Wer gerne im Internet sitzt, konnte schon seit einiger Zeit unter dem Stichwort «forever young» kurze Äusserungen von Menschen zwischen zehn und hundert Jahren entdecken – zu zehn Fragen ums Alter, ums Altern: «Welches ist das beste Alter?» oder «Würden Sie gerne ewig leben?» etwa. Die oft amüsanten, häufig nachdenklichen Ansichten erscheinen nun als Teil der Ausstellung im ehemaligen Burgerspittel Bern. Wo in diesem gut genutzten Gebäude? In den Kellergewölben, die bisher kaum besucht waren, hat der Ausstellungsmacher Detlev Vögeli (40 – Alter hier von Bedeutung) mehrere technisch raffinierte, aber auch inhaltlich bedeutsame Präsentationen eingerichtet.

Unter anderen einen filmischen Schnelldurchlauf durch die Menschheitsgeschichte unter dem Aspekt des Ewig-leben-Wollens; ein «Labor» mit all den Ansätzen zum Kampf gegen das Altern; eine Sammlung von Erinnerungen der 100-Jährigen. Möchten Sie wissen, wie viel Lebenszeit ab heute Ihnen die Statistik noch zugesteht? Wenn nicht – lassen Sie diese Station aus. Doch die Ausstellung insgesamt sollten Sie sich nicht entgehen lassen.
Detlev Vögeli war zuvor neun Jahre am Stapferhaus Lenzburg tätig, das seinerseits für originelle Ausstellungen bekannt ist – siehe unsere Berichte zur aktuellen «Fake»- oder Lügen-Ausstellung. Zu dem erstmaligen Versuch in Bern verrät er etwa, dass sich zu den Befragungen der 100 Menschen in Altersgruppen sehr viele KandidatInnen gemeldet haben. Dass diese herkommen mussten – nur die 100jährigen habe man an ihrem Ort aufgesucht. Dass natürlich nicht alle Aspekte des Alterns berührt werden, auch weil es sich bei den Porträtierten um gesunde, bewegliche Menschen handelt.
«forever young» (basiert auf einem Song von Alphaville) sei ein offener Titel, denn einerseits drücke sich darin ein uralter Traum aus, andrerseits gebe es aber Forscher, die ewiges Leben bereits ernsthaft ankündigen. Die Ausstellung stellt das Jahresthema des Generationenhauses Bern dar, sie dauert bis März 2020 und wird durch Veranstaltungen ergänzt. Infos über www.begh.ch/foreveryoung. Eingang am Bahnhofplatz beim Restaurant «Toi et moi».
All die Fragen zum Alter
Sechs TeilnehmerInnen haben an einem «Runden Tisch» nach dem Besuch der Ausstellung die brennendsten Fragen zum Thema Alter, welche auch die Ausstellung thematisiert, beantwortet.
Möchten Sie unsterblich sein?
Heinz Gfeller (70): Unsterblichkeit ist eine Idee – die meine Vorstellungskraft übersteigt. Wenn ich bedenke, wie lang ich mich schon auf dieser Erde tummle, kommt mir das bereits als eine Art Ewigkeit vor; zumal ich von den frühesten Zeiten keinerlei Bilder habe. Dass auf der andern Seite ein Ende wartet, ist mir bewusst genug – auch wenn ich es nicht sehen will.
Dahinter, wie auch vor meiner Geburt, öffnet sich ein unendlicher Raum: Den kann ich theoretisch denken, aber nichts damit anfangen. Es scheint mir hart, ja brutal, die Endlichkeit des persönlichen Lebens anzunehmen; aber alle wissen, dass dies eine unserer Aufgaben ist. Dass halt dieses Leben da gelingen sollte, soweit es in unserer Macht steht. Auch die Schönheit dieser Welt zu erkennen, müssten wir in der zugestandenen Zeit hinkriegen. Die Welt, das Leben können ewig schön sein, bleiben. Den einzelnen Menschen braucht es dazu nicht. In einer Ewigkeit wüsste er sich nicht zu benehmen. Manchmal glaube ich: Götter haben es auch nicht gewusst.

Wie alt fühlen Sie sich?
Erika Kestenholz (71): Das ist schwierig zu beantworten. Wie fühlt MAN sich mit 71 Jahren? Im Alter von 20 Jahren war ein 70-Jähriger für mich ein Greis. Ob jemand 60 oder 100 Jahre alt war, spielte für mich gar keine Rolle. Als ich 30 Jahre alt war, sagte eine ältere Frau zu mir, sie fühle sich noch so jung, gar nicht wie eine 60-Jährige. Ich zuckte nur mit den Schultern und dachte: Was will sie mir damit sagen?
Wenn ich in den Spiegel schaue, erblicke ich eine alte Frau mit vielen Falten im Gesicht, ohne Zweifel eine etwa 70-Jährige. Ich bin aber glücklich darüber, dass ich mich momentan körperlich und geistig nicht so uralt fühle, wie ich früher erwartet hatte. Seit meinem siebzigsten Geburtstag ertappe ich mich manchmal beim Gedanken: «Altes Mädchen, das hast du jetzt gut hingekriegt, für dein Alter!» Zum Beispiel, wenn ich flott die Skipiste hinuntergekurvt bin. Und seither fühle ich mich alt und stehe dazu. Aber eigentlich sollten wir bereits ab 55 dazu stehen, zu den Alten zu gehören.
Telsche Keese (82): Schaue ich aus der Vogelperspektive zurück auf meine gelebten Jahre, bin ich zufrieden. Ich bin ein Altvogel, kein Küken mehr, das sieht man mir an, aber ich weiss: «Dir geht es gut wie nie zuvor.» Ich fühle keine Grenzen, mich schreckt nichts mehr, nicht einmal der Tod. Ich fühle mich jünger als mit 20 Jahren. Meine Kindheit war geprägt von Verboten. Die Absage an meine Berufswünsche und die Ansage, die Hausfrauenrolle mit Rüschenschürze und den Pantoffeln für den heimkehrenden Alleinverdiener anzunehmen, waren harte Brocken. Aber ich habe mich gemausert und hole seit meiner Pensionierung nach, was ich in der Jugend gerne getan hätte. Ich bin neugierig auf Ungewohntes und Menschen, die andere Lebensentwürfe leben dürfen.
Das Wichtigste war, im Leben einen Platz zu finden, der für uns und die Kinder zur Heimat werden würde. Das haben mein Mann und ich geschafft. Frei von Verantwortlichkeiten tue ich nun, was mir Spass macht. Ich finde, jetzt ist die beste Zeit, auch wenn ich mit dem Blick zurück lebe.
Möchten Sie ewig jung sein?
Tanja Mitrić (25): Bin ich mit 25 Jahren noch jung? Statistisch gesehen habe ich noch gute 60 Jahre zu leben, was sich für mich nach einer Ewigkeit anhört. Jetzt befinde ich mich aber noch auf dem Peak meiner Jugendlichkeit: Ich bin gesund, schmerzfrei, geistig und körperlich fit. Geht es also die nächsten 60 Jahre nur noch bergab? Meine Jugend verbinde ich nicht primär mit straffer Haut und guter Fitness, sondern vor allem mit Flexibilität und persönlicher Freiheit.

Das Ende der Jugend kann ich verkraften, der Verlust von kognitiven und körperlichen Fähigkeiten aber – besonders im hohen Alter – macht mir etwas Angst. Ich möchte nicht Mühe haben, eine Treppe hochzusteigen, mein Gedächtnis verlieren, an Gliederschmerzen leiden oder für jede Tätigkeit doppelt so viel Zeit benötigen. Wenn ich also die Selbstverständlichkeit, mit der ich jetzt gewisse Dinge tue, ein Leben lang beibehalten und mich mit 60 Jahren noch so fühlen kann wie mit 25, dann möchte ich das – auch mit schlaffer Haut.
Annina Reusser (25): Laut der Lebenserwartung, die «forever young» für mich errechnet hat, soll ich 93 Jahre alt werden. Damit bleiben mir 68 Lebensjahre – eine für mich unvorstellbar lange Zeitspanne. Werde ich tatsächlich so alt, steht mir noch vieles in meinem Leben bevor: wer weiss wie viele Umzüge, berufliche Entscheidungen, neue Bekanntschaften; vielleicht habe ich Kinder, Grosskinder?
Ich kann all diese Jahre mit Leben füllen, mit kostbaren Momenten. Und wenn meine Zeit gekommen ist, möchte ich zufrieden nicken können und sagen: Doch, du hast das Beste aus dem gemacht, was dir gegeben wurde. Wenn ich mir aber vorstelle, dass die mir verbleibende Zeit auf der Erde sogar unendlich lang ist, dann wüsste ich nicht, was ich mit mir anfangen sollte. Ich könnte sämtliche Entscheidungen auf das nächste Jahr, das nächste Jahrhundert hinausschieben. Spielt ja keine Rolle, ich habe noch ewig Zeit. Nein, ich möchte nicht unsterblich sein. Das Wissen, dass mein Leben verschiedene Abschnitte hat und an irgendeinem Tag zu Ende sein wird, bringt mich dazu, die Zeit, die ich habe, zu schätzen. Die Endlichkeit des Lebens zwingt mich, im Jetzt zu leben und das Beste aus den Jahren zu machen, die mir gegeben sind.

Ursula Wagner (67): Eine schwierige Frage für mich: Von welchem Lebensalter gehe ich aus? Wann fühlte ich mich angenehm jung? Ich wähle das Alter zwischen 25 und 35. Meine Vorteile: Ich hätte die Möglichkeit, stets das zeitgemässe Leben zu leben und würde den Bezug zum jungen Dasein nie verlieren. Die neuen Gesellschaftsformen, das moderne Zusammenleben und Arbeiten wären stets mein aktueller Alltag. Ich würde jeden neuen Zeitgeist selber aktiv mitprägen und wäre integriert. Ich bliebe jung, dynamisch und erwünscht.
Meine Nachteile: Ich könnte nie aufhören, mich neuen Gesellschaftsformen und Werten anzupassen. Nur meine Mitmenschen würden kontinuierlich altern. Daher müsste ich ständig in meinem gleichbleibenden Alterskreis neue Beziehungen finden. Ich könnte kaum eigene Werthaltungen erkennen, da ich mich endlos im Jungsein neu erfinden müsste. Ich würde nicht reifen, mich wenig entwickeln und eine Endlosschleife leben.
Fazit: Nein, bitte nicht für immer jung sein! Ich stelle mich dem Altwerden!
Was möchten Sie eigentlich unbedingt noch erleben?
Erika: Ich möchte noch meine eigene Urne töpfern können, eine Wasserurne.
Telsche: Einen «Flug» im Windkanal.
Ursula: Ich möchte noch erleben, wie wir Menschen alles dafür tun, dass es auf der Welt ein möglichst friedvolles Zusammenleben gibt.
Tanja: Ich möchte unbedingt mal ein Buch schreiben.
Heinz: Dass hier (oder weltweit?) eine ernsthafte Massnahme gegen den Autoverkehr ergriffen wird.
Annina: Unter anderem ein Segeltörn im Mittelmeer.