Eines Tages verlief sich das Mädchen im Wald. Dieser wurde dichter und enger, kaum mehr Licht fiel auf den Blätterboden. Das Mädchen kuschelte sich an einen Stamm und fing an zu schluchzen. Da fing sich der Stamm des Baums an sich zu schälen und legte seine Rinde sanft über das Kind. Die Blätter zitterten im Wind und begleiteten das Mädchen in den tränenden Schlaf. Während es schlief, beugten sich die Äste des Baums zu ihm herab, wurden geschmeidig und weich. Lieb und sanft streichelten sie das Kind. Es schlief tief und gut und träumte, es liege in den Armen seiner Mutter. Es erholte sich in diesem Schlaf von seinem kurzen, doch so schweren Leben. Es war, wie wenn Tonnen von Eisenträgern durch die Äste weggeschmiedet wurden.
Des Mädchens Brust wurde weit und seine Lungen entfalteten sich. Tiefer Atem stellte sich ein. Tiefe Atemzüge haben die Eigenschaft, dass die menschliche Seele erwacht. Wie ein Blasebalg fing diese leise an zu pfeifen und entfachte die Glut des Lebens in dem Mädchen. Die Glut war fast erloschen gewesen. Zugeschüttet von zu viel Arbeit und zu wenig Essen. Die Hände waren rau von den ewig gleichen Bewegungen des Webeschiffchens und vom Ziehen des Fadens. Aber das war nicht das Schlimmste. Der Rücken war gekrümmt. So klein das Mädchen war, so krumm war sein Rücken. Die Seele sass normalerweise ganz zerdrückt auf den linken Brustwirbeln. Entzündet. Entzündet von zu viel Arbeit. Versandet in der tagelangen Monotonie. Und krank von zu wenig Liebe. Und nie entzündet.
Als sich die Seele so langsam entblätterte, bekam sie Flügel. Sie flatterte und zwitscherte davon. Geradewegs in den Himmel. Der kleine Seelenvogel setzte sich auf eine Wolke und liess sich treiben im Wind. Alles fühlte sich ganz leicht an. Doch auch dort oben war es kalt. Und das war nicht, was dieser Kinderseele gut bekam.
Bei der nächstbesten Gelegenheit stürzte es sich in einen warmen Mutterbauch. Wir wissen nicht, ob es dem Mädchen dort besser ging. Wenn wir realistisch sind, wohl nicht unbedingt. Zu viele Mütter leiden. Wenn wir pessimistisch sind, wohl kaum. Seien wir optimistisch. Denn die Hoffnung auf die Auferstehung kann doch nichts anderes sein als die Hoffnung auf einen guten Mutterbauch. Auf Ast-Hände, die streicheln. Und Worte, die sanft auf die Haut des Kindes perlen. Und so wächst das Kind. Und das hat es verdient. Das. Und nichts anderes als das.
Doch noch jemand hat etwas verdient. LOB. Anerkennung, Mithilfe, Besuche, LIEBE.
DIE MÜTTER!