
Zwei Dreissigjährige stehen im Mittelpunkt. Ein Mann und eine Frau, die – obwohl gleich alt an Jahren – an sehr unterschiedlichen Punkten im Leben stehen.
Kathrin Wessling, «Nix passiert», Ullstein, 2020
Marlene: Seit ich das Buch «Morgen ist es vorbei» von Kathrin Wessling gelesen habe, fiebere ich jedem Buch von ihr entgegen. Und auch hier wurde ich – einmal mehr – nicht enttäuscht! In dieser Geschichte geht es um Alex in Berlin, welcher von Jenny verlassen wurde, Hals über Kopf. Berlin ohne Jenny ist einfach nur trostlos und leer, weshalb Alex beschliesst, für unbestimmte Zeit zu seinen Eltern aufs Land zu ziehen, wo er aufgewachsen ist. Den wahren Grund, weshalb er zurückkehrt, verrät er seinen Eltern zuerst nicht. Diese trauen dem Vorhaben ihres Sohnes nicht ganz, denn dieser wollte nie mehr in die Heimatstadt zurückkehren. Kathrin Wessling trifft mit ihren Figuren und ihren Geschichten und mit ihrem provokanten, sarkastisch-bösen Schreibstil mitten ins Herz. Da der Text ein gewisses Tempo vorgibt, möchte man das Buch gleich an einem Stück durchlesen. Das Gefühlschaos von Alex schildert die Autorin ehrlich und direkt – und ich denke, jede Person kann sich in gewissen Passagen wiederfinden. Wessling zeigt auf, dass eine Trennung nicht nur negativ sein muss, sondern auch eine Möglichkeit bieten kann, sein bisheriges Leben zu hinterfragen. Klare Leseempfehlung!
Heidi: Nichts wie weg aus dem niemals schlafenden Berlin, weg von den oberflächlichen Bargesprächen, in denen es bloss um «Was arbeitest oder wen triffst du so» geht, und ab aufs Land zu Muttern. Das ganze Elend des liebeskranken Alex im neuen Buch der bekannten Social-Media-Expertin Wessling liest sich süffig, sehr sogar. Die Schreibe ist frech, schnell und auch oft lustig, so dass man dranbleibt bis zum Schluss. Hat Wessling aber tatsächlich auch etwas zu sagen, wofür man 235 Seiten benötigt? Immer neue Beispiele, wie grässlich das vermeintlich hippe Berlin oder wie zurückgeblieben das Kindheitskaff doch ist; sich im Kreis drehende Selbstgespräche des jungen Mannes, die in keine nennbare Lösung münden. Fast denkt man: Ist es wohl die Autorin selbst, die sich einen eigenen Frust von der Seele schreibt? Möglich, denn die Widmung des Romans lautet «Für mich». Das pinke Cover und der saloppe Titel versprechen aber zeitgeistige Unterhaltung für junge Menschen und das bietet das Buch, unbestritten. «Noch einmal jung sein und der frischen Liebe Leid erdulden.», wünscht sich Dumbledore in Harry Potter. Ich meine nach dieser Lektüre: «Nicht wirklich, oder»?
Liz Moore, «Long Bright River», C.H. Beck, 2020
Heidi: Dies ist die Geschichte zweier Schwestern, deren Leben unterschiedlicher nicht sein könnten. Mickey fährt als Polizistin Streifenwagen im Drogenviertel von Philadelphia. Kacey ist seit Jahren drogenabhängig und zur Zeit unauffindbar. Mickey macht sich Sorgen. Sie fühlt sich immer verantwortlich für ihre Schwester und auch für ihren kleinen Sohn, der auf besondere Weise mit Kacey verbunden ist. Seit wann und warum das so ist, erfährt der Leser in dem unglaublich spannend aufgebauten und psychologisch überzeugenden Roman, der einen für einige Zeit gefangen nehmen kann. Darüber hinaus gibt es: Die Geschichte einer zerrütteten Familie, in der alles auf Lügen gebaut ist. Eine so dichte Stadtbeschreibung von Philadelphia, dass man glaubt, selbst in den Quartieren unterwegs zu sein. Eine schonungslose Drogengeschichte, einer «Christiane F.» würdig. Einen (Psycho)thriller in fantastischer Sprache. Da heisst es bloss: zugreifen, dringend! Hoffentlich werden die früher erschienenen Titel der Autorin möglichst bald auf Deutsch erhältlich sein!
Marlene: Hauptfiguren in der Geschichte sind Mickey und Kacey, zwei Frauen, welche bei ihrer Grossmutter aufwachsen mussten, da die Eltern früh verstorben sind. Als Kinder waren die beiden unzertrennlich, die Leserschaft erfährt aber schon relativ früh, dass die beiden nun seit 5 Jahren kein Wort mehr zusammen gesprochen haben. Trotz der Funkstille, die zwischen den beiden herrscht, hat Mickey nie aufgehört, über ihre Schwester zu wachen und sich um sie zu Sorgen zu machen. Mich hat das Buch sofort in seinen Bann gezogen. Der Schreibstil ist fliessend und macht es einem einfach, in die Geschichte einzutauchen. Oft wird zwischen der Gegenwart und der Vergangenheit abgewechselt, was die Figuren vielschichtig und tiefgründig macht. Dieses Buch ist mehr als ein Krimi, Moore beobachtet und schildert schonungslos, ohne zu beschönigen.