Annemarie Voss (76)
Bei prächtigstem Herbstwetter reisen wir, neunzehn ganz unterschiedliche Menschen, unter kundiger Begleitung von Gusti Pollak nach Neuchâtel. Im eigens reservierten BLS-Abteil unterhält uns Gusti während der Zugfahrt mit Geschichten, Anekdoten und Zitaten und er zeigt uns Fotos im Zusammenhang mit Dürrenmatts Arbeiten. So sind wir optimal vorbereitet auf die Begegnung mit den geschriebenen und gemalten Werken des vielseitigen Künstlers.
Eine Oase über dem Neuenburgersee
Nach kurzer Busfahrt geht es zu Fuss bergauf und alsbald befinden wir uns in einer völlig anderen Umgebung – weg von Verkehr und Hektik, umgeben von Natur und herbstlich-bunten Bäumen.
Der Spaziergang durch den botanischen Garten, der an das Dürrenmattsche Grundstück grenzt, unterstreicht den Eindruck noch. Das Vallon de l’Ermitage lädt zu Wanderungen oder auch einfach zum Innehalten und Geniessen ein. Ein idealer Ort, um weiteren Erläuterungen von Gusti zu lauschen, der amüsante Informationen zu nachbarschaftlichen Annäherungen, aber auch zu Auseinandersetzungen zum Besten gibt. Das steigert unsere Spannung und die Neugier auf das eigentliche Ziel – den Lebens- und Arbeitsort von Friedrich Dürrenmatt.
Tabea Arnold (27)
Das Centre Dürrenmatt Neuchâtel
Madeleine Betschart, ausgebildete Archäologin und Kunsthistorikern, führte uns durch die Ausstellung des CDN. Das Museum wurde vom Architekten Mario Botta, einem langjährigen Freund von Dürrenmatt, an das ehemalige Haus der Familie Dürrenmatt angebaut. Schon diese Architektur und die wunderschöne Lage lohnen einen Besuch im Centre.
Zum 100. Geburtstag von Dürrenmatt macht das CDN der Öffentlichkeit neue Bereiche zugänglich und gewährt Einblick in die Häuser des Künstlers – etwa in die eindrückliche Bibliothek oder in den Arbeitsraum im später erbauten zweiten Haus der Dürrenmatts auf dem selben Gelände.
Voller Begeisterung und Leidenschaft für Dürrenmatt führte Madeleine uns durch das Innere des CDN, welches auf mehre Stockwerke verteilt ist.
Kein Licht von aussen fiel je auf Dürrenmatts Bilder. Bilder? Ja, auch ich bin erstaunt, denn in meiner Schulzeit hatte ich wie die meisten Kontakt mit den Büchern und Theaterstücken von Dürrenmatt. «Der Besuch der alten Dame», «Die Physiker», «Das Versprechen» oder «Der Richter und sein Henker» lernte ich in der Schule kennen. Mit seinen Theaterstücken und Romanen ist Friedrich Dürrenmatt (1921–1990) weltberühmt geworden. Zusätzlich malte und zeichnet er zeitlebens mit grosser Leidenschaft.
«Meine Freiheit als Künstler besteht darin,
Friedrich Dürrenmatt
dass ich mit der Welt spielen kann.»
Im Museum werden Tuschezeichnungen, Collagen und Bilder mit Gouache-Farben von Friedrich Dürrenmatt in Verbindung mit seinem literarischen Werk gezeigt. Die Werke sind zum Teil üppig-bunt, voll von Details, manche wirken chaotisch, alle sind kraftvoll.
Zusammenprall zweier Eisenbahnzüge
Ein Bild ist so absonderlich und doch passt es in die Ausstellung, die sich sehr facettenreich darstellt. Dieses Bild enthielt enthält wiederkehrende Sujets von Dürrenmatts Werken: Züge, Gewalt, Religion und Politik.
In einer Schlucht auf einer Brücke prallen zwei mit Passagieren überfüllte Eisenbahnzüge in voller Fahrt aufeinander; ein jeder aus einem Tunnel schiessend, ins Freie und ins Verderben rasend, stürzen sie auf eine weitere, tiefer gelegene Brücke, über die sich ein kommunistischer Umzug wälzt. Am Ende stürzen die Brücken, Eisenbahnzüge, Passagiere und Kommunisten auf eine Wallfahrtskirche, die sich auf dem Grund der Schlucht befindet und die ihrerseits im Zusammenbrechen unzählige Pilger unter sich begräbt, während oben, über der Schlucht, im blauen Frühlingshimmel die Sonne mit einer zweiten Sonne zusammenkracht, den allgemeinen Untergang der Erde und des ganzen Planetensystems einleitend.
«Ich male aus dem gleichen Grund, wie ich schreibe:
Friedrich Dürrenmatt
weil ich denke.»
Dürrenmatt für alle Generationen
Gusti Pollak, der «kultouristische» Reisebegleiter, bestätigt am Ende der Reise – alle BesucherInnen, ob alt oder jung, machten bisher ihre eigenen Erfahrungen mit Dürrenmatt. Während der Anreise und im Centre verbinden sich diese mit ganz neuen Eindrücken und erschaffen so ein umfassenderes Dürrenmatt-Bild – Dürrenmatt als schreibender und als gestaltender Künstler, aber auch als Mensch in seinem Lebensumfeld. So entstehen spannende und originelle Gespräche unter den BesucherInnen. Gusti freut sich, dass die «Reise zu Dürrenmatt», zuerst lediglich als Aktion zum Jubiläumsjahr geplant, nun ins Dauerangebot des Centre überführt und ab Frühjahr 2022 wieder angeboten wird.
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