Ursula Schönenberger (53) ist Körper- und Atemtherapeutin. Ihre Freizeit verbringt sie gerne im Garten, wo sie ihre Pflanzen zu Sträussen, Kräutersalzen, Tinkturen und Salben verarbeitet.
Wann haben Sie das letzte Mal geseufzt?
Ursula Schönenberger: Als ich Ihre Interviewanfrage erhalten habe. Weil es nun losgeht, ist eine gewisse Anspannung von mir gewichen und ich kann in die Aktivität gehen.
Weshalb seufzen wir?
Das kann verschiedene Gründe haben. Manchmal seufzen wir, weil wir belastet sind, also Angst oder Sorgen haben. Oder, weil wir etwas geschafft, erledigt oder erreicht haben. Während einer Therapiestunde erlebe ich das Seufzen oft als ein Ankommen, zur Ruhe kommen, bei sich sein. Allerdings kann häufiges Seufzen auch ein Anzeichen für eine Krankheit sein, zum Beispiel einer Depression, einer Angststörung oder Atemproblemen. Zu häufiges Seufzen – vor allem wenn es zu einer Gewohnheit oder Sucht wird – kann zu einer chronischen Hyperventilation führen.
«Seufzen ist ein tiefes Einatmen gefolgt von einem langen Ausatmen mit Ton und einer Atempause. Oft verändert sich dadurch unser Atemmuster.»
Ursula Schönenberger
Seufzen ist also meistens mit Emotionen verbunden?
Wenn Seufzen einfach so «entsteht», dann ist das richtig. Seufzen kann aber auch bewusst als Entspannungs- oder Atemimpuls angewendet werden. In diesem Fall können durch die Veränderung der Spannung im Körper auch Emotionen entstehen. Probiere es aus: Seufze genüsslich! Was geschieht nun in deinem Körper, mit deinen Gedanken, deiner Stimmung, deinen Emotionen?
Sie sprechen von einer Veränderung der Körperspannung. Was passiert genau?
Seufzen ist ein tiefes Einatmen gefolgt von einem langen Ausatmen mit Ton und einer Atempause. Oft verändert sich dadurch unser Atemmuster. Seufzen kann wie ein Reset, also ein Zurücksetzen auf null, wirken. Wir können als Beispiel dieses Interview nehmen. Ich bin konzentriert und ein bisschen nervös, meine Atmung wird flacher und oberflächlicher, das ist normal. Wenn die Anspannung vorbei ist und ein Seufzer entstehen darf, wird meine Atmung wieder entspannter und tiefer.
Welchen Einfluss hat die Atmung auf unseren Körper?
Mit der Atembewegung – Heben und Senken des Zwerchfells – erhalten unsere inneren Organe eine wohltuende und belebende Massage. Zudem wird der Rückfluss des venösen Blutes und der Lymphflüssigkeit unterstützt. Der Atem hat auch Einfluss auf unser autonomes Nervensystem. Er ist die einzige autonom gesteuerte Grundfunktion des menschlichen Organismus die wir – mindestens zeitweise – willentlich beeinflussen können. Im Gegensatz dazu können wir zum Beispiel den Herzschlag oder die Darmtätigkeit nicht bewusst steuern.
Was heisst das?
Mit bewusster Atmung können wir auf die Aktivierung des autonomen Nervensystems einwirken, es beruhigen oder aktivieren. So ist die Atmung unter anderem eine wunderbare Unterstützung bei der Stressbewältigung.
Kann man richtiges Atmen lernen?
Ich möchte den «Atem» nicht in richtig oder falsch einteilen. Ein gesunder Atem ist vielfältig, anpassungsfähig, flexibel und wandelbar. So kann er sich jeder Situation und jeder Anforderung anpassen. Ganz nach dem Motto: «Wie wir atmen, so leben wir – wie wir leben, so atmen wir». Jeder hat sein eigenes gewordenes Atemmuster, das durch sein Leben und Erleben geprägt wird. Je nach Situation macht es Sinn, bestimmte Atemtechniken zu lernen.
«Wie wir atmen, so leben wir – wie wir leben, so atmen wir.»
Ursula Schönenberger
Atmet ein junger Mensch anders als ein alter?
Die Atemfrequenz, das heisst wie oft wir pro Minute atmen, verändert sich. Ein Neugeborenes hat 30-50 Atemzüge pro Minute, Säuglinge 20-40, Kleinkinder 20-30, Kinder 18-24 und Erwachsene 12-16 Atemzüge. Wie schon erwähnt verändert sich der Atem auch durch unser Erleben und wie wir damit umgehen.
Wie kann ich selbst die Atmung positiv beeinflussen?
Da gibt es viele Möglichkeiten: Atemübungen, Bewegung an der frischen Luft, Beweglichkeit erhalten und fördern, Entspannung, Körperwahrnehmung verfeinern, Probleme und Belastungen lösen oder einen guten Umgang damit finden. Manchmal hilft es auch, «gwundrig» zu sein und sich zu fragen: Was tut mir jetzt gerade gut, was brauche ich in diesem Moment?
Atemübung mit Ursula Schönenberger
Ich lege mich entspannt auf den Rücken, die Beine aufgestellt und die Hände auf dem Bauch. Ich spüre, wie die Luft durch meine Nase einströmt und in die Lunge fliesst und die Bewegung, die sie unter meinen Händen auslöst. Beim Einatmen schmiegt sich mein Bauch in meine Hände, beim Ausatmen schwingt er sanft zurück. Als Variante lege ich meine Hände auch auf meinen oberen Brustkorb (die Fingerspitzen liegen auf den Schlüsselbeinen) oder auf den Rippenbogen (unterhalb der Brust, auf der Höhe des Zwerchfells).