Text: Andrin Padun
Der Generationentalk zum Nachschauen und Nachhören
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Bereits im alten Ägypten verwendeten Menschen Schminke, um ihre Augen zu betonen. Im antiken Griechenland wurde Bleiweiss verwendet, um die eigene Haut aufzuhellen, da helle Haut als Zeichen von Wohlstand und einem Leben ohne harte Arbeit galt. Im Mittelalter waren hohe Stirnen im Trend: Die Haare am Haaransatz wurden gezupft, um die Stirn höher erscheinen zu lassen. Die Menschheit hat bereits unzählige Schönheitsrituale durchlebt, angewendet und wieder verworfen, doch der Drang nach Schönheit in der Gesellschaft ist immer geblieben. «Schönheit beglückt», wie es PD Dr. Lobmeier (50), Oberassistent im Institut Klinische Psychologie und Psychotherapie der Uni Zürich, ganz zu Beginn des Generationentalks «Gute Falten, schlechte Falten: Was ist schön?» vom 25. Juni 2024 definiert.
Jeder Mensch möchte wahrgenommen und gesehen werden, was ein Hauptgrund dafür ist, warum wir nach Schönheit streben. Das ist auch eng mit unserem Bedürfnis verbunden, positiv bewertet zu werden. Oft geschieht diese Bewertung unbewusst, sowohl durch uns selbst als auch durch andere und das beeinflusst die Wahrnehmung von uns selbst und von anderen. Folglich möchten wir möglichst gut bewertet werden, was uns motiviert, unser Äusseres stetig anzupassen und zu pflegen.
Schönheit hat auch einen identitätsstiftenden Aspekt. Das Bild, das wir von uns selbst haben, soll möglichst auch gegen aussen präsentiert werden. Wenn wir uns zum Beispiel jünger fühlen, als wir es tatsächlich sind, wollen wir dies auch nach aussen zeigen. Dr. med. Andreas Tschopp (58), Facharzt für Plastische, Rekonstruktive und Ästhetische Chirurgie in der Klinik im Spiegel, möchte aber Jugend und Schönheit keinesfalls gleichsetzen. Die Jugend sei zwar ein grösseres Versprechen, das Alter habe dafür die Schönheit der Erfahrung.
«Schönheit beglückt. Attraktivität ist sexuell anziehend. Das ist ein grosser Unterschied.»
Janek Lobmeier
Attraktivität hingegen steht nach PD Dr. Janek Lobmeier im direkten Zusammenhang mit der Jugend, denn Schönheit und Attraktivität sind nicht dasselbe. Attraktivität hat stets einen sexuellen sowie biologischen Einfluss, da sie aus menschlicher Sicht auch immer mit Fruchtbarkeit und Fortpflanzung zu tun hat.
Die sozialen Medien verändern unseren Bezug zur Schönheit
Soziale Medien haben einen Einfluss auf unser Schönheitsbewusstsein und die Wahrnehmung von Attraktivität. Diese Plattformen bieten eine ständige Flut an Bildern und Videos, die oft idealisierte und bearbeitete Darstellungen von Schönheit zeigen. Plattformen wie Instagram, Facebook und TikTok sind voll von solchen Bildern. Sie setzen unrealistische Schönheitsstandards, die für Menschen schwer zu erreichen sind. Durch den ständigen Zugang zu diesen Bildern von schönen und scheinbar perfekten Menschen wächst der Druck, selbst diesen Idealen zu entsprechen.
«Beauty-Filter von sozialen Medien beeinflussen die Wünsche der Patient:innen.»
Andreas Tschopp
Soziale Medien haben unter anderem zu einer steigenden Nachfrage nach ästhetischen Eingriffen geführt. Die Bereitschaft, chirurgische oder nicht-chirurgische Verfahren in Anspruch zu nehmen, um das Aussehen zu erreichen, das sie in den sozialen Medien sehen, steigt stetig.
Ästhetische Eingriffe erarbeiten sich einen normalisierten Stand in der Gesellschaft
In den letzten vier Jahren haben ästhetische Eingriffe weltweit um 40 Prozent zugenommen. Diese signifikante Zunahme spiegelt das wachsende Interesse und die Akzeptanz solcher Behandlungen wider. Allerdings bleibt der Markt weitgehend unreguliert, was auch Risiken mit sich bringt.
Interessanterweise werden pro Kopf in der Schweiz mehr ästhetische Behandlungen durchgeführt als in den Vereinigten Staaten. Dies ist auf den hohen Wohlstand und die höhere Lebenserwartung in der Schweiz zurückzuführen, die dazu führen, dass mehr Menschen bereit sind, in ihr Aussehen zu investieren.
Die wenigsten Kund:innen von Dr. med. Andreas Tschopp kommen jedoch mit dem Wunsch nach Perfektion zu ihm. Die meisten haben ein spezifisches Anliegen, das sie seit langer Zeit stört. Die durchschnittliche Anlaufzeit für ästhetische Eingriffe beträgt mehrere Jahre, was zeigt, dass diese Entscheidungen meistens gut überlegt und nicht leichtfertig getroffen werden. Dr. med. Andreas Tschopp lehnt aber auch Aufträge ab, wenn der Wunsch zu unrealistisch ist oder gesundheitliche Bedenken bestehen.
In der plastischen Chirurgie gibt es neben den ästhetischen Eingriffen auch noch die rekonstruktiven Eingriffe. Dies sind Eingriffe, die beispielsweise nach einem Unfall oder einer Krankheit vorgenommen werden, um das Aussehen wiederherzustellen, wie beispielsweise bei Verbrennungen oder Brustkrebs. Anders als die ästhetischen Eingriffe werden diese auch meistens von den Krankenkassen übernommen.
Künstliche Schönheit kann die Realität in den Schatten stellen
Künstliche Intelligenz birgt in dieser Hinsicht auch Gefahren resp. neue Herausforderungen. Durch künstlich hergestellte Perfektionen laufen wir in Gefahr, den Bezug zur Realität zu verlieren. Die Unterscheidung zwischen Natürlichkeit und Künstlichkeit wird immer verschwommener. Wenn wir um uns herum nur noch künstliche Schönheit sehen, können wir irgendwann unseren eigenen Ansprüchen nicht mehr genügen, was im schlimmsten Fall zu psychischen Problemen führen kann. Ein Paradox, da wir in diesem Fall einem Bild nicht genügen, dass es gar nicht gibt.
Schönheitsideale und das Streben danach sind nicht neu. Der Einfluss, den die moderne Technik darauf hat, jedoch schon. Wenn Schönheit unrealistisch wird, werden früher oder später Menschen nicht mehr als schön gelten. Gleichzeitig gibt es aber auch immer mehr Bewegungen, die Natürlichkeit und einen gesunden und liebenden Umgang mit dem eigenen Körper vorleben. Zum Glück, denn Schönheit wird trotz aller Veränderungen und Herausforderungen immer noch mit den eigenen Augen wahrgenommen.