Er ist ein Slammer, ein moderner Wettschlächter – er kreiert Worte, reisst sie kurz darauf wieder in Stücke – schlachtet sie. Er ist ein zeitgenössischer Dichter, der seine Texte nicht verkauft, sondern vor dem Publikum vorträgt – schreiend, wimmernd, fast schon singend: Er ist Poetry-Slammer, Dichterwettstreiter. Sein Name ist Remo Rickenbacher (25), er ist seit 2006 aktiv als Slam Poet unterwegs, tritt auf, organisiert den Thuner Slam, gibt Kurse; er studiert in Bern. «Ein engagierter junger Mann», freut sich der Andere.
Das Wortgewitter «Ich bin auch ein Slammer», meint der andere, der Freitagabend, kurz vor sechs ins Mikrofon und in die Ohren seiner Fans im ganzen Sendegebiet sprach, «uf dr Foto gseht er us…» Satiriker, durch und durch. Seine Worte sollen weh tun, nicht verletzen – Gedanken rollten, wenn seine unverkennbare Stimme im «Regionaljournal Bern, Freiburg, Wallis» über den Äther zog, wie ein präzises Wortgewitter. Des Petrus Name, dessen Worte trommeln, ist Heinz Däpp. 71 Jahre ist er alt, Journalist war er, Satiriker blieb er. Drei Jahre nach seinem letzten Schnappschuss bringt der Stadtberner bereits sein drittes Bühnenprogramm «Scho wider Geburtstag» auf die Bühne.
Offenheit statt Vorurteil
Sie sitzen sich vis-à-vis und sind sich sofort sympathisch. Das Gespräch, das sich eigentlich um Vorurteile drehen sollte, ist von einer beidseitigen Offenheit geprägt. Sie beide griffen für UND in die Tasten, sie präsentieren einander die kurzen Texte (siehe Seitenspalten). Remo Rickenbacher bedient sich gerne der Stereotypen von alten Menschen, er will dabei aber niemanden persönlich angreifen: «Aus unterschiedlichen Vorurteilen baue ich mir überspitzte Einzelfiguren zusammen, die so in der Realität nur selten vorkommen.» Heinz Däpp ist sich nicht sicher, ob Vorurteile wirklich der Stoff der Satire sind. «Wenn mich jemand fragt, ob es Kaderlis (alt-Grossrat, Figur aus Däpps Satiren Anm. d. Red.) im Grossrat gäbe, sagte ich, es gebe etwa 60.» Heinz Däpp ist überzeugt, dass es die Satire nur gibt, weil sie immer auch «einen wahren Kern» trifft. So würden diese 60 Grossräte praktisch nie das Wort ergreifen, wie eben sein Kaderli Hansueli… «Seien wir ehrlich – im Grossen Rat haben etwa 20 das Heft in der Hand», führt Heinz Däpp aus.
Neuer Waschpulverjournalismus…
«Die Information heute ist oberflächlicher und unübersichtlicher.» Das habe mit dem Niedergang des Journalismus zu tun, für den Däpp einst gelebt hatte. «Wir glaubten, wir hätten eine staatspolitische Aufgabe. Heute muss das journalistische Produkt verkauft werden – wie ein Waschpulver.»
…und junge Slamily
«Die Jungen realisieren nicht, dass sie später einmal betroffen sein werden, von dem, was unsere Generation ihnen hinterlässt.» Däpp als ehemaliger 68er findet, dass es heute wieder an der Zeit wäre, «dass die Jungen aufbegehren.» Remo Rickenbacher: «Ich überlege mir, was mache ich eigentlich dagegen? Heute ist jeder mit sich selber beschäftigt.» Heinz Däpp meint, es müssten nicht alle auf die Strasse und gegen AKW demonstrieren. Das was sein Gegenüber als Slam-Poet mache, sei doch auch wertvoll: «Du verunsicherst mit deinen Texten, bringst Leute zum Nachdenken.» Remo, erfreut ob dieser Bestätigung, ergänzt: «Ich sehe viele Junge, die sich punktuell für eine Sache engagieren.» Damit sie etwas machen, «muss es ihnen zuvor meist weh tun», erklärt der ebenfalls in der Stadt Bern wohnende Remo. Er kennt die Jugend gut, finden die Dichterschlachten doch hauptsächlich vor Jungen statt. In der Poetry-Slam-Szene ist der 25-jährige beinahe ein älterer Hase (der älteste sei 40 Jahre alt, wirklich Alte gibt es in der Szene also nicht). «Wenn du selber Teil der Slamszene bist», erklärt Remo, «merkst du plötzlich, dass es eine recht kleine Szene mit nur 45 Leuten ist, die ständig in der Schweiz von Slam zu Slam herumreisen: die Slamily.»
Kommerz oder Kunst?
Verglichen mit der Satire, die Heinz Däpp in seiner ganz individuellen Form prägt, ist der Poetry Slam kommerzieller. «Die Texte müssen beim Publikum ankommen, sonst gewinnst du nicht», bestätigt der Slammer. Genau das störe ihn, sticht Heinz Däpp zu – ohne zu verletzen – «Jeder und jede bietet etwas Eigenständiges, warum soll man da vergleichen?» Remo Rickenbacher, der als Poet den Wettbewerb nicht begrüsse, attestiert: «Vielleicht ist es eine Tendenz heute: immer dieser Wettbewerb. Für das Publikum sollte es so spannender sein», das sei die Idee. Poetry Slam, findet Remo, sei keine Kunstform. Noch nicht.
Heinz Däpp, der Satirenpetrus aus Bern, der sich schwer beeindruckt von den Texten von den Slam-Poeten zeigt, plädiert: «Vielleicht müsst ihr etwas aus euren Gärtlis herauskommen.» So schlägt Heinz Däpp dem fast fünf Jahrzehnte jüngeren Remo Rickenbacher vor, dass sie doch einmal zu Zweit auftreten könnten. Remo sagt nicht nein. Es bleibt die Frage:
Wann ist es soweit?
«Satiriker können nicht schweigen, weil sie Schulmeister sind, und Schulmeister müssen schulmeistern. Ja, und im verstecktesten Winkel ihres Herzens blüht schüchtern und trotz allem Unfug der Welt die törichte, unsinnige Hoffnung, dass die Menschen vielleicht doch ein wenig, ein ganz klein wenig besser werden könnten, wenn man sie oft genug beschimpft, bittet, beleidigt und auslacht. Satiriker sind Idealisten.» (Erich Kästner)
Anmerkung der Redaktion: Poetry Slam, heisst aus dem Englischen übersetzt soviel wie «Dichterschlacht». Geprägt ist die gesprochene-Wort-Poesie durch den Rhythmus der Texte, wie auch durch die teils abstrusen, immer aber originellen Inhalte.