Wenn wir heute vom Internet hören oder lesen, dann ist das selten eine angenehme Angelegenheit. Es kursieren Begriffe durch die Zeitungen und Tagesschauen wie «Fake news» und «Filterblasen», «Twitter Bots» und «Dark Net». Das Bild des Internets im öffentlichen Raum hat sich von der ultimativen Aufklärungsmaschine, von der Bibliothek für alle, zu einer Bedrohung für unser Denken, Diskutieren und unsere Demokratie entwickelt. Ist diese Entwicklung gerechtfertigt?
Ist das Internet wirklich dieses verdummende, Fakten fressende Monster, von dem in so vielen Kolumnen (und ironischerweise Tweets) die Rede ist? «Der Gebrauch des Internets führt dazu, dass wir weniger Fakten in unsere Meinungsbildung einbeziehen». Wie findet man Argumente für oder gegen eine solche Aussage? Mit Lesen. Artikel, Studien, Bücher, etc. etc. Es gilt, sich zu informieren. Über das Internet, aber vor allem auch über Eigenschaften und Tendenzen des Menschen, die ihn dazu verleiten, weniger oder vermehr faktenbasiert zu argumentieren.
Kompliziertes vereinfachen
Zum Beispiel neigen wir dazu, bei unserer Meinung zu bleiben, ganz egal, mit wie vielen widersprechenden Fakten wir konfrontiert werden. Studien zeigen sogar auf, dass wir unsere Einstellungen tendenziell verfestigen, wenn wir mit widersprechenden Fakten konfrontiert werden («Backfire-effect»). Zustimmendes finden wir super, Widersprechendes finden wir unglaubwürdig und unangenehm. Soziale Medien wie Facebook haben diesen Effekt erkannt und nutzen ihn gezielt. Wir werden nämlich aktiv am Bildschirm gehalten, indem uns – zum Beispiel auf Facebook oder Twitter – nur unsere eigene Meinung wieder und wieder präsentiert wird. So wird diese Meinung zu einer offensichtlichen und zwingenden Annahme, ohne irgendwie mit Tatsachen hinterlegt sein zu müssen. Dieses Phänomen nennt man auch «Filterblasen» und es bestätigt die Annahme, dass wir wegen dem Internet weniger faktenbasiert argumentieren.
Hinzu kommt, dass wir auf dem Internet mit einer gigantischen Menge an Falschinformationen konfrontiert werden. Es ist nicht immer einfach, diese als solche zu entlarven. Mit der Erkenntnis, dass sich jeder vermeintliche Fakt als Falschinformation entpuppen könnte, wird jede angeblich «faktenbasierte» Argumentation unglaubwürdig.
Die Existenz von Falschinformationen macht uns somit jedoch auch skeptischer. Sie bringt uns dazu, zu hinterfragen und nicht einfach zu glauben. Wenn wir dem Journalisten vom «Thuner Tagblatt» keine neutrale Berichterstattung zutrauen, finden wir dank Google schnell heraus, was andere Journalisten und Meinungsgruppen zum selben Thema geschrieben haben. Wir können aber nicht nur Artikel, sondern auch, teils zahlungspflichtige, Studien lesen.
Die Diskussion ist kompliziert. Genau deshalb ist es wichtig, daran auf eine strukturierte und faktenbasierte Art und Weise teilzunehmen. Angst vor einer (relativ) neuen Erfindung hat dabei genau so wenig Platz wie eine naive Verherrlichung erstaunlicher Technologien.
Monster zähmen
Das Internet führt von mir aus gesehen, nach Betrachtung verschiedener Argumente, dazu, dass wir weniger Fakten in unsere Meinungsbildung einbeziehen. Und zwar nicht, weil weniger Fakten zugänglich sind, sondern weil wir weniger Fakten in Betracht ziehen wollen. Falschinformationen und Filterblasen machen tatsachenbasierte Argumente unbeliebter. Insofern bestätigt sich das Bild des Internets in gewissen Zeitungen und Tagesschauen. Das muss aber nicht so bleiben.
In den selben Tagesschauen und Zeitungsartikeln wird nämlich auf die grosse Relevanz von faktenbasierten Argumenten für einen vernünftigen öffentlichen Diskurs aufmerksam gemacht: Man liest und hört davon, wie wichtig es sei, die eigene Meinung zu hinterfragen, zu überprüfen. Ich halte es für möglich, genau diese skeptische Einstellung und das Wissen über die eigenen Realitätsverzerrungen zu verbreiten. Ironischerweise bietet gerade das Internet, aber auch unsere Schulbildung eine Plattform für diese Verbreitung.
Vielleicht ist das Internet ja wirklich ein Monster, das mit Falschinformationen und Meinungsmanipulationen um sich schmeisst. Mit der richtigen Einstellung, genügend Neugier und Vorsicht, lässt sich dieses Monster vielleicht auch zähmen. Vom faktenfressenden Monster zum Schosshund einer aufgeklärten Gesellschaft.