Generationentalk zum Nachschauen und Nachhören
Als Videopodcast: Youtube
Als Audiopodcast: Soundcloud | Spotify | Apple Podcast
Im idyllischen Innenhof des Berner Generationenhauses spricht Luc Marolf (18) am 30. Mai 2023 mit dem ehemaligen Arena-Moderator Patrick Rohr (55) und der emeritierten Sozialpsychologin Margit E. Oswald (73) über das Streiten – ein interessanter Kontrast.
Der schlechte Ruf des Streitens
Wer streitet schon gerne? Margit E. Oswald.
Für die emeritierte Sozialpsychologin hat Streiten einen zu schlechten Ruf. Sie selbst ist streitlustig, hat aber einen Partner der Streit meidet. «Es ist manchmal frustrierend, wenn niemand mit mir streiten möchte», erzählt sie mit einem Schmunzeln. «Wir sollten allgemein eigentlich mehr streiten», betont sie, denn Streit sei überall und unvermeidbar – er ist sogar lebensnotwendig, zitiert sie den amerikanischen Psychologe Morton Deutsch.
«Wir sollten allgemein eigentlich mehr streiten.»
Margit E. Oswald
Viele Menschen meiden Streit, weil sie unangenehme Situationen scheuen, und haben deshalb das gute Streiten verlernt.
Der gute Streit
Ein Streit sollte eigentlich nicht dann gelöst oder zu Ende sein, wenn eine Person nachgibt. Das ist kein gutes Streiten. Margit E. Oswald und Patrick Rohr greifen auf ihre langjährigen Erfahrungen zurück und erklären dem interessierten Publikum im Innenhof des Berner Generationenhaus einige wichtige Komponente eines guten Streits auf:
Zuhören
Zu einem guten (Streit-)Gespräch gehört Zuhören. Zuhören zeigt Respekt, Missverständnisse können vermieden werden und hilft den GesprächspartnerInnen eine nachhaltige Lösung zu finden.
Patrick Rohr bringt folgendes Beispiel aus seiner Zeit als Arena-Moderator ein:
Wenn wir nicht zuhören
2002 wurde die UBS und der damalige Chef der Schweizer Bank Marcel Ospel für das Grounding der Swissair verantwortlich gemacht. Patrick Rohr, damals Arena-Moderator, erhielt die Möglichkeit mit Marcel Ospel zu sprechen. Da Patrick Rohr unter enormen Druck stand, hörte er nicht richtig zu und merkte deshalb nicht, dass Marcel Ospel eine Botschaft konstruierte, die hätte hinterfragt werden sollen.
Seine eigenen Interessen vertreten
Margit E. Oswald betont, dass es in einem Streit nicht in erster Linie darum gehen sollte, dass schlussendlich einE GesprächspartnerIn «gewinnt», sondern darum, eine Konfliktlösung zu finden, die für beide Seiten stimmt und beide Interessen gleichermassen miteinbezieht – sonst ist die Konflitklösung nicht nachhaltig. Deshalb sei es auch zentral, wie Patrick Rohr ergänzt, dass GesprächspartnerInnen ihre Interessen konsequent vertreten.
Über das Eigentliche streiten
Sowohl Margit E. Oswald als auch Patrick Rohr sind sich einig, dass persönliche Streitgespräche herausfordernder sind als professionelle Streitgespräche. In solchen persönlichen Streitgesprächen besteht häufiger die Gefahr, dass nicht der eigentliche Konflikt diskutiert wird, sondern ein sogenannter Stellvertreter-Konflikt.
Margit E. Oswald veranschaulicht diesen Punkt mit folgendem Beispiel:
Nicht Geld, sondern Respekt
Bei Erbschaftsstreitigkeiten geht es oberflächlich betrachtet oft um Geld: Wer erhält wie viel? Doch in den meisten Fällen liegt der eigentliche Konflikt nicht darin begründet. In vielen Erbschaftsstreitigkeiten geht es tatsächlich um Respekt und Gerechtigkeit. Ein Sohn oder eine Tochter fühlt sich möglicherweise als Kind ungerecht behandelt und möchte nun eine Art Ausgleich in Bezug auf die Erbschaft erlangen. Der Konflikt zwischen den Erben kann nur nachhaltig gelöst werden, wenn dieser zugrundeliegende Konflikt bearbeitet wird.
Auf der Sachebene bleiben
«Streiten ist schön, wenn wir auf der Sachebene bleiben», sagt Patrick Rohr, als er gefragt wird, wie er Streiten von 1-10 bewerten würde. Streit, der persönlich wird, also den Charakter oder das Aussehen des Gegenübers angfreift sind schwierig und unangenehm.
Streitkultur: früher und heute
Die Streitkultur hat sich verändert, da sind sich Margit E. Oswald und Patrick Rohr einig. Diese Veränderungen, gerade auf der politischen Ebene, begannen laut Patrick Rohr 1999, als die SVP in der Politik stark zulegen konnte. Insbesondere der Streitstil der Zürcher SVP vergiftete damals das Klima, was Patrick Rohr damals auch dazu motivierte, das Format der Arena zu verändern. Lange gab es in der Arena einfach eine linke Seite und eine rechte Seite – Patrick Rohr führte sechs Positionen ein, um zu zeigen, dass mit allen Schattierungen gestritten werden kann.
Die Hetze um den Gender-Tag in Stäfa und die Reaktionen auf eine von zwei Wissenschaftlerinnen verfassene Studie zu Geschlechterrollen bestätigen diese Veränderung zusätzlich.
Gender-Tag in Stäfa: Mitte Mai hätte in Stäfa zum zehnten Mal der Gender-Tag stattfinden sollen, an dem SchülerInnen Informationen über Geschlechterrollen, Sexualität und Identität erhalten. SVP-Politiker Andreas Glarner veröffentlichte die Einladung zu diesem Tag, die Schulleitung und die Lehrpersonen erhielten darauf zahlreiche Drohungen, weshalb der Tag schlussendlich abgesagt werden musst.
Zürcher Studie zu Leaky Pipelines: Eine Zürcher Studie wollte herausfinden, warum der Frauenanteil auf verschiedenen Karrierestufen stetig sinkt. Die Studie dass Frauen weniger karriereorientiert sind und das Diskriminierung keine Rolle spielt und das wurde entsprechend in den Medien so dargestellt und von der Politik instrumentalisiert. Die Wissenschaftlerinnen wurden nach der Veröffentlichung der Studie insbesondere aus feministischen Kreisen beschimpft.
Sowohl beim Beispiel in Stäfa als auch bei der Zürcher Studie spielten die Medien eine grosse Rolle. Medien müssen einer Aufmerksamkeitsökonomie folgen: Um Werbung zu verkaufen, benötigen die Medien konstante Aufmerksamkeit. Es sei deshalb nachvollziehbar, sagt Patrick Rohr, dass Titel wie «Die meisten Studentinnen wollen einen erfolgreichen Mann statt einer Karriere» ausgewählt werden – sie erzeugen Aufmerksamkeit, sind gleichzeitig aber natürlich stark sensationalistisch und bieten sich deshalb an, politisch instrumentalisiert zu werden.
Warum wir auch mit FlacherdlerInnen streiten sollten
«Müssen wir mit allen Menschen streiten?», fragt Luc Marolf seine Gäste zum Abschluss des Generationentalks «Lasst uns streiten!». Margit E. Oswald wünscht sich, dass wir tatsächlich bereit sind, mit allen Menschen in Streitgespräche einzutreten. Für Patrick Rohr gibt es hingegen Menschen, mit denen er einfach nicht diskutieren möchte. Er nennt ImpfgegnerInnen und FlacherdlerInnen als Beispiele und erzählt von einem Gespräch, das er während der Pandemie geführt hat: «Eine Freundin von mir war überzeugt, dass die 5G-Antennen für die Covid-19-Pandemie verantwortlich sind. Wenn ich ihr widersprach, kam sie mit dem Satz: ‚Du kannst nicht beweisen, dass es nicht so ist‘. Und nein, beweisen konnte ich es nicht, WissenschaftlerInnen aber schon.» Solche Gespräche mag er nicht mehr führen, ergänzt Patrick Rohr, obwohl er eigentlich gerne mit Menschen streitet, die von ihrem Standpunkt überzeugt sind – doch wenn gar keine Offenheit für andere Standpunkte mehr da ist, dann kann sowieso kein gutes Streitgespräch mehr stattfinden.
«Mit Verschwörungstheoretikern möchten wir oft nur nicht streiten, aus Angst, dumm dazustehen.»
Margit E. Oswald
«Mit Verschwörungstheoretikern möchten wir oft nur nicht streiten, aus Angst, dumm dazustehen», sagt Margit E. Oswald dazu. Viele VerschwörungstheoretikerInnen sind kommunikativ stark und können ihre Argumente so präsentieren, dass es herausfordernd ist, Gegenargumente einzubringen. Genau deshalb ist Margit E. Oswald überzeugt, dass wir auch mit diesen Menschen streiten sollten. Denn wenn wir uns nur noch mit Gleichgesinnten auseinandersetzen, laufen wir Gefahr, in einer Zeit, in der die Polarisierung eher zunimmt, in einer Blase gefangen zu sein. Das sei äusserst bedenklich.
Was ist der Generationentalk?
Zwei Generationen – ein Thema: Das ist der Generationentalk von UND Generationentandem. Jeden Monat diskutieren Jung und Alt miteinander über brisante Themen aus Gesellschaft und Politik. Der Talk dauert zwischen 30 und 45 Minuten. Danach hat das Publikum die Gelegenheit, sich an der Diskussion zu beteiligen. Die Veranstaltung wird vom generationendurchmischten Redaktionsteam professionell aufgezeichnet und fotografisch dokumentiert. Alle Talks sind dann hier als Podcast nachzuhören.
Jahresprogramm Generationentalk 2023 Hier.
Der Generationentalk wird 2023 gefördert von der Burgergemeinde Bern.