Werner: Du sag mal, Manuela, du hast doch Germanistik studiert. Bist du der Bücherwelt immer noch treu geblieben?
Manuela: Was für eine schöne Frage. Ja, tatsächlich spielen Bücher in meinem Leben noch immer eine grosse Rolle. Ich lese privat sehr viel und bin seit diesem Jahr im Vorstand des Berner Kulturvereins «Bern liest ein Buch», der jährlich ein Literaturfestival veranstaltet.
Werner: Von diesem Verein habe ich noch nie gehört. Was ist euer Ziel?
Manuela: Unser Ziel ist es, Menschen in und um Bern fürs Lesen zu begeistern und sie über Literatur miteinander in den Austausch zu bringen. Wir wählen jährlich ein Buch aus, zu dem wir dann im März während einer Woche viele unterschiedliche Veranstaltungen anbieten, die weit übers Lesen hinausgehen. Wir machen das nun zum dritten Mal.
Werner: Als Vorstandsmitglied musst du wohl selber viel lesen. Was liest du denn hauptsächlich? Grosse Literatur? Sachbücher? Krimis?
Manuela: Ich mag es wie auch sonst in meinem Leben, wenn es abwechslungsreich ist. Ich lese mich querbeet durch Neuerscheinungen und Sachbücher. Aber auch Kanonliteratur, Kurzgeschichten oder inspirierende Autobiografien lese ich sehr gerne. Was liest du denn am liebsten?
Werner: Ich verliere mich oft in Sachbüchern. Es gibt so viele spannende Wissensbereiche. Ich las über Hirnwissenschaften, Kosmologie, chinesische Kultur, Religionen. Aber natürlich auch gerne einmal einen guten Roman, von Dostojewski bis Martina Clavadetscher. Letzthin habe ich mich an Plato und Aristoteles versucht, 2500 Jahre alte Bücher. Nur Krimis lese ich kaum.
Manuela: Ich mag es auch sehr, in unterschiedliche Wissensbereiche einzutauchen oder beim Lesen eines guten Romans die Zeit zu vergessen. Was mich am Lesen besonders fasziniert, ist, dass es etwas sehr Privates ist (meist lesen wir ja allein) und welche Welten es in uns öffnet. Mindestens ebenso faszinierend finde ich aber auch, dass Lesen so etwas Verbindendes sein kann, wenn wir uns gegenseitig eintauchen lassen in die Welten, die in uns entstanden sind.
Werner: Ja, über gemeinsam gelesene Bücher zu sprechen ist sehr anregend. Doch noch eine andere Frage: Wenn du in den Kreisen deiner Generation herumschaust, lesen junge Leute überhaupt noch Bücher? In den Social Media muss doch alles kurz sein und schnell gehen.
«Lesen junge Leute überhaupt noch Bücher?»
Werner Kaiser
Manuela: Pauschal kann ich das wohl nicht beantworten. Ich glaube schon, dass junge Menschen heute noch Bücher lesen, trotz — oder vielleicht auch wegen — der Schnelllebigkeit von Social Media. Die, mit denen ich in Kontakt bin, schätzen am Lesen von Büchern, dass es etwas Entschleunigendes ist, das einem erlaubt, zwischendurch innezuhalten.
Werner: Meine Frage war wohl nicht sehr klug. Gibt es doch so viele verschiedene junge Leute wie verschiedene Bücher. Das mit dem Entschleunigen hat bei mir oft einen Haken. Wenn es spannend ist, lese ich sehr schnell, und das treibt sogar den Blutdruck hoch. Ich lese deshalb auch etwa Gedichte, die laden eher zu ruhigem Verweilen ein.
«Wenn mich eine Geschichte packt und ich das Gefühl für Zeit und Raum verliere, hat das wenig mit Entschleunigung zu tun.»
Manuela Bamert
Manuela: Das ist ein interessanter Punkt — und du hast recht. Wenn mich eine Geschichte packt und ich das Gefühl für Zeit und Raum verliere, hat das wenig mit Entschleunigung zu tun, sondern mehr mit dem vollständigen Eintauchen in eine Geschichte. Ich finde das eine spannende Erkenntnis von dir und werde in Zukunft etwas bewusster darauf achten, welche Form der Literatur welche Körperempfindungen in mir auslöst.
Werner: Machen wir es so. Vom Gähnen bis zum Gruseln ist alles erwünscht.