
Lieber Max, kannst du dich unseren LeserInnen kurz vorstellen?
Ich bin 26 Jahre alt und habe vor Kurzem das Kompositionsstudium in meiner Heimatstadt München abgeschlossen. Aktuell studiere ich an der Hochschule für Musik und Theater Rostock Dirigieren und Korrepetition.
Du lebst am Meer. Wie gehst du künstlerisch mit dem Element Wasser um?
Ich denke, dass es gewisse Phänomene gibt, die auf den Menschen faszinierend wirken. Dazu gehören das Meer, die Berge, gewisse Landschaften. Das Wasser ist ein besonderes Faszinosum, auch durch seine vielen Erscheinungsformen. Das macht es musikalisch wahnsinnig interessant. Wasser ist als Inspiration über Jahrhunderte wichtig gewesen. Ich habe das grosse Glück, seit Kurzem in Rostock am Meer zu leben. Bevor ich umgezogen bin, sagte eine griechische Kollegin zu mir: «Das ist super, weil das Meer jeden Tag pure Inspiration ist.»
Und, ist das so?
Wenn ich mit meinem Fahrrad zur Hochschule am Hafen entlangfahre, strahlt das Wasser eine Ruhe, eine Kraft und eine Unendlichkeit aus, die sehr berührend ist. Ich denke, dass Menschen schon immer so gefühlt haben. Römer oder Griechen waren damals bestimmt nicht weniger beeindruckt als ich heute am Stadthafen.

Wie geht das Komponieren mit Wasser?
Das ist sehr komplex, ich weiss es auch nicht (Max lacht). Es ist bei mir nie so, dass ich irgendwo bin und mir die Musik zufällt. Es gibt Komponisten, die so funktionieren. Alle meine KollegInnen arbeiten vollkommen unterschiedlich. Aber wenn ich vor Wasser stehe, finde ich die Struktur am beeindruckendsten. Ich denke viel in musikalischen Strukturen – wie es fliesst, steht, schwappt. Ich höre dabei weniger Musik, sondern musikalische Abläufe, die ich später auf das Notenpapier übersetze. Ich nehme auch Partituren sehr optisch wahr.
«Ich denke viel in musikalischen Strukturen –
Max Zimmermann
wie es fliesst, steht, schwappt.»
Kannst du das näher erklären?
Die Harmonie ist im Kopf, die Melodie ist im Stift und alles funktioniert über ein Blatt Papier. Ich sitze also an meinem Schreibtisch und überlege, was ich brauche. Einen Klang, der in der Mitte stark ist, der nach oben und unten ausfranst, oder will ich etwas, das eine Weite im Klang eröffnet? Ist der Klang gleichmässig oder ungleichmässig aufgebaut?
Du siehst also den grossen Rahmen und weniger die Details, aus denen sich
das Stück zusammensetzt?
In gewisser Weise ja. Wenn ich aber überlege, was ist ein weicher oder harter Klang, wie sind die Intervalle, wie wird das musikalisch realisiert, dann stelle ich diese Verbindung schon her. Wenn zum Beispiel eine Welle auf den Sand schwappt, dann höre ich, ob das Piano, Forte, ausgeglichen oder brutal sein sollte. Melodien oder Akkordstrukturen höre ich auch hier nicht. Zuhörer haben meine Stücke schon als dunkelgrün beschrieben oder dass sie nach Zitrone schmecken.
Siehst du das auch so?
Nein, mir geht es immer darum, Menschen zu berühren. Eine kleine Anekdote: Nach der Uraufführung meines Stückes «Halluzinationen» stand ich an der Theaterbar. Eine Frau sagte zu mir: «Das Bier geht auf mich. Ich weiss nicht, ob mir ihr Stück gefallen hat. Aber ich werde zwei bis drei Wochen darüber nachdenken.» Für mich war das wie ein Ritterschlag. Denn es geht im Endeffekt überhaupt nicht darum, zu gefallen, sondern zu bewegen. Das ist alles, was ich mit meiner Musik will.
Du hast letztes Jahr für mich das Stück «Regenflucht» komponiert.
Wie bist du vorgegangen?

Bild: Ann-Kathrin Rauh
Zuerst bin ich auf Felicitas Pfaus Text über Regentropfen gestossen. Ich liebe Lieder und Musiktheater ganz besonders. Ein grosses Feld waren Wassermetaphern. Die lassen sich mit einem Streichquartett super darstellen. Wie klingen Regentropfen? Werden die Saiten als Pizzicato gezupft oder plätschern sie ohne wirklichen Puls dahin? Für mich war auch die Unregelmässigkeit des Regens wichtig. Das Stück entstand, indem ich die Gesangslinie alleine weiterschrieb und sie dann mit Tönen auffüllte.
Das erinnert an Filmvertonung. Hier komponiert man auch eine Geräuschkulisse.
Das stimmt vollkommen. Ich habe mich nie so wirklich begeistern können, Filmmusik zu schreiben. Vielleicht auch, weil ich gerne noch freier bin als FilmkomponistInnen, die in ihrem Handlungsspielraum oft stark eingeschränkt sind. Aber im Grund ist es egal, um welches Stück es geht – Bach, Beethoven Stockhausen oder eine Jazzimprovisation – 4 Stunden oder 19 Sekunden: Jedes Stück erzählt eine Geschichte. Diese Geschichte kann auch abstrakt sein, aber sie hat eine Entwicklung. Das ist allein schon wichtig, wenn ich mir überlege, wie ein Stück endet. Bei Texten ist das meist klar, aber beim Komponieren überlege ich mir auch einen Spannungsbogen, damit ich weiss, wann ein Ende kommen muss.
«Wie klingen Regentropfen? Werden die Saiