Politpodium zum Nachschauen und Nachhören
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Evelyne Hunziker (56) leitet das Projekt «Wohnen für Hilfe» der Stadt Bern, Kristjan Bardheci (30) wohnt mit einer 90-jährigen Seniorin zusammen. Am Generationentalk vom 25. Oktober 2022, moderiert zum ersten Mal von Daniela Epp (28), sprechen sie vor einem kleinen, aber hochinteressierten Publikum über die Vorteile und Herausforderungen von Generationen-Wohngemeinschaften.

Gegen Wohnungsnot und Einsamkeit
Mit dem Postulat «Wohnen bei Seniorinnen und Senioren: Schaffen einer Vermittlungsstelle gegen Wohnungsnot und Einsamkeit» wollte der Stadtrat 2014 zwei Probleme «mit einem Klapf» lösen: Vereinsamung und zu viel Wohnraum bei der älteren Generation, Wohnungsnot bei BerufseinsteigerInnen und StudentInnen. Aus diesem Postulat heraus entstand das Projekt «Wohnen für Hilfe» der Stadt Bern. Ein Projekt, das mit viel Aufwand und Vorarbeit verbunden war, der irgendwann nicht mehr vertretbar war.
Evelyn Hunziker (56), Leiterin Kompetenzzentrum Alter bei der Stadt Bern, berichtete eindrücklich: Das Projekt musste finanziert werden, interessierte Personen mussten darauf aufmerksam gemacht werden und dabei konnten sich das Projektteam nicht nur auf digitale Plattformen verlassen, Fachpersonen mussten miteinbezogen werden, damit dieser besondere Vertrag – ein Arbeitsvertrag, nicht ein Mietvertrag – zwischen den zwei Generationen auch «verhäbt». Das alles war also nicht ganz einfach, nur eine Vermittlung fand statt und 2019 musste das Projekt aus Ressourcengründen abgebrochen werden.

Die Schönheit der Wohngemeinschaft
Kirstjan Bardheci (30) lebt mit Lisbeth Sigrist (90) seit fast vier Jahren in einer speziellen WG. Über Pro Senectute Zürich erfuhr er, dass es solche Wohnformen gibt und erkundigte sich dann auch in Bern. Er suchte ein günstiges Zimmer, ein solches Arrangement war für ihn also ideal.
Kristjan hat viel von Lisbeth Sigrist gelernt, da sie als ehemalige Hauswirtschaftslehrerin viel vom Kochen versteht. Sie hat eine nützliche Leidenschaft in Kristjan geweckt. In kleinen Schritten lernte er das Dämpfen, Braten, Garen und Dünsten. Lisbeth Sigrist kocht sehr bewusst mit Saison – Gemüse und kauft auch so ein. Dieses bewusste Essen und Einkaufen hat Kristjan durch das gemeinsame Zusammenleben schätzen gelernt. Das fast tägliche gemeinsame Kochen und Essen stärkt die Beziehung und durch die Gespräche wächst auch das Interesse aneinander immer mehr.

Kristjan packt im Garten kräftig zu, er gräbt die Gartenbeete um und macht sie winterfest. Schneidet Sträucher und trägt schwere Einkäufe nach Hause. Es ist für den Studenten und die Seniorin eine Win- Win- Situation, in die für beide viel Menschliches und viel Schönheit einfliesst.
Arbeit pro Quadratmeter?
Was dürfen die SeniorInnen von ihnen für Arbeiten verlangen? Eine interessante Formel wurde definiert: pro Quadratmeter eine Stunde Mitarbeit pro Monat im Haus oder Garten. Da die meisten vermieteten Zimmer 12 Quadratmeter messen, ergibt sich ein monatlicher Arbeitsaufwand von circa 12 Stunden. Natürlich sind Offenheit und Toleranz wichtige Werte für das Gelingen.

Keine niederschwellige Wohnform
Die Studierenden helfen, dafür wohnen sie gratis: Dieses Arrangement erfordert nicht einen Mietvertrag, sondern einen Arbeitsvertrag, was für die Studierenden auch bedeutet, dass sie AHV-pflichtig werden. Dazu kommt eine Unfallsversicherung, Quellsteuer und vieles mehr. Keine niederschwellige Wohnform also, was vielleicht auch erklärt, warum sie nicht so erfolgreich ist, wie das sich das Projektteam «Wohnen für Hilfe» erhoffte.
Ein weitere Herausforderdung: Viele interessierte, städtische SeniorInnen können an dieser Wohnform nicht teilnehmen, da ihnen ein zweites Badezimmer fehlt, was eine Bedingung für diese Wohngemeinschaft ist. «Ohne eigenes Badezimmer könnte ich mir das Zusammenleben eher nicht vorstellen – und sie auch nicht», sagt Kirstjan Bardheci dazu. Somit ist dieses Projekt für die Stadt weniger geeignet, was für aufgeschlossene SeniorInnen schade ist. Daher muss dieses Generationenwohnen in den umliegenden Gemeinden schmackhaft gemacht werden, wo eher grössere Wohnungen zu finden sind.
Hürden überwinden
Noch stehen dieser Wohnform einige Hürden im Wege, doch wenn dieses einzigartige Wohngemeinschaft in der Bevölkerung präsenter wird, könnten auch neue Formen entstehen. Angst und Vorurteile werden abgebaut. Die Neugierde an der anderen Generation wird gefördert und vielleicht wird uns auch ihre Attraktivität bewusster.

Was ist der Generationentalk?
Zwei Personen – ein Thema: Das ist der Generationentalk von UND Generationentandem. Jeden Monat diskutieren Jung und Alt miteinander über brisante Themen. Der Talk dauert zwischen 30 und 45 Minuten. Danach hat das Publikum die Gelegenheit, sich an der Diskussion zu beteiligen. Der Generationentalk, moderiert von einem ModeratorInnen-Team von UND, trifft seit Mitte 2016 stets den Nerv der Zeit und setzt sich mit politischen und gesellschaftlichen Themen auseinander.
Der Talk wird vom generationendurchmischten Redaktionsteam professionell aufgezeichnet und fotografisch dokumentiert. Alle Talks sind dann hier als Podcast nachzuhören.
