Der Generationentalk zum Nachschauen und Nachhören
Als Videopodcast: YouTube
Als Audiopodcast: Soundcloud | Spotify | Apple Podcast
«Ignorier ihn doch einfach» oder «blockier sie doch»: Das bekommen Betroffene von Stalking immer wieder zu hören. Dass es nicht ganz so einfach ist, machten die beiden Gäste – Susanne Winzenried (28) und Natalie Schneiter (41) – am Generationentalk «Hilfe, ich werde gestalked!» vom 30. Januar schnell klar.
Susanne Winzenried ist Rechtsanwältin, spezialisiert auf Strafrecht. Im Rahmen ihrer Tätigkeit vertritt sie sowohl geschädigte als auch beschuldigte Personen vor Gericht. Natalie Schneiter arbeitet seit 11 Jahren als Sozialarbeiterin (MSc in Sozialer Arbeit) auf der Fachstelle Stalking-Beratung der Stadt Bern. Während dieser Zeit hat sie unzählige von Stalking betroffene Personen beraten und begleitet. Sie zeigt den Betroffenen Handlungsmöglichkeiten auf, um gegen das erlebte Stalking vorzugehen.
Im Gespräch mit Daniela Epp (30) sprachen sie darüber, was Stalking überhaupt ist, wie sie Betroffene aber auch Täter:innen unterstützen und darüber, was es von der Politik noch brauchen würde, um diesem Phänomen noch besser entgegenwirken zu können.
Stalking – Nachstellen
Der englische Begriff «Stalking» hat dich seit den 1980er Jahren auch im deutschen Sprachgebrauch etabliert, der deutsche Begriff dafür wäre «Nachstellen».
Doch was verstehen wir unter Nachstellen, oder eben Stalking überhaupt? Es gibt keine offizielle Definition von Stalking, erklären Susanne Winzenried und Natalie Schneiter gleich zu Beginn des Gesprächs. Sie nennen aber Beispiele, um das Phänomen zu veranschaulichen: Stalking kann beinhalten, dass Betroffene zum Beispiel mehrere Nachrichten – WhatsApp, SMS, E-Mails oder sogar via Twint – pro Tag erhalten, Blumen geschickt bekommen oder bei der Arbeit, in der Freizeit oder sogar Zuhause besucht und beobachtet werden. «Heute beinhaltet Stalking eigentlich fast immer ein Nachstellen, das online und offline stattfindet», ergänzt Natalie Schneiter.
80 Prozent der betroffenen Menschen, die sich bei der Beratungsstelle der Stadt Bern oder bei der Kanzlei von Susanne Winzenried melden, sind Frauen, erklären die beiden Expert:innen weiter. «Dass heisst aber nicht, dass Männer tatsächlich viel weniger stark betroffen sind», betont Susanne Winzenried, «wie bei vielen Straftatbeständen, die mit Belästigung und Nötigung zu tun haben, ist auch hier die Dunkelziffer bei den Männern vermutlich relativ hoch.»
«Die Dunkelziffer bei den Männern ist vermutlich relativ hoch.»
Susanne Winzenried
Motive für Stalking
Täter:innen stellen aus unterschiedlichen Gründen nach, erklärt Natalie Schneiter und bezieht sich dabei auf die Forschung von Dr. Jens Hoffmann, der unter anderem das Buch «Psychologie des Stalkings» geschrieben hat.
- Stalking nach einer Zurückweisung: Diese Täter:innen beginnen den Betroffenen nachzustellen, nachdem sie von der Person zurückgewiesen wurden (z. B. Ex-Partner:innen)
- Beziehungssuchende Täter:innen: Diese Täter:innen würden gerne eine Beziehung – romantisch oder platonisch – mit den betroffenen Personen eingehen.
- Stalking als Rache: Die Täter:innen stellen nach, um ein von ihnen wahrgenommes Unrecht zu begleichen.
Natalie Schneiter betont, dass es zentral ist, die Motive der Täter:innen zu kennen, um die Betroffenen zu beraten. Denn bei Stalking aus Rache müssen Betroffene anders handeln als bei Täter:innen, die beziehungssuchend sind. Bei gewissen Täter:innen wirkt nur der strafrechtliche Weg, bei anderen reicht eine sogenannte Täter:innenansprache – ein Brief, mit einer Aufforderung das Nachstellen zu stoppen.
Bis hin zu PTBS
Nachgestellt zu werden, belastet. Betroffene werden in ihren Freiheiten eingeschränkt, erleben Angstzustände und können auch langfristige Folgen, zum Beispiel in Form von posttraumatischer Belastungsstörung, davontragen. Und auch wenn sich bei Stalking meistens ein:e Täter und eine betroffene Person gegenüberstehen, ist das Umfeld der Betroffenen immer auch involviert und belastet. Es ist deshalb wichtig, so Natalie Schneiter, dass Angehörige von betroffenen Menschen ebenso betreut werden, denn auch sie können langfristige psychologische Folgen davontragen.
Die Politik in der Verantwortung
Auch wenn das Phänomen «Stalking» in den letzten Jahren auch in der Schweiz an Aufmerksamkeit gewann, gibt es dennoch noch wenig Ressourcen, die den Betroffenen oder auch den Täter:innen helfen könnten. Die Fachstelle Stalking der Stadt Bern, bei der Natalie Schneiter tätig ist, ist einzigartig in der Schweiz. Auch gibt es keinen offiziellen Straftatbestand «Stalking» – wenn Stalking verurteilt wird, dann unter den Straftatbeständen «Nötigung» oder «Drohung». Auch für Täter:innen gibt es keine Unterstützung, was in der Schweiz häufig – fast 50 Prozent – zu Wiederholungstäter:innen führt. Das sieht in anderen Ländern anders aus: In Deutschland und Österreich existiert ein offizieller Straftatbestand für Stalking. Zudem ist es obligatorisch für verurteilte Täter:innen an Beratungen und Kursen teilzunehmen, um Wiederholungstaten vorzubeugen.
«Ich sehe ganz klar die Gemeinden, Kantone und den Bund in der Verantwortung.»
Natalie Schneiter
«Hier sehe ich ganz klar die Gemeinden, Kantone und den Bund in der Verantwortung», sagt Natalie Schneiter dazu. Susanne Winzenried ergänzt, dass aktuell eine parlamentarische Initiative in der Vernehmlassung ist, die einen besseren strafrechtlichen Schutz vor Stalking garantieren soll. Denn die Realität ist, so Susanne Winzenried, dass nur die wenigsten Täter:innen zu Gefängnisstrafen verurteilt werden, auch wenn die psychische Schädigung der Betroffenen immens ist – härtere Urteile fallen erst dann aus, wenn die Schädigung auch körperlich ist. Wenn Täter:innen verurteilt werden, dann meist zu kleinen Geldstrafen. Ein zusätzlicher Straftatbestand – «sofern er gut formuliert ist» (Susanne Winzenried) – könnte diese Prozesse vereinfachen. «Ausserdem wäre es eine Anerkennung für die Betroffenen», ergänzt Natalie Schneiter.
Klar ist: Es wäre bitter nötig, dass in der Schweiz besser aufgeklärt und mehr Ressourcen zur Verfügung gestellt werden würden. Denn Aufklärung dient nicht nur dazu, dass das Thema in der Gesellschaft bekannter und akzeptierter wird, und sich dadurch auch mehr Betroffene getrauen, sich Unterstützung zu suchen, sondern kann auch präventiv wirken und dazu führen, dass Täter:innen früher erkannt werden und Unterstützung erhalten.
Was ist der Generationentalk?
Zwei Generationen – ein Thema: Das ist der Generationentalk von UND Generationentandem. Jeden Monat diskutieren Jung und Alt miteinander über brisante Themen aus Gesellschaft und Politik. Der Talk dauert zwischen 30 und 45 Minuten. Danach hat das Publikum die Gelegenheit, sich an der Diskussion zu beteiligen. Die Veranstaltung wird vom generationendurchmischten Redaktionsteam professionell aufgezeichnet und fotografisch dokumentiert. Alle Talks sind dann hier als Podcast nachzuhören.
Der Generationentalk wird 2024 gefördert von der Burgergemeinde Bern und der Gesellschaft zu Zimmerleuten.