für kommende Generationen zu schützen.

Ob die Schweizer Stimmbevölkerung die Initiative annehmen wird, bleibt offen.
Doch eines macht die Debatte deutlich: Der Klimaschutz verlangt mutige Entscheidungen – und eine generationenübergreifende Zusammenarbeit, die über politische Gräben hinweg.
In Kürze
Die Argumente der Befürworter:innen
Dringlichkeit des Handelns: Befürworter:innen, wie Magdalena Erni, betonen die wachsende Dringlichkeit, Massnahmen gegen die Klimakrise zu ergreifen. Extreme Wetterereignisse wie Überschwemmungen und Ernteausfälle würden nicht nur die Umwelt, sondern auch die Wirtschaft stark belasten. Eine Studie von der ETH Zürich schätzt, dass die Schweiz bis 2050 jährlich Schäden in Höhe von 10 Milliarden Franken durch die Folgen des Klimawandels erleiden könnte.
Globale Verantwortung: Die Schweiz habe als früh industrialisiertes Land und bedeutender Finanzplatz eine besondere Verantwortung. Wohlhabende Länder müssten vorangehen, um den globalen Süden zu unterstützen, der oft die grössten Schäden durch den Klimawandel trägt.
Soziale Gerechtigkeit: Magdalena Erni hebt zudem hervor, dass Klimaschutzmassnahmen sozial verträglich gestaltet werden müssen. Ziel sei es, die Kosten fair zu verteilen und einkommensschwache Haushalte nicht unverhältnismässig zu belasten.
Die Argumente der Gegner:innen
Gefahr für Wirtschaft und Arbeitsplätze: Thomas Knutti und andere Kritiker:innen warnen vor den wirtschaftlichen Konsequenzen der Initiative. Zu viele Vorschriften und Einschränkungen könnten Unternehmen abschrecken und Arbeitsplätze gefährden. Thomas Knutti nannte als Beispiel die mögliche Verlagerung eines Stahlwerks aus Thun nach Holland.
Realismus der Ziele: Die Gegner:innen bezeichneten die Initiative als utopisch. Thomas Knutti und Stefan Funk argumentieren, dass die Schweiz mit der Energiestrategie 2050 bereits einen ambitionierten Plan habe, um bis Mitte des Jahrhunderts Netto-Null-Emissionen zu erreichen. Zusätzliche Massnahmen seien nicht notwendig und kaum umsetzbar.
Einschränkungen für die Bevölkerung: Stefan Funk kritisierte, dass die Initiative den Lebensstandard der Schweizer Bevölkerung erheblich einschränken würde. Einschränkungen bei Mobilität, Wohnfläche oder Fleischkonsum könnten den Alltag vieler Menschen belasten.