Heinz Gfeller, Marianne Senn, Elias Rüegsegger, Christine Leichtnam und Barbara Tschopp diskutieren im Buchclub über das neue Werk von Lukas Hartmann – «Ein passender Mieter».
Lukas Hartmann hat sich diesmal ein zeitgenössisches Thema vorgenommen. Er erinnert sich (und uns?) an einen Kriminalfall, der vor 15 Jahren Bern bewegt hat – nimmt jedoch diesen Bezug schon im Vorspruch zurück; und im Roman spielt der titelgebende Mieter höchstens eine Nebenrolle. In der Mitte des Buches wird dieser junge Mann, der nachts Frauen überfallen hat, bereits gefasst. Es fragt sich, ob er der Auslöser für die Probleme in der Gastfamilie, namentlich die der Mutter Margret sei.
Verschiedene Perspektiven
Erzählt wird aus den drei Perspektiven der Familie – nämlich auch vom Vater Gerhard, einem Professor für alte Geschichte, und dem Sohn Sebastian, einem unentschlossenen Studenten, der eben von zuhause ausgezogen ist, dann seine erste heftige Liebe erlebt. Die drei bemühen sich zwar, ihre Beziehungen aufrechtzuerhalten, doch streben sie fatal auseinander. Weitaus am meisten Raum beansprucht Margret, deren Lebenskrise in die Psychiatrie führt. Sie bewältigt einen vergleichsweise gemütlichen Alltag, mit gelegentlichen Arbeitseinsätzen, nicht mehr. Sie hat untaugliche Versuche gemacht, sich dem Mieter sowie dessen Mutter anzunähern. Am Schluss bleibt offen, ob sie sich durch das einst geliebte Tanzen wieder aufrichten kann.
Vielgelesener Autor
Lukas Hartmann (ursprünglich Hans-Rudolf Lehmann – heute publik) ist ein erfolgreicher hiesiger Schriftsteller; seit Jahren ist er angekommen, was sich an Taschenbuch-Ausgaben grosser Verlage (Fischer, Diogenes) zeigt. Auch wenn ich herumhöre: Man liest ihn, öfters gerne.
Er ist ein Vielschreiber – zehn Romane in den letzten zwölf Jahren. So dass der redliche Leser wohl nicht alles von ihm vornimmt; wüsste man nur zum voraus, welche die gelungenen Werke sind.
Zu den Hartmann-Büchern, die ich tatsächlich gelesen habe, hier ein paar persönliche Erinnerungen oder Überlegungen von Heinz Gfeller:
Gefallen hat mir früh das – auch verfilmte – «Pestalozzis Berg» (1978): Ein zweifellos subjektiver Blick auf eine historisch wichtige und berührende Gestalt, in deren intimeres Leben sich der Autor eindenkt. Viel Recherche, aber auch psychologische Phantasie, das dürfte weithin Hartmanns Rezept geblieben sein. Historische Figuren machen einen beträchtlichen Teil seines Werks aus, wie man’s bei andern bekannten Schweizer AutorInnen ebenfalls sieht: Eveline Hasler, Katharina Zimmermann, Margrit Schriber u.a.
Sind vergangene, aber überlieferte Lebensläufe, auch Epochen vielleicht spannender, bewegender als heutige? Jedenfalls hat Hartmann etliche interessante Personen aufgefunden: etwa die mysteriöse, wohl verbrecherische Carmen Mory aus der Nazi-Zeit («Die Frau im Pelz», 1999), oder den Schultheissen Steiger im 1798 untergehenden Bern («Die letzte Nacht der alten Zeit», 2007).
Über die Qualität der Romane mag dann entscheiden, ob die modernen Erzähltechniken, die Hartmann stets anwendet – wechselnde Perspektiven, Sprünge in der Chronologie u.a. – sinnvoll eingesetzt seien. Dies gilt womöglich noch stärker bei den aktuellen Themen, denen der Autor sich neuerdings vermehrt widmet: z.B. «Finsteres Glück» (2010). Was scheitert, was faul ist, auch was man nicht offenlegt, worüber man nicht redet, das zieht ihn an. Interessiert es uns? Und finden wir’s angemessen behandelt? Das fragt sich seit «Gebrochenes Eis» (1980), der Auseinandersetzung mit den eigenen Eltern – bis zum aktuellen «Ein passender Mieter».
Der Buchclub
In unregelmässiger Folge treffen sich AutorInnen von UND zum Buchclub. Hier die gesammelten Beiträge.