Nach einem kargen Mahl und zwei Gläsern Rotwein setzte ich mich an den Computer und durchforstete die Tageszeitungen des Wallis, der Waadt und des Kantons Bern. Gegen morgens um drei Uhr – ich hatte schon brennende Augen – fand ich eine kleine Reportage, in welcher geschrieben stand, dass vor drei Monaten eine Walliserin, die seit zwei Jahren in Muri bei Bern gelebt hatte, spurlos verschwunden war. Sie hatte bei einem Freund gelebt, war 43 Jahre alt und hatte einen 14 Jahre alten Sohn. In seinen Träumen suche er aber fast jede Nacht seine Mutter. Am nächsten Tag fand ich die Handynummer des Sohnes und telefonierte ihm. Er fragte mich sofort, ob ich von der Polizei sei. Als ich verneinte, sagte er, die Polizei behaupte, seine Mutter sei an einen unbekannten Ort ausgewandert. Das könne aber nicht stimmen, denn seine Mutter liebe ihn und hätte ihn sicher mitgenommen. Ich fragte ihn sodann nach seinem Vater. Dieser sei sehr eifersüchtig gewesen, als seine Mutter vor zwei Jahren zu ihrem Freund nach Muri gezogen sei, und habe auch die Beziehung zu ihm abgebrochen. Er habe gehört, sein Vater sei nach Äthiopien ausgewandert, um dort in einem Spital zu arbeiten, denn er sei Chirurg. Ich sagte zum Sohn, das müsse ja schlimm für ihn sein, gleich Vater und Mutter verloren zu haben. Er bestätigte dies und ergänzte, seine Tante sei sehr bemüht, ihm ein neues Zuhause zu bieten. In seinen Träumen suche er aber fast jede Nacht seine Mutter. Oft sehe er sie abgemagert durch eine Wüste rennen. Ich empfahl ihm, beim Hausarzt zu verlangen, dass er eine Traumatherapie erhalte. So könne er lernen, seine bösen Erfahrungen besser zu verstehen und einzuordnen. Meine Befürchtungen, seine Mutter und das Skelett könnten etwas miteinander zu tun haben, behielt ich für mich. Nun kamen mir Zweifel: War der Vater wirklich nach Äthiopien gereist? Oder war das nur fingiert und in Wirklichkeit hatte er sich nach einem Mord in den Bergen versteckt? Wahrscheinlich würde mich die Polizei für verrückt halten, wenn ich diese Vermutung äusserte. Ich vergrösserte mein Foto vom dunklen Felsen. Da schien tatsächlich eine vermummte, schwarze Gestalt zu stehen. Oder war es ein abgestorbener Baum, der wie eine menschliche Gestalt aussah? Ich müsste die Felswand mit einem guten Feldstecher absuchen. Oder war das zu gefährlich? Ich bat meinen Freund Paolo, mitzukommen. Oder sollte ich alles der Polizei überlassen? Vielleicht war es ja für den Sohn schlimmer, die Wahrheit zu erfahren, als im Ungewissen zu bleiben. Oder hatten gar die beiden Fälle gar nichts miteinander zu tun und mit mir war die Fantasie durchgebrannt? Ich wusste es nicht. Trotzdem musste ich herausfinden, was geschehen war. Vielleicht auch nur für mich! Am nächsten Tag ging ich mit Paolo hin. Es gab keinen Schatten oder Baum an besagter Stelle. Mich schauderte: Es hatte damals also doch ein Mensch dort oben gestanden. Ich fotografierte das Nichts. Ein Rascheln und Knacken im Gebüsch erschreckte uns. Wir zückten sofort unsere Stellmesser und spähten ins Gebüsch. Etwas verschwand auf der andern Seite. War es ein Reh gewesen? Immer diese Geheimnisse. Ich fragte Paolo, was er vom Namen «Butterfly» halte, der als Kopfersatz gedient habe. Er meinte, es könnte ja ein Kosename der Frau gewesen sein. Oder ein Symbol dafür, dass sie wahllos wie ein Schmetterling von einem Mann zum andern geflogen war. Denken Sie, ich sei auf der richtigen Spur? Oder könnte etwas ganz anderes viel sichtiger sein? Fortsetzung folgt… Das war der zweite Teil eines haarsträubenden Kriminalfalls vonUND Autor Jürg F. Krebs. Den ersten Teil können Sie hier nachlesen. – Wie die Geschichte weitergeht, erfahren Sie hier –
Ein sauber abgenagter Nacktwanderer? Teil 2
Was würden Sie tun, wenn Sie beim Pilzesuchen plötzlich auf ein menschliches Skelett ohne Kleider stiessen? Würden Sie an einen verunfallten Nacktwanderer denken? Der zweite Teil eines haarsträubenden Krimis von Jürg F. Krebs.