Zwei ausgediente Kloschüsseln treffen im Bauschutt einer Deponie aufeinander. Dabei empören sie sich über ignorante Stehpinkler und träumen von einem besseren Dasein im nächsten Leben. Ein Hörspiel.
Kloé: War’s das nun – ist das der Welt Lohn? Der Dank dafür, dass ich über dreissig Jahre lang meinen Drecksjob klaglos und ohne zu murren, Tag und Nacht, ausgeübt habe? Ich war zeitlebens «unterste Schublade» für meine BenützerInnen. Das hinterlässt bei mir ein Scheissgefühl. Dabei ist Kacken das Natürlichste der Welt, wenn man es genau nimmt! Aber das ist eine andere Geschichte. Tatsache ist, dass mein Einsatz für die Allgemeinheit – während all den Jahren – weder auf grosse Beachtung gestossen, noch gewürdigt worden ist. Es ist wie in der Wirtschaft: Die Alten werden weggespart, weil zu teuer. Im öffentlichen Raum gibt es ohnehin zu wenige von meiner Sorte. Uns ersetzt man durch diese mobilen, scheusslichen Kabinen mit dem noch scheusslicheren Namen «Toi Toi». Angepriesen werden diese Kabinen mit: «Für jede Anforderung die richtige Lösung». «Toi, toi, toi», sage ich da nur.
Wendy C.: Nun mach mal halblang meine Liebe! Es ist ja nicht so, dass die «Toi Toi’s» mehr Spass bei ihrer Arbeit hätten! Dieses ständige Reisen von Ort zu Ort muss doch wahnsinnig anstrengend sein: Vom Festival auf die Baustelle, von der Baustelle auf die Autobahnraststätte und immer so weiter.
Und seien wir mal ehrlich: So schlimm ist das Leben als öffentliche Toilette nun auch wieder nicht. Was man da im Laufe seiner Karriere nicht alles mitbekommt! Es gibt keine bessere Unterhaltung als die ganzen tränenreichen Liebesdramen, die fiesen Lästerrunden, die unzähligen «Stylingchecks» – meistens gehen Frauen deswegen zu zweit auf die Toilette – und diese erbitterten Zickenkriege! Die öffentliche Toilette ist da alles andere als ein «stilles Örtchen». Ausser bei den Männern vielleicht, die sind da wohl etwas praktischer veranlagt. Müsste mal bei einem Pissoir nachfragen…
Kloé: Pha, von wegen praktischer veranlagt! Würdest du es praktisch nennen, wenn die Herren der Schöpfung sich einen Sport daraus machen, ihre Pinkeleien über den Pissoir-Rand hinaus dem Reinigungsdienst zu hinterlassen? Keiner dieser Stehpinkler schert sich um seine Hinterlassenschaft. Gescheiter wäre es, wenn sich die Wettbewerbs-Pinkler über ihr sonderbares Verhalten in öffentlichen Toiletten unterhalten würden. Doch bis das passiert, spülen wir noch viel Wasser unsere Gurgeln runter. Und so ganz unter uns Schüsseln glaube ich, die meisten den Pinkel-Helden wurden gar nicht in den Pinkel-Knigge eingeführt. Ein solcher Kurs wäre direkt zu erfinden.
Wendy C.: Da muss ich dir aber recht geben! Und dann schaffen die es nicht einmal, unsere Brillen runterzuklappen! Dass da andere nach ihnen auch noch drauf wollen, scheint ihnen wohl egal zu sein. Ganz zu schweigen davon, dass sie uns ganz entblösst zurücklassen…
Da fällt mir ein: Das war zu Zeiten der Römer anders. Da funktionierte die soziale Kontrolle noch. Die Latrinen waren nicht durch Wände getrennt, sondern man sass nebeneinander beim Verrichten und Besprechen seiner Geschäfte. Daran erinnert wahrscheinlich der Spruch: «Ich habe es auf dem Latrinenweg erfahren». Die Latrine als Gerüch(t)e-Küche sozusagen oder gar die Wiege des Boulevard-Journalismus? Ui, waren das noch Zeiten! Für viele unserer stressgeplagten BenutzerInnen sind wir heute oft eine Art Fluchtburg. Wir bieten ihnen für eine kurze oder längere Weile Schutz und Ruhe vor bossigen Chefs, Familienstress, langweile – kurz: eine Oase der Einkehr. Was soll’s, die Vorvorvorvergangenheit bringt mich sowieso nicht weiter und die Stressprobleme meiner KundInnen gehen mich einen Scheiss an, abgesehen davon, dass sie mich nervlich belasten. Ich widme mich in Gedanken lieber meiner Sternstunde. Die bricht an, wenn ein Touristen-Bus seine Gästeschar ausspuckt und der Run auf mein Dienstleistungsangebot losgeht. Unglaublich, wie begehrenswert ich in solchen Momenten wieder bin, trotz meines inzwischen etwas vergilbten Keramik-Teints. In solchen Momenten fühle ich mich wie die Primadonna. Doch eben, die Sternstunde vergeht, wie sie gekommen ist. Jetzt liege ich im Schutt und schiebe eine Depression».
