Gendersternchen, Binnen-I oder generisches Maskulinum – das Verhältnis von Sprache und Geschlecht wird aktuell vor allem im deutschsprachigen Raum stark diskutiert. Inwiefern hat sich die Wahrnehmung der Geschlechter in der Sprache verändert? Wie gendersensibel sollte Sprache sein? Um diese und weitere Fragen rund um Sprache und Geschlecht ging es im Generationentalk vom 29. Juni 2021.
Er fand zum ersten Mal im Polit-Forum Bern im Käfigturm statt und seit langer Zeit zum ersten Mal wieder live. Der grosse Andrang blieb aus. Umso vertrauter und offener war die Atmosphäre im kleinen Raum. Kurz vor sieben fühlte man sich wie hinter den Kulissen einer professionellen Produktion: Anweisungen wurden gegeben, ein bisschen Nervosität war zu spüren und letzte Unklarheiten wurden aus dem Weg geräumt. Danach lief es wie am Schnürchen und ehe man sich’s versah, war man mitten in der spannenden Diskussion.
Jürg Niederhauser (60) Sprachwissenschaftler, Präsident des Schweizerischen Vereins für die deutsche Sprache (SVDS), des Herausgebers des «Sprachspiegels», und Lana Rosatti (16) Co-Präsidentin der JUSO Stadt Bern und Gymnasiastin diskutierten, moderiert von Mischa Gobeli (19), wie Sprache sein müsste, damit sie geschlechtergerecht ist.
Bereits bei der Einstiegsfrage, inwiefern sie mit dem Thema Geschlecht und Sprache im Alltag in Kontakt kommen, wurden die unterschiedlichen Zugänge der Gäste klar: Jürg Niederhauser (60 fragt sich in seinem Alltag, wie man formulieren soll, muss oder darf. Es geht ihm beispielsweise um das Abwägen von Inklusion und Leserlichkeit. Im Verlauf der Diskussion spürte man, dass er mehrere Zugänge zu Sprache hat. Immer wieder versuchte er hervorzuheben, dass Sprache ganz unterschiedliche Funktionen hat und dass es wichtig ist, diese im Hinterkopf zu haben. So sei es für ihn keine Frage, dass bei direkter Anrede geschlechtergerecht formuliert werden müsse, doch bei Warnschildern sei das beispielsweise nicht unbedingt der Fall. Dort gehe es um die Funktion, Aufmerksamkeit zu erlangen, und darum, auf eine Gefahr hinzuweisen; die klare und knappe Formulierung stehe dort im Vordergrund.
Lana Rosatti (16) ist vor allem als Schreibende und durch die JUSO mit gendergerechter Sprache konfrontiert. Ihr ist es wichtig, dass alle Geschlechter auch in der Sprache sichtbar sind. Sie erzählt eine Geschichte, die diese Unsichtbarkeit gut hervorhebt und auf Missverständnisse hinweist: Ein Vater und sein Sohn haben einen Autounfall und werden ins Spital gebracht. Als der Sohn operiert werden soll, sagt der Arzt: «Ich kann diesen jungen Mann nicht operieren. Er ist mein Sohn.» Der genannte Arzt ist in Wirklichkeit Ärztin und die Mutter. Lana Rosatti (16) ist es wichtig, dass Sprache für alle passend ist. Wenn sich Menschen vom generischen Maskulinum nicht angesprochen fühlen, braucht es eine Veränderung. Sprache sei zudem ein wichtiger Schritt hin zur Gleichberechtigung.
Lebendige Sprache verändert sich
Die Diskussion war ein Hin und Her, ein Zuhören und sich gegenseitig Hinterfragen. Verschiedenste Aspekte wurden hervorgehoben, die man sich selbst vielleicht noch nie überlegt hat. So zeigte Jürg Niederhauser (60) auf, dass generische Formen nicht an sich etwas Schlechtes sind, denn sie existieren beispielsweise auch beim Singular und Plural. Wenn man sagt: «Der Löwe ist ein Fleischfresser», dann meint man damit offensichtlich alle Löwen. Beide argumentieren dafür, dass es möglich und wichtig sei, dass Sprache sich verändert. Es werden Beispiele von ausgestorbenen Worten und Floskeln genannt. Lana Rosatti (16) geht noch einen Schritt weiter und plädiert dafür, dass es manchmal wichtig ist, Funktionalität zurückzustecken, um Entwicklung anzutreiben. Das Ausprobieren und Fehler machen, gehöre zu diesem Prozess dazu.
Doch beide sind sich einig, dass das Thema Aufmerksamkeit und Auseinandersetzung verdient. Das generische Maskulinum ist keine Option mehr, doch bessere und einheitliche Lösungen müssen erst noch gefunden werden.
Abschliessend bleibt zu sagen, dass die Diskussion unglaublich spannend war, nicht nur des Inhalts wegen: Die Sprachfaszination zweier Menschen ganz unterschiedlicher Generationen war spürbar. Definitiv ein nachhörenswerter Generationentalk für jeden und jede, den/die das Thema interessiert.
Was ist der Generationentalk?
Zwei Generationen – ein Thema: Das ist der Generationentalk von UND Generationentandem. Jeden Monat diskutieren Jung und Alt miteinander über brisante Themen. Der Talk dauert zwischen 30 und 45 Minuten. Danach hat das Publikum die Gelegenheit, sich an der Diskussion zu beteiligen. Der Generationentalk, moderiert von einem ModeratorInnen-Team von UND, trifft seit Mitte 2016 stets den Nerv der Zeit und setzt sich mit politischen und gesellschaftlichen Themen auseinander.
Der Talk wird vom generationendurchmischten Redaktionsteam professionell aufgezeichnet und fotografisch dokumentiert. Alle Talks sind dann hier als Podcast nachzuhören.