Miriam Weber (18), Jana Sofie Liebe (18)
Berufsfotograf zu werden ist nicht einfach: Was war für Sie der Schlüsselmoment, in dem Sie sich für diese Laufbahn entschieden haben?
Christian Helmle: An der Fotoschule in Vevey wurde mir klar, jetzt zieh ich das durch. Zuerst war ich am Gymnasium, studierte schliesslich Ethnologie und Soziologie – ich merkte aber mit der Zeit, dass es mir nicht entsprach. Ich wollte etwas Sichtbares machen und mich nicht durch zahllose Bücher lesen. So reiste ich viel und begann mit einer geschenkten Kamera zu fotografieren. In der Sahara entstanden die ersten guten Bilder. Die Magie der Fotografie, von der mir schon mein Onkel erzählt hatte, packte mich sofort. Er arbeitete damals als Kameramann beim Fernsehen und gab mir schon früh vieles über das Handwerk mit. Es waren verschiedenste Begegnungen, so auch die mit einem französischen Fotografen beim Trampen durch Afrika, welche mich zu diesem Beruf lockten. In Vevey bewarb ich mich für die Fotoschule und wurde angenommen. Natürlich wollten mir einige Leute den Beruf ausreden, jedoch ohne Erfolg. Noch heute sage ich immer, wenn du FotografIn werden willst und du genug passioniert bist, dann mach‘s!
Von Partyszenen im Selveareal bis zur Architektur Kairos fotografierten Sie verschiedenste Sujets. Bei welchen Motiven schlägt Ihr Herz am höchsten?
Das ist schwer zu sagen. Mit der Zeit merkst du, was dich interessiert und dass gewisse Themen immer wieder auftauchen. Das Adrenalin kommt, wenn mein Interesse gross ist. Klar gibt es Momente, in denen ich «nichts sehe», auch wenn ich es möchte. Es tut weh, aber solche Phasen gehören dazu. An ein spezifisches Sujet ist dieses Interesse nicht gebunden.
Analog oder digital – was bevorzugen Sie?
Jetzt bevorzuge ich digital, sonst würde ich verhungern! Analog, das kauft mir keiner ab. Die Filme und die Entwicklung der Bilder werden immer teurer. Bei eigenen Projekten kann ich mir vorstellen auf die Analogfotografie zurückzugreifen; die Einzelteile meiner Dunkelkammer liegen seit zwölf Jahren bei mir auf dem Dachboden. Vielleicht entsteht mal wieder ein eigenes Fotolabor, aber für meinen Alltag ist das kein Thema.
«Das Adrenalin kommt, wenn mein Interesse gross ist.»
Christian Helmle
Wo sehen Sie den grössten Unterschied zwischen analoger und digitaler Fotografie?
Die Apparate, deren Blende, Schärfe und Zeit, sowie die Komposition eines Bildes bleiben gleich. Die Nachbearbeitung wurde beim digitalen Fotografieren komplexer – es gibt bessere Tools. Die Sinnlichkeit, «ds’ Gschpüri», beim Analogen und das Korn sowie die Tiefe der Bilder sind einfach etwas anderes. Ich gehörte nie zu den Fotografen, die nur auf das Alte schwören. Ich brauche die digitale Fotografie ganz einfach, weil sie mir alle Möglichkeiten bietet. Ich nehme den Fortschritt und die Vorteile mit, aber fotografiere nicht anders als mit den Analogkameras. Früher musste man den Film beispielsweise bei Konzertaufnahmen auf hohe ISO-Zahlen pushen und die Aufnahmen länger entwickeln lassen. Jetzt hast du Kameras, die unglaublich sind und dir bei sehr wenig Licht noch Szenen aufzeichnen – das ist ein Unterschied! Aber der Grundsatz des Fotografierens bleibt immer noch derselbe: Dir muss klar sein, was das Konzept ist, dann gehst du raus, sammelst Bilder und lernst dazu.
Seit einiger Zeit sind Sie daran, Ihre Negativfilme zu digitalisieren. Wie machen Sie das? Was motiviert Sie dazu, all die unzähligen Bögen zu verarbeiten?
Alle Negativfilme sind chronologisch eingelegt in Kartonschachteln. Manches davon ist Schrott und landet im Müll. Aber ich entdecke immer wieder Aufnahmen, welche ich damals nicht vergrössert habe, und das ist hochspannend. Alles, was einen historischen Wert hat oder Leute zeigt, die ich kenne, behalte ich. Einzelne Bilder digitalisiere ich. Natürlich gibt das viel zu tun, doch das mache ich nun über die nächsten paar Jahre verteilt, wenn ich jeweils Zeit dafür habe. Momentan beschäftigen mich Bilder von 1981 in Kairo, als ich ein halbes Jahr in Ägypten verbrachte. Davon vergrösserte ich nur die Ikonen, welche für Ausstellungen gebraucht wurden. Letztes Jahr fing ich mit diesem Prozess an und arbeite mich nun durch 30 Jahre alte Bilder hindurch. Eine am Leuchttisch befestigte Kamera mit Makroobjektiv nimmt die einzelnen Negative auf, was schneller geht und qualitativ besser ist als gescannte Bilder.
Bearbeiten müssen Sie die Bilder also nach dem Fotografieren nicht mehr?
Doch sicher! Das gibt viel zu tun. Ich habe einen effektiven «Workflow» entwickelt. Die ganze Arbeit mache ich dann am Computer. Für das Importieren erstellte ich mir ein Tool, welches die Negativbilder automatisch umkehrt. Dank diversen gespeicherten Grundeinstellungen auf meinem Bearbeitungsprogramm, lassen sich die Aufnahmen schön und präzise bearbeiten. Das Ablegen, die Bildbeschriftung und das Setzen von Stichworten ist dann nochmals aufwändig.
Welche Plattform bieten Sie diesen Aufnahmen?
Auf meinem Facebook-Profil erstelle ich diverse Galerien. Mein Mittagessen zeige ich nicht, das interessiert niemanden. Aber laufende Serien, wie «Lost Places» und «When the music’s over», oder Alben, in denen ich meine Bilder von Pädu Anliker oder Polo Hofer festhalte, sind sehr beliebt. Pädus Galerie wurde unzählige Male geteilt. Sachen, die es jetzt nicht mehr gibt, kommen gut an und stossen auf Echo. Heute siehst du die Welt an und denkst: «So ist sie nun». Doch schon in zehn Jahren wird alles anders aussehen, und man wird zurückschauen und über die Mode, Frisuren, Autos und Computer von heute lachen. Fotografie ist immer eine Art Geschichtsschreibung. Das ist einer ihrer wichtigsten Aspekte.
Um einen Blick in die Zukunft zu werfen: Wie steht es um die Fotografie?
Bin ich Wahrsager? Das weiss ich nicht. Ich stelle fest, dass jeden Tag Millionen von Bildern geknipst werden, denn heute können alle knipsen. Gute Fotos sind aber immer gefragt und gute Fotos macht nicht jeder. Es gibt talentierte Fotografen und ich habe keine Angst, dass die Bildkultur verloren geht. Die Fotografie wird sich weiter entwickeln. Wie genau, kann ich dir nicht sagen. Ich persönlich höre nicht auf zu fotografieren, das ist sicher. Je älter ich werde, desto mehr Wert gewinnt meine Arbeit. Ich denke stets daran, was noch machbar ist, und nicht, was ich bereits gemacht habe. Als Fotograf musst du dir immer deinen Raum schaffen. Der Markt bleibt. ☐