
Maja Lunde, die norwegische Autorin, schreibt Dreh- und Kinderbücher, ist aber vor allem bekannt für düstere Zukunftsromane (Dystopien). 2017 stellt sie mit «Geschichte der Bienen» den ersten Band ihres geplanten literarischen Klima-Quartetts vor. Drei Bände sind bereits erschienen. Den Abschlussband verhindert Corona, wie wir im hier vorgestellten Tagebuch lesen können
Maja Lunde: «Als die Welt stehen blieb», btb, 2020
Seit Jahren lebt sie mit Dystopien, malt sich an ihrem Schreibtisch aus, wie sich Menschen, Welt und Klima in naher Zukunft verändern könnten und bettet lustvoll Geschichten ganzer Dynastien in diese Szenarien ein. Dann kommt Corona. Im März 2020 erfolgt in Norwegen der erste Lockdown und lähmt nicht nur das öffentliche Leben sondern auch die Schreibkraft der Autorin. «Ich wünschte, es wäre nur ein Buch», schreibt Maja Lunde über die Pandemie, denn dann könnte sie die Abfolge beeinflussen. Die Leser des Klima-Quartetts müssen also weiterhin auf den letzten Band warten, denn Maja Lunde schreibt vorerst Tagebuch: Vom 11. – 29. März 2020 berichtet sie über ihren Alltag mit Mann im Homeoffice, drei Söhnen (7,11,15) mit Fernunterricht und mangelndem Auslauf. Das Buch liest sich wie ein Ratgeber zur Bewältigung des Lockdowns. Wir Leser begleiten sie auf der Reise in ihr neues Leben und stellen verblüfft fest: auch diese Pandemie hat bereits ihre Geschichte. Die Aufreger von 2020 sind zwar 2021 nicht vorbei, jedoch heute für uns alle schon bedeutend alltäglicher, weiterentwickelt und – so hoffen wir – das Ende ist eher absehbar.
Marlene:
Ich habe dieses Buch ironischerweise in der Quarantäne gelesen. Ich meine: Wenn schon, denn schon. Es war mein Erstling von Maja Lunde, ich liebäugle aber schon länger mit „Geschichte der Bienen“. Dieses kleine, dünne Büchlein liest sich schnell weg. Die Kapitel sind kurz und der Schreibstil prägnant. Einmal mehr in meinen eigenen vier Wänden eingeschlossen, tauchte ich gemeinsam mit Lunde ab in die ersten Lockdown-Tage in Norwegen.[1] Grundsätzlich konnte ich mich in vielen Gedanken von ihr wiederfinden. Ich habe mehrmals gedacht: Ja, genau so habe ich mich auch gefühlt. Auf der einen Seite ist dies ein sehr persönliches Buch, und trotzdem hatte ich das Gefühl, dass während dem Lesen immer eine gewisse Distanz geblieben ist. Lunde äussert ihre Gefühle zwar detailliert, aber es liest sich so, als würde dies eine externe Beobachterin erzählen. Auch die Familienmitglieder tragen keine Namen, was es aus meiner Sicht sehr unpersönlich macht. Nichtdestotrotz fand ich es ein gutes, lohnenswertes Buch, um sich nochmals an die damals neuartige Situation zurückzuerinnern.
Wie ein Segeltörn: Eingeschlossen auf dem Schiff, erreichbar nur über Internet und Funk, angewiesen auf einander, auf Vorräte – es fehlt bloss das Segeln.
Heidi Bühler-Naef 57)
Heidi:
Jelänger diese besorgte Abgeschiedenheit andauert, je anstrengender finde ich es, mit und in dicken Büchern Fantasiereisen anzutreten. Diese kurzen, irgendwie tröstlichen Texte haben mich aber gepackt. Vielleicht, weil sie den eigenen, etwas langweiligen Alltag spiegeln, Probleme relativieren und neue Perspektiven aufzeigen: Familie Lunde träumt offensichtlich seit Langem von einem Segeltörn. Eingeschlossen auf dem Schiff, erreichbar nur über Internet und Funk, angewiesen auf einander, auf Vorräte und die eigene Kreativität. Eigentlich alles jetzt zu haben, es fehlt bloss das Segeln. Wollen sie das wirklich noch? Auf apokalyptisch anmutende Überlegungen: Dürfen die Jungs wohl nichts mehr erleben, was die Kindheit schön macht, Reisen oder Abschlussfeiern? folgen unverhofft alltägliche Glücksmomente: gemeinsam einen Apfel essen, Fernsehen, die Umgebung erkunden oder die kostbare Wahrnehmung der kleinen Familiengeräusche, wenn abends Ruhe einkehrt. Wir haben den verordneten Stillstand zwar alle satt, dennoch lohnt sich jetzt genaues Hinsehen und Hinhören – gerade für danach.