Wendy C.: Jetzt geht das schon wieder los! Alles hat doch ein Ende! Und nur mal so nebenbei: Auch Primadonnen gehen in Rente. Ich bereue einzig, dass ich es nie bis zur «Toilette des Jahres» geschafft habe. Dabei wird diese Misswahl der Toiletten schon seit den 80er Jahren durchgeführt! Leider hatte ich noch nie die passenden Proportionen dafür. Wie dem auch sei: Wir hatten unsere Zeit, lass doch jetzt die Jungen und Unbeschädigten mal machen. Ihnen gehört schliesslich die Zukunft! Ach, und was deinen Teint betrifft; ich habe da von einem neuen Reinigungsmittel gehört: «Klovea Q10» mit frischem Zitrusduft. Soll auch bei Toiletten im fortgeschrittenen Alter wahre Wunder bewirken. Könntest du ja auch mal ausprobieren…
Kloé: Du bist sowas von frech, Göre! Von wegen jung und unbeschädigt! Du hast keine Ahnung, wie viel von deinen Jungen, Unbeschädigten ihre Lebensmühsal bereits in mich rein gekotzt haben, als Folge ihrer Bulimie oder eines Besäufnisses. Doch meine Träume lasse ich mir deswegen nicht nehmen. Einer davon ist: «Ich steige auf in eine Luxus-Villa am rechten Zürichsee-Ufer und beglücke meine neureichen Besitzer mit mit meiner neu erworbenen Fähigkeit als Duschklo, der Synthese aus Toilette und Bidet. In Japan unter der Bezeichnung «Washlet» populär geworden ist dieses Duschklo hierzulande unter dem plumpen Namen «Closomat» bekannt. Kein Papier würde mich mehr verstopfen, die Kanalisation würde geschont – was für ein Segen für die Umwelt. Allerdings hätte der Aufstieg in die Luxus-Liga einen nicht zu vernachlässigenden Nachteil. Es wäre mir stinklangweilig um die verwöhnte Klientel, die eh kaum zu Hause ist. Zudem geschäften diese Leute gleich wie alle andern: Im Kleinen wie im Grossen.
Wendy C.: Ha, da haben wir’s! Und eine Toilette bleibt eine Toilette. Egal, ob es sich dabei um ein Plumpsklo, ein Toi Toi oder um eines dieser High-Tech-Monster handelt, das du so gerne wärst: Unsere Arbeit wird immer gleich beschissen bleiben! Es liegt aber an uns, das Beste aus unserer Zeit zu machen und unsere Aufgabe so gut wie möglich zu erfüllen. Schliesslich leisten wir einen grossen Beitrag an die Zivilisation! Was wären die Menschen denn ohne ihren Rückzugsort, ihre Ruheoase, ihr «stilles Örtchen»?
Kloé: Huch, ich hör schon den Bagger lärmen. Es bleibt keine Zeit mehr, um über mein intensives, aber mühseliges Leben zu sinnieren. Endlich kann ich diese unbequeme Schutthalde verlassen. Mich schmerzt meine innere Leere. Tschüss, Wendy C. Vielleicht Morgen auf einen Tratsch in der Baustoffverwertungsanlage?
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Dieser Beitrag ist auch als Hörspiel in der zweiten Sendung von UND-das Generadio zu hören. Die Moderatorinnen Anita Senn und Sarah Hämmerli führen durch die 20-minütige Sendung.