
«Fünf Jahreszeiten»
(Cover, Limmat Verlag)
Eingeladen zur Lesung beim «Bachmannpreis» 2020, 2015 auf der Shortlist zum Schweizer Buchpreis, Literaturpreis des Kantons Bern im Jahr 2016 und 2018 dann der Literaturpreis: Meral Kureyshi ist eine Grösse im Schweizer Literaturbetrieb und bräuchte keine spezielle Vorstellung durch das «Ausgelesen»-Tandem. Doch die Bemerkung einer sehr belesenen Bekannten zu «Fünf Jahreszeiten» macht uns neugierig. Sie hat uns nämlich geschrieben: «Eine Rückmeldung von einer jungen Leserin (zwischen 20 und 30) würde mich spannend dünken.»
Meral Kureyshi: «Fünf Jahreszeiten», Roman, Limmat, 2020
Eine junge Frau, die Ich-Erzählerin, lebt im Stillstand, so steht es auf Seite 13. Sie lauscht den Sätzen ihres Geliebten, die ihr nicht aus dem Kopf gehen wollen. Sie lebt und schläft mit ihrem langjährigen Freund, obwohl sie weiss, dass diese Liebe längst vergangen ist. Sie arbeitet im Berner Kunstmuseum, um nach dem Tod ihres Vaters die Schulden bezahlen zu können. Die junge Frau taumelt während vier Jahreszeiten unschlüssig zwischen drei Männern, drei Situationen und drei Zeitebenen hin und her, stets auf der Suche nach Halt und in der Hoffnung, es geschehe etwas oder es werde für sie entschieden. In der fünften Jahreszeit dann: Der Geliebte macht Schluss, der Freund zieht in eine andere Stadt, die junge Frau kündigt ihre Stelle, um weiter zu studieren, und – wünscht sich nichts sehnlicher als erneut zu erstarren.
Marlene, die junge Leserin zwischen 20 und 30:
Meral Kureyshi hat bei unserer Diplomfeier aus ihrem Buch «Elefanten im Garten» vorgelesen. Ich, frischgebackene Buchhändlerin, war damals sehr beeindruckt und habe mir ihren Erstling dann gleich gekauft und verschlungen. Somit musste ich auch das neuste Buch wieder lesen. Der Inhalt ist an sich nichts Neues. Eine junge Frau, die nicht genau weiss, was sie mit ihrem Leben anfangen soll. Die sich nicht sicher ist, ob sie ihren Partner verlassen soll, mit welchem sie zusammen lebt. Die sich nicht sicher ist, ob sie wirklich in den anderen Mann verliebt ist. Stillstand. Schlussendlich stehen dieser Stillstand, dieses Erstarren im Vordergrund und nicht die Handlung an sich. Was mich am meisten in den Bann zieht, sind die poetischen Schilderungen, die sich durchs ganze Buch ziehen. Einen kleinen Vorgeschmack gibt es schon auf dem Buchdeckel. Und hier beweist Kureyshi, dass sie eben genau dafür das Gespür hat: Die richtige Dosierung für solch schöne Sätze, nicht zu viel und nicht zu wenig. Mir hat es sehr gut gefallen – gerade auch deswegen, weil der Inhalt so gut zu diesem grauen Herbstwetter gepasst hat. Eine Geschichte mit einem – meiner Meinung nach – zeitlosen Thema. Stillstand ist für mich generationenübergreifend.
«Man könnte dem Roman verschiedene Etiketten anhängen: Dreiecksgeschichte, Entwicklungsroman oder wie es ein Juror
Heidi Bühler-Naef
in Klagenfurt sagte: ‹Befindlichkeitsliteratur›.»
Das meint Heidi, die Ältere im Tandem:
Ein wunderhübsch aufgemachtes Buch mit zwei einander zugeneigten, abgebrannten Zündhölzern auf dem Umschlag und mit irritierendem Titel. Keine Frage, da muss ich zugreifen. Die knapp 200 Seiten lesen sich rasch und gut. Immer wieder halte ich inne, staune über einen überraschenden Vergleich, einen schön formulierten Satz und lächle beim Lesen glücklich über die zarten Beschreibungen von Liebesdingen. Die junge, namenlose Frau beaufsichtigt die Ausstellung «Vedo dove devo» im Berner Kunstmuseum. Dieses Anagramm, damals angebracht in Neonröhren-Schrift über dem Museumseingang, hat mich monatelang auf dem Weg zur Arbeit begleitet: Ich schaue da hin, wo ich muss (wann? wie?), dahin, wo ich angehalten bin, hinzusehen (von wem? warum?). Diese Fragen beschäftigen die junge Frau wohl weniger, denn sie lebt im Augenblick, verdrängt Entscheidungen, weil sie ihr erst später wieder wichtig erscheinen. Man könnte dem Roman verschiedene Etiketten anhängen: Dreiecksgeschichte, Entwicklungsroman oder wie es ein Juror in Klagenfurt sagte: «Befindlichkeitsliteratur.» Für mich ist es eine Geschichte, die von der Ratlosigkeit einer jungen Frau erzählt. Schön gemacht, doch kein Text, der mich lange begleiten wird.
Talk im Höchhus mit Sebastian Steffen
12. März 2024, 19 Uhr