Ein kalter vorweihnachtlicher Winterabend, in der Stadt der Weihnachtsverkauf, wo die Kassen nur so klingeln. Im Berner Generationenhaus fand der Generationentalk zum Thema «Armut in der Schweiz» statt. Mit Hugo Fasel (66) und André Hebeisen (52) begrüsst Elias Rüegsegger (27) zwei Menschen, die sich dafür einsetzen, dass «Armut» als Problem erkannt und darüber gesprochen wird. Hugo Fasel tut dies auf politischer und institutioneller Ebene, André Hebeisen spricht offen und ehrlich über seinen Alltag als Armutsbetroffener.
Die Bedeutung von Armut in der Schweiz
Armut in der reichen Schweiz? Ja, das ist Realität. In der Schweiz leben rund 735’000 Menschen unter der Armutsgrenze von 2279 Franken pro Monat. Hugo Fasel weiss, wie schwierig es ist, Armut zu definieren und ein Verständnis dafür in der Gesellschaft zu schaffen.
In der Schweiz sprechen wir in der Regel von relativer Armut, das heisst, dass eine Person im Vergleich zur Mehrheit der Bevölkerung (sehr) wenig Geld zur Verfügung hat. Aber gerade, weil das Thema so schwierig zu fassen ist, ist dessen Enttabuisierung wichtig.
André Hebeisen (52) hat es vor rund zehn Jahren «verblaase», wie er es nennt – ein Burnout und Alkohol führten schliesslich dazu, dass der ehemalige Abteilungsleiter eines Transportunternehmens heute von der Sozialhilfe abhängig ist. Damit lebe er gleich drei Tabus, und dies spüre er nicht nur finanziell, sondern besonders bei sozialen Kontakten, die rapide abgenommen hätten – man gehöre einfach nicht mehr dazu. Langfristige Pläne habe er keine, er lebe von Tag zu Tag mit dem wenigen Geld, das ihm zur Verfügung stehe. Mit seinem offenen Umgang mit seiner Situation, die er auch auf sozialen Stadtrundgängen teilt, will er auf das Thema aufmerksam machen und präventiv wirken.
«Ja, Isolation: Mit däm wott i nüüt z tüe ha.»
André Hebeisen (52)
Wer ist in der Schweiz von Armut betroffen?
Die von Armut betroffenen Menschen in der Schweiz sind eine sehr heterogene Gruppe. Es sind Menschen, die durch die Maschen unseres Sozialsystems gefallen sind. Als Beispiele dafür nennt Hugo Fasel einen ungenügenden Lohn, schwierige Familienverhältnisse oder fehlende Aus- und Weiterbildungen. Alleinerziehende Frauen machten heute noch immer einen grossen Teil dieser Gruppe aus, aber auch Langzeitarbeitslose oder Personen, die trotz Erwerbsarbeit ungenügend versichert seien.
Gründe für Armut
Was an diesem Abend immer wieder zur Sprache kommt, sind die unterschiedlichen Gründe für das Abgleiten in Armut. Und trotz diesen individuellen Geschichten sei es wichtig, Armut als gesellschaftliche Herausforderung ernst zu nehmen. Man mache es sich in der Politik zu leicht, wenn man einfach sage, Armut sei ein individuelles Problem, meint Hugo Fasel.
André Hebeisen sieht die Gründe für seine Armut sowohl auf individueller als auch auf institutioneller Ebene. Das Schweizer Sozialsystem, da sind sich beide Gäste einig, sei gut, aber es gebe trotz allem noch viel zu tun. Immer mehr Menschen fallen zunehmend auch durch das unterste Netz, die Sozialhilfe. Entwicklungen wie die Digitalisierung, veränderte Arbeitsverhältnisse (Uberisierung) und die Einkommens- und Vermögensungleichheit in der Schweiz sind wichtige Gründe für die in den nächsten Jahren grösser werdende Armut. Die starren Sozialsysteme stehen da vor grossen Herausforderungen.
Massnahmen gegen Armut
In dieser angeregten Gesprächsrunde wurde auch zusammen mit dem Publikum eine Vielzahl von möglichen Massnahmen gegen Armut gesammelt und besprochen: Von einem Bedingungslosen Grundeinkommen, über Weiterbildungen und begrüssenswerte Bemühungen einzelner Kantone bis hin zur Zusammenarbeit mit Betroffenen bei der Ausarbeitung neuer Gesetze und Massnahmen.
Aber das Wichtigste dabei sei, dass man als Gesellschaft echte zwischenmenschliche Solidarität lebe und den gegenseitigen Respekt wahre – ganz egal, wie viel Geld man gerade in der Tasche habe. «Armut» betrifft als Thema die gesamte Gesellschaft.
«E bitz zäme sy, e bitz zäme schwätze.»
Hugo Fasel (66)
Und plötzlich passte dieser Generationentalk irgendwie ganz gut in diese Vorweihnachtszeit. Elias Rüegsegger fragte die Gäste nämlich nach ihren Plänen für die Weihnachtstage. André Hebeisen und Hugo Fasel werden bescheiden feiern: Zusammenkommen, einander genau zuhören, es gemeinsam schön haben oder wie es Hugo Fasel sagte: «E bitz zäme sy, e bitz zäme schwätze.» Weihnachten bietet also gleich schon eine Möglichkeit zur Integration.
Was ist der Generationentalk?
Zwei Generationen – ein Thema: Das ist der Generationentalk von UND Generationentandem. Jeden Monat diskutieren Jung und Alt miteinander über brisante Themen. Der Talk dauert zwischen 30 und 45 Minuten. Danach hat das Publikum Gelegenheit, sich an der Diskussion zu beteiligen. Der Generationentalk, moderiert von einem ModeratorInnen-Team von UND, trifft seit Mitte 2016 stets den Nerv der Zeit und setzt sich mit politischen und gesellschaftlichen Themen auseinander.
Der Talk wird vom generationendurchmischten Redaktionsteam professionell aufgezeichnet und fotografisch dokumentiert. Alle Talks sind dann hier als Podcast nachzuhören.
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