Anita: Die Sonne scheint schon auf mein Bett, als ich erwache. Zufrieden strecke ich mich gähnend im warmen Bett. Plötzlich richte ich mich bolzengerade auf und reibe mir die Augen. Vage erinnere ichmich daran, dass mir gestern Abend ein peinliches Missgeschick passiert sein muss, denn ich sehe deutlich lachende Gesichter um mich herum. Ich weiss auch, dass ich mich unmittelbar danach aus dem Staub gemacht habe. Allein? Zum Kuckuck, was ist geschehen? Ich habe keine Ahnung mehr.Verwirrt stehe ich auf und gehe Kaffee kochen
Fiona: Ich schrecke hoch, die Türglocke schrillt. Anscheinend sind mir die Augen zugefallen, der Kaffee ist bereits kalt geworden. Ich schlurfe zur Eingangstür und öffne sie. Davor steht mein Kollege Tom, sein blonder Haarschopf ist ganz verwuschelt. Er wirkt ärgerlich. Bevor ich weiss, wie mir geschieht, prasselt eine Schimpftirade auf mich ein. Träge wie mein Gehirn momentan ist,bleiben nur einzelne Satzfetzen hängen wie «…musstest du dazwischenfunken…», und «…wäre alles perfekt gewesen…».
Ich versuche ihn zu beschwichtigen, indem ich ihm zu verstehen gebe,dass meine Erinnerung an den gestrigen Abend lückenhaft ist. «Ach, willst du damit behaupten,dass ich das alles nur erfunden habe?», fragt er wutschnaubend. Auf diese Bemerkung weiss ich nichts zu erwidern, ohne unverschämt zu werden. Mit einem «Du entschuldigst mich?» schliesse ich betont lässig die Tür vor seiner Nase.Im selben Moment erinnere ich mich wieder: SIE war an diesem Abend auch mit uns unterwegs gewesen und hat sich ausschliesslich mit Tom unterhalten.
Anita: Jetzt denke ich wie ein Teenager und nicht wie ein 51-jähriger, erwachsener Mann mit einiger Lebenserfahrung, gestehe ich mir selbstironisch ein. Warum konnte ich mich nicht in das Gespräch einbringen? So auf den Kopf gefallen bin ich doch nicht. Wenn ich noch länger grüble, drehe ich noch durch. Es wird Zeit, dass ich mich mit körperlicher Arbeit ablenke und meine Apfelernte beende.Kaum habe ich die Schuhe angezogen, klingelt es erneut an der Tür. Diesmal schaue ich zum Fenster hinaus, und–oh Schreck! SIE, Flurina, steht vor der Tür! Was erwartet mich jetzt? Wenn ich nur wüsste… Nach einem tiefen Atemzug öffne ich die Tür. Entgegen meiner Erwartung strahlt mich die Frau meiner Träume begeistert an, streckt sich und fällt mir um den Hals.
Vor Überraschung und Freude laufe ich puterrot an. Perplex höre ich Flurina erzählen: «Das war gestern eine schöne Idee von dir, für mich der krönende Abschluss des Abends. Unser offenes Gespräch im Mondschein habe ich genossen nach Toms langweiligem Geplapper.» Irritiert schaut sie mich an, senkt die Augen und meint:«Du siehst nicht so aus, als ob du gleich empfindest wie ich. Dein Blick wirkt so äh… seltsam suchend.»Angestrengt versuche ich meine Gesichtsmuskeln zu einem frohen Ausdruck zu verziehen. Was sie wohl denkt, wenn ich ihr offen von meinem Filmriss erzähle?
«Vage erinnere ich mich daran, dass mir gestern Abend einpeinliches Missgeschick passiert sein muss, denn ich sehedeutlich lachende Gesichter um mich herum.»
Fiona:«Nun ja… doch, das Gespräch war wirklich sehr interessant. Und auch deine Anekdote über…diese Saufbolde, die am nächsten Tag keine Ahnung mehr haben, das ist wirklich tragisch», sage ich.Dabei mache ich ein ernstes Gesicht, doch sie starrt mich zweifelnd an. «Von was sprichst du? Kannst DU dich überhaupt erinnern?» Ich schlucke leer. Erst mal ein witziger Spruch, um die Stimmung aufzulockern. «Ach Flurina, wie heisst es doch so schön: Ich war nicht betrunken, du warst nur verschwommen.» Ein vernichtender Blick trifft mich. «Na gut, ich kann mich nicht an unser Gesprächerinnern. Genau so wenig daran, in grossen Mengen getrunken zu haben…», gebe ich zu.
Mit ihrer Reaktion habe ich nicht gerechnet: Sie verfällt in schallendes Gelächter. Das Gefühl von Scham macht sich schon wieder in mir breit, mit glühenden Wangen blicke ich zu Boden. Sie bemerktes und reisst sich zusammen. «Dein Gedächtnisverlust hat nichts mit Alkohol zu tun, du hast dir nur fürchterlich den Kopf gestossen.»
Anita:«Warum? Ich weiss, dass mir ein Missgeschick unterlaufen ist…. ich erinnere mich an lachende Leute um mich herum.»–
«Die lachten bestimmt nicht wegen dir. Hör zu: Du hast mich nach Hause begleitet und unterwegs haben wir Schreie gehört. Du hast einer Frau geholfen, die von zweihalbstarken Burschen angepöbelt und bedroht wurde. Du ranntest hin und hast laut gerufen, sodass die beiden vor Schreck erstarrten. «‹Ihr seid Helden!›, hast du gebrüllt. ‹Zu zweit greift ihr eine wehrlose Frau an, ihr feigen Pfeifen. Haut ab!› Die Frau ist rasch zur Seite gewichen. Als du dich umdrehtest, hat dich der eine hinterrücks gestossen und du bist gestolpert.»
Fiona:«Du hast versucht, dich irgendwo festzuhalten, hast den Hosenbund des Angreifers zu fassen gekriegt, und mit dir ist auch seine Hose heruntergerutscht. Dein Kopf ist gegen eine Säule geknallt und als klar war, dass du dir nicht ernsthaft weh getan hast, sind die Schaulustigen in Gelächter ausgebrochen. Die Szene sah so witzig aus, als der gemeine Angreifer plötzlich in Unterhose vor dir stand.»
Ich erinnere mich: Kurz taucht ein blonder Haarschopf vor meinem inneren Auge auf, denn die Kapuze auf dem Kopf des Angreifers war weggerutscht. Kann es sein, dass es…«Wo war Tom zu diesem Zeitpunkt? Die blonden Haare und die Gesichtszüge, die ich im Dunkeln ausmachen konnte. Kann es sein, dass ER…»–
«Ja, Archibald. Ich denke, wenn du eins und eins zusammenzählst, wird dir klar, wer dieser Kerl war», sagt Flurina.
Anita:«So etwas Fieses hätte ich ihm nie zugetraut. Ich glaubte zuerst, dass er dir gefällt, da duanfangs nur mit ihm geredet hast.»–
«Du bist mir ein Spassvogel!», amüsiert sie sich erneut aufmeine Kosten. «Du brachtest keinen Mucks hervor, solange wir zu dritt waren», sagt sie und knufft mich in die Seite.