Ich warte gerade beim Loebegge auf meine wunderbare, wenn auch notorisch unpünktliche Freundin und habe Zeit nachzudenken.
Liebe NichtbernerInnen (und Leute, die nur pünktliche Freunde haben): Falls ihr nicht wisst, was es heisst am Loebegge zu warten, wenn man »am Füfi« dort abgemacht hat, dann werde ich euch jetzt aufklären. Das grosse Kaufhaus Loeb, gleich beim Bahnhof Bern, wird von den Leuten hier nicht nur aufgesucht, weil es im fünften Stock eine der in Bern seltenen, frei benutzbaren Indoor-Toiletten gibt, ohne dass man dafür einen Alibikaffee runterkippen muss, der einen wiederum nach etwa einer Stunde in die gleiche Bredouille bringt. Das dürft ihr aber nicht weitersagen.
Darum lieber beim Loeb, wo jeder den schweizerischen Bünzlimindestabstand hält.
Die Damen, die zuoberst in der Birkenstockabteilung arbeiten, sind sowieso schon ganz genervt von allen Toilettenschnorrern, die nichts kaufen wollen. Sie sollten aber eigentlich froh sein, dass überhaupt jemand an diesen Regalen vorbeigeht. Denn höchstens Hipster oder längst pensionierte Lehrer würden sich einen solchen fussbekleidungstechnischen Schlag ins Gesicht heute noch anschaffen.
Item.
Der Loeb ist also DER Treffpunkt in Bern. Hier wartet man aufeinander. Natürlich haben wir auch einen klassischen Treffpunkt mit dem bekannten weissen Tupf, wie an jedem grösseren Bahnhof in der Schweiz. Doch wenn man unter ihm in der riesigen Bahnhofshalle wartet, scheint man wirklich jedem einzelnen Pendler im Weg zu stehen. Zu Stosszeiten wirds besonders gemütlich. Aber vielleicht ist das ja nur meine Meinung. Es ist nicht so, dass ich menschliche Nähe grundsätzlich nicht mag, ich mag sie nur nicht in aller Öffentlichkeit. Und ungefragt. Und von Unbekannten. Darum lieber beim Loeb, wo jeder den schweizerischen Bünzlimindestabstand hält. Eine Armlänge sozusagen.

Des Loebes Ecke, die eigentlich gar keine Ecke ist, sondern einfach eine grosse Fensterfront, hat sogar einen eigenen Wikipediaeintrag. Kein Wunder, wenn man bedenkt, dass die Berner bekanntermassen das langsamste Volk nördlich des Äquators sind. Da ist mal einer unerwartet schnell, schon muss er auf den andern warten. Vor der Zeit der Mobiltelefonie war an einer der Aussenwände vom Loebegge noch ein schwarzes Kabeltelefon angebracht, auf welches die Zuspätkommer anrufen konnten und ihre Verspätung ankünden konnten. Wer am nächsten daneben stand, nahm den Anruf entgegen und rief den Verlangten aus. So konnte der Wartende seinen Ärger schon ein wenig an der frischen Luft verrauchen lassen und der Abend war gerettet. Ehen wurden so gerettet. Oder vielleicht war es auch der Paartherapeut, den zu treffen der Grund für die Verabredung am Loebegge war.
Vor der Zeit der Mobiltelefonie war an einer der Aussenwände vom Loebegge noch ein schwarzes Kabeltelefon angebracht, auf welches die Zuspätkommer anrufen konnten und ihre Verspätung ankünden konnten.
Wenn man da so am Nabel der Geduld steht, zwingt einen dies, oder zumindest mich, über das Wort »Warten« nachzudenken. Dafür habe ich ab jetzt erfahrungsgemäss noch etwa zehn Minuten Zeit. Warten. Ein hoffnungsvolles Wort. Wer wartet, hat meist noch nicht aufgegeben. Und wer die Hoffnung einmal aufgegeben hat, kann weiter warten, eine neue Hoffnung wird kommen. Ein Beispiel waren die Präsidentschaftswahlen der USA: Man wartete auf das Ergebnis, hoffend, dass das amerikanische Volk nicht vorwiegend aus englischsprechenden Göläs und anderen Wutbürgern besteht. Die Hoffnung ging mit dem Ergebnis, Trump wurde nun vereidigt und das Warten kann, unserem Seelenheil zuliebe, auf ein neues Ziel gerichtet werden, auf das Ende seiner Amtszeit. Und damit entsteht eine neue Hoffnung. Die, dass das Volk das nächste Mal ihre Halloweencrazyness rechtzeitig abschüttelt und genug davon hat, einen cholerischen Kürbis an der Regierungsspitze zu haben.
Ich bin abgeschweift. Man kann während dem Warten auch sehr schön die anderen Wartenden begutachten. Der Loebegge wäre ein wahres Paradies für Verhaltensforscher. Wo sonst verhält sich der Mensch natürlicher als in der Anonymität des Bahnhofplatzes, unbeobachtet von all den gestressten Passanten und Kurieren, die viel zu schnell mit ihren Rennrädern an einem vorbeifahren als dass sie uns näher mustern könnten. In seiner temporären Einsamkeit offenbart sich der Mensch, vielleicht verloren in Gedanken an den, der bald auftaucht. So zumindest sieht die junge Frau aus, die ganz nah an der graubraunen Sandsteinsäule steht, als hätte sie diesen Platz bewusst gewählt, Rückendeckung suchend, weil sie nicht verloren mitten auf dem Platz stehen wollte.
Tja, so ist das, der Mensch wartet immer auf irgendwas. Da muss man schon mal Geduld haben.
Hinter ihr hängen die Metalltafeln mit den geographischen Koordinaten des Loebegge und die Tauftafel, deren Namensliste eigentlich viel zu kurz ist. Namen verdienter Berner stehen darauf, nach denen der Loebegge vorübergehend umbenannt wurde. Im Herbst 2002 hiess er zum Beispiel einen Monat lang Mani Matter Egge. Und 1998 wurde der Loebegge für drei Tage in »I Salonisti Egge« umbenannt.
Passendere Namensgeber gibt es kaum! Denn das Berner Klavierquintett I Salonisti waren die Meister im Warten. Ihr kennt sie nicht? Diese fünf, man darf nun wohl sagen, älteren Herren, mimten das Boardorchester im Hollywoodblockbuster und Oscarabräumer Titanic. Ja genau, der mit Leo und Kate. Ihr Warten ging in die Filmgeschichte ein. Die Streicher aus Bern spielten auf dem Deck des sinkenden Schiffes, inmitten der Massenpanik, ihr letztes Stück, stoisch wartend auf den Tod. Ein würdevoller Abgang der ultimativen Warter. Zum Glück nur auf der Leinwand.
So, da ist sie und unterbricht meine Gedanken. Glück für euch, sonst wär ich hier noch weiter abgedriftet! Beim Weggehen schaue ich nochmal zurück und denke mir dabei, dass ich den Loebegge eigentlich noch nie ohne wartende Menschen davor gesehen habe. Tja, so ist das, der Mensch wartet immer auf irgendwas. Da muss man schon mal Geduld haben. Und wenn ihr Gleichgesinnte sucht, versucht’s doch mal beim Loebegge, dort wartet jeder für sich und doch ist keiner dabei alleine.
Tink.ch – Journalismus von Jungen
Dieser Bericht erschien am 9. Februar 2017 bei Tink.ch – dem redaktionellen Partnermedium von UND Generationentandem.
Tink.ch bietet engagierten jungen Menschen aus allen drei Sprachregionen die Möglichkeit, im Journalismus Erfahrungen zu sammeln. Seine Mitglieder sind vielfältig und abwechslungsreich und möchten miteinander und voneinander lernen. Das Onlinemagazin Tink.ch nimmt für seine Leserschaft alternative Perspektiven ein und will den Diskurs über gesellschaftliche Themen durch eine vielseitige und multimediale Berichterstattung fördern.
Super super super geschrieben nur ein wichtiges multidetail hast di vergessen. Alle,
Die warzen warten machen dasselbe! Na was wohl? Gaffen! Und wohin wohl? Fängt mit h an und hört mit ä (e) ndy (e) auf!!! Kuss dibus von händibus! (Isabel)
Nur kurz die Ergänzung: Eine frei benutzbaren Indoor-Toilette gibts auch im 1. UG, und die ist sogar von der Bahnhofsunterführung her zugänglich. Nicht weitersagen.