
Anita Bucher: Bereits als Schulkind habe ich gerne kleine Geschichten geschrieben und dabei meine Fantasie walten lassen. Neben dem Lesen bereitete mir so auch das Schreiben Spass und ich beschäftigte mich gerne damit. Auch bei den Schulaufsätzen war ich nie um ein Thema verlegen. Wann habt ihr mit Schreiben begonnen?
Jürg Krebs: Mein erster Deutschlehrer in der Sekundarschule wollte mich in die Primarschule zurückversetzen, weil ich schlecht schrieb. Das war für meine Mutter, die in ihrer Freizeit Gedichte und Geschichten schrieb, enttäuschend. Sie einigte sich mit dem Lehrer, dass sie mit mir üben werde, wenn er mir eine genügende Note gebe. Daher musste ich in der Stadtbibliothek Kinderbücher holen, lesen und Aufsätze darüber schreiben. Das nützte mir schnell. Ich las gerne Abenteuerbücher und schrieb bald gute Texte. Freiwillig schrieb ich allerdings erst als Erwachsener Gedanken auf, die mich beschäftigten. Wie und wann hast du zu schreiben begonnen, Manuela?
«Schreiben wurde für mich ein wichtiges Medium, um mit anderen in Kontakt zu treten – aber auch mit mir selbst.»
Manuela Bamert
Manuela Bamert: Ich habe wie Anita bereits in der Grundschule Kurzgeschichten geschrieben und habe mich immer gefreut, wenn ich diese in der Klasse vorlesen durfte. Auch Schulaufsätze mochte ich immer sehr. Ich weiss nicht genau, woher meine Passion fürs Schreiben kommt. Meine Eltern schreiben beide nicht, aber sie haben mir immer Geschichten vorgelesen, was ich geliebt habe. Ich schreibe immernoch – oder besser gesagt – wieder, zum ersten Mal allerdings eine etwas längere Geschichte. Wie hat sich bei dir die Leidenschaft zum Schreiben weiterentwickelt, Anita – wie oder was schreibst du heute besonders gerne?
Anita Bucher: Vorträge, die wir später in der Schule verfassen mussten, bereitete ich zwar gerne vor, hingegen das Vortragen war für mich eine Qual, da ich schüchtern war. Nach der Schule gab es eine längere Phase, in der ich nicht mehr schrieb (ausser Briefe), da mir die Zeit als alleinstehende Mutter mit Job fehlte. Meine Tochter ging in den Kindergarten, als wir von Chur nach Thun zu meinem Partner zogen. Da fing das Schreiben erneut an. Meine Geschichten haben immer viel mit selbst Erlebtem zu tun. Ebenso dient mir das Schreiben zum Verarbeiten belastender Erlebnisse, wie zum Beispiel die Krankheit und der Tod meiner jüngsten Schwester. Ein weiterer Grund fürs Schreiben ist, wenn eine wichtige Entscheidung ansteht. So gewinne ich Klarheit. Gerne schreibe ich seit einigen Jahren für dieses Magazin auch mit anderen zusammen. Wie sieht das im Weiteren bei euch aus?
«Schreiben ist spannend. Zum Beispiel eine Geschichte erfinden, in welcher Personen so handeln, wie ich es nie würde. Das erweitert meine Lebensmöglichkeiten.»
Jürg Krebs
Jürg Krebs: Schreiben ist spannend. Zum Beispiel eine Geschichte erfinden, in welcher Personen so handeln, wie ich es nie würde. Das erweitert meine Lebensmöglichkeiten. Oder Ideen aus einem Buch aufnehmen und weiterdenken erhellt meinen Geist. Bilder können mich auch zum Schreiben anregen, weil sie viele Informationen enthalten. In einer Schreibgruppe schreiben wir jeden Monat zu einem vorgegebenen Thema; überraschenderweise wird jede Geschichte anders. Das ist doch wunderbar!
Manuela Bamert: Mir macht es Freude, unterschiedliche Schreibstile auszuprobieren. Im Germanistikstudium und meiner letzten Anstellung war das wissenschaftliche Schreiben sehr zentral, inzwischen bewege ich mich immer mehr in eine kreativere und intuitivere Richtung. Schreiben wurde für mich ein wichtiges Medium, um mit anderen in Kontakt zu treten (so wie wir das gerade machen), aber auch mit mir selbst. Ähnlich wie dir, Anita, hilft auch mir das Schreiben sehr dabei, Klarheit zu finden und Erlebtes zu verarbeiten. Ganz besonders schön finde ich es, wenn ich mich mit dem Geschriebenen selber überrasche. Wie geht es euch damit? Gab es einen Moment, in dem euch ein Text oder eine Geschichte, die ihr geschrieben habt, besonders überrascht oder bewegt hat?
«Meine Geschichten haben immer viel mit selbst Erlebtem zu tun. Ebenso dient mir das Schreiben zum Verarbeiten belastender Erlebnisse […] So gewinne ich Klarheit.»
Anita Bucher
Anita Bucher: Ich werde am ehesten von Geschichten überrascht, bei welchen noch jemand mitschreibt. Habe ich anfangs eine Vorstellung vom Inhalt der Geschichte, so nimmt deren Verlauf jedes Mal wieder eine andere Wendung, wenn die andere Person weiterschreibt. So bin ich gefordert, mit neuen Ideen den Faden der Geschichte weiterzuspinnen. Das Endprodukt entspricht jeweils kaum mehr der Erzählung, die ich bei Beginn im Sinne hatte. Wenn ich alleine eine Geschichte schreibe, kann es auch vorkommen, dass ich während dem Schreiben von vorgefassten Ideen abkomme und zum Beispiel den Schluss neu erfinde.
Jürg Krebs: Kann das Schreiben auch riskant sein? Meine Texte sind manchmal nicht so leicht verständlich, wie ich es mir vorstellte. Oder meine Geschichte provoziert Leser:innen. Die Redaktion kann Texte kürzen oder sprachlich verbessern. Weil die Texte auch in Sozialen Medien veröffentlicht werden, könnte es heftige Reaktionen geben – was ich allerdings noch nie erlebt habe. Das Schreiben für UND ist also kaum gefährlich. Versuch es doch auch einmal! Nötigenfalls hilft man sich gegenseitig.
Manuela Bamert: Ich finde es faszinierend, wie das Schreiben uns alle immer wieder herausfordert – sei es, weil eine Geschichte unerwartet einen anderen Verlauf nimmt, oder weil wir mit unseren Texten auf unerwartete Reaktionen stossen. Vielleicht liegt genau darin der Reiz: Schreiben ist nie statisch. Es entwickelt sich, verändert sich und überrascht uns – sowohl im Prozess als auch in der Wirkung. Ja, vielleicht birgt Schreiben auch ein gewisses Risiko. Doch vielleicht ist es auch gerade das, was es so wertvoll macht: sich mit eigenen Gedanken hinauszuwagen, neue Perspektiven zu entdecken – besonders in einer Gemeinschaft, die inspiriert und unterstützt.