Seine PartnerInnen online kennengelernt zu haben ist heute kein Grund mehr zur Scham und «swipen» als Verb bereits bestens verbreitet unter Jugendlichen. Wird Online-Dating gar die meistverbreitete Form sich kennenzulernen? Mit dieser Frage startet Miriam Lenoir (27) am 29. März 2022 in den ersten Generationentalk dieses Jahres. Im Berner Generationenhaus ist sie im Gespräch mit Pasqualina Perrig-Chiello (69), Psychologin und emeritierte Professorin an der Universität Bern mit Schwerpunkt soziale Beziehungen über die Lebensspanne, und Laura Matter (22), Mitgründerin der Dating Plattform noii.
Dating à la carte
Über den Stellenwert von Online-Dating in der Zukunft sind sich die zwei Frauen ganz zu Beginn des Gesprächs nicht ganz einig. Wird es tatsächlich die meistverbreitete Form des Kennenlernens oder werden wir Gegenbewegungen beobachten können? Einig sind sie sich aber, dass Online-Dating heute kein Tabu mehr ist und Bekanntschaften ermöglicht, welche offline nicht so einfach möglich wären.

Laura Matter, die mit der Plattform noii selbst eine Online-Dating-Anbieterin ist, erzählt von der Vielfalt und Fülle an Online-Angeboten. Ob thematische Schwerpunkte mit Angeboten speziell für KatzenliebhaberInnen oder VeganerInnen, ob selbst geswipt wird oder doch der Algorithmus die passenden PartnerInnen findet – es ist für jeden Geschmack etwas dabei. Die junge Plattform noii möchte mit ihren Videodates eine Bewegung weg vom statischen Bild anstossen. Damit möchten sie Singles ansprechen, die an einem «ernsthaften Kennenlernen» interessiert sind – eine solche Positionierung sei wichtig in dieser Fülle von Angeboten, meint Matter.

Bild: Walter Winkler
Romantik und Algorithmus
Algorithmen und romantische Vorstellungen von Partnersuche – geht das zusammen? Pasqualina Perrig-Chiello sieht darin nicht unbedingt einen Widerspruch: Redensarten wie «Gegensätze ziehen sich an» stimmten sowieso nur für kurze Affären. Bei langfristigen Beziehungen seien gemeinsame Werte und Projekte sehr wichtig und Algorithmen stark darin, ähnliche Persönlichkeiten zusammenzuführen. In der Forschung konnten sehr positive Erfahrungen damit erfasst werden.

So unterschiedlich die Angebote sind, so verschieden seien auch die Bedürfnisse und Erwartungen der NutzerInnen. Ganz generell, so Pasqualina Perrig-Chiello, suchten Menschen nach einer Vertrauensperson mit ähnlichen Werten für gemeinsame Freizeitgestaltung. Frauen hätten mit zunehmendem Alter höhere Ansprüche an eine Partnerschaft, wie finanzielle Sicherheit und Status des Partners. Das sei bei Männern so nicht zu beobachten. Laura Matter ergänzt: Bei der Generation zwischen 20 und 30 Jahren bestehe der Reiz des Online-Datings in den unverbindlichen Bekanntschaften. Jede potenzielle Bekanntschaft ist nur ein «Swipe» entfernt.
Je nach Alter sind auch auf Online-Plattformen unterschiedliche Geschlechterverhältnisse zu beobachten. Während ältere Frauen überall mit grosser Konkurrenz zu kämpfen haben, können jüngere Frauen geradezu auswählen. Als Beispiel nennt Pasqualina Perrig-Chiello Frauen gegen Ende 40, die eher bei gleichaltrigen oder älteren Männern Erfolg haben. Männer in diesem Alter hätten dazu auch bei noch jüngeren Frauen grosse Chancen.

Traditionell trotz digitaler Träume
Richtig lebhaft wird die Diskussion, als Miriam Lenoir die Frage einwirft, wie stark Geschlechterrollen denn beim Daten heute noch relevant seien. Darf der Mann der Frau das Essen (noch) bezahlen? Von «auf keinen Fall» bis zu «das ist doch einfach eine nette Geste» – die drei Frauen waren sich nicht ganz einig. Pasqualina Perrig-Chiello nennt Retraditionalisierungseffekte: Männer und Frauen nehmen in einer neuen Partnerschaft wieder traditionelle Rollen ein. Dies, obwohl sie das zuvor nicht so gelebt haben. Von Abhängigkeiten über Geben-und-Nehmen bis zur verpflichtenden Wirkung von Geschenken – die drei Frauen geben persönliche Einblicke in ihre eigenen Erfahrungen.
«De Vibe mues stimme!»
Laura Matter (22)
Alte Werte auch für digitale Liebe
Aber merkt man wirklich, ob es funkt? Wenn «de Vibe» stimmt, könne man auch online in fünf Minuten feststellen, ob man eine Person näher kennenlernen möchte, ist Laura Matter überzeugt und Pasqualina Perrig-Chiello ergänzt, dass Stimme, Mimik, Wortwahl und Tonlage entscheidende Merkmale seien. Videos böten da zu herkömmlichen Fotos einen Mehrwert. Aber so richtig wettmachen könne das Netz die reale Welt dann doch nicht. Dennoch, betont Laura Matter, öffne das Online-Dating Türen zu Menschen, die man sonst so einfach nicht hätte kennenlernen können. Das gelte beispielsweise für Personen, die neben Kinderbetreuung und Arbeit wenig Gelegenheit hätten, neue Menschen kennenzulernen.

Bild: Walter Winkler
Miriam Lenoir schliesst den offiziellen Teil des Generationentalks mit der Frage, was denn das Rezept der Gäste sei, im Internet die grosse Liebe zu finden. Die zwei Frauen sind sich einig: Wer seine grosse Liebe finden möchte, sollte möglichst authentisch auftreten, keine Fassaden aufbauen und das Allerwichtigste – Wenn’s funkt, möglichst viel Interesse zu zeigen.
Was ist der Generationentalk?
Zwei Personen – ein Thema: Das ist der Generationentalk von UND Generationentandem. Jeden Monat diskutieren Jung und Alt miteinander über brisante Themen. Der Talk dauert zwischen 30 und 45 Minuten. Danach hat das Publikum die Gelegenheit, sich an der Diskussion zu beteiligen. Der Generationentalk, moderiert von einem ModeratorInnen-Team von UND, trifft seit Mitte 2016 stets den Nerv der Zeit und setzt sich mit politischen und gesellschaftlichen Themen auseinander.
Der Talk wird vom generationendurchmischten Redaktionsteam professionell aufgezeichnet und fotografisch dokumentiert. Alle Talks sind hier als Podcast nachzuhören.

Die Vielfalt der Online-Angebote, angefangen von thematischen Schwerpunkten bis hin zu verschiedenen Matching-Algorithmen, spiegelt die Diversität der Bedürfnisse der Nutzer wider. Die Diskussion über Algorithmen und romantische Vorstellungen von Partnersuche zeigt, wie sich Technologie und emotionale Aspekte miteinander verbinden können.
Es ist faszinierend zu erfahren, wie verschiedene Generationen unterschiedliche Herangehensweisen und Erwartungen an die Partnersuche haben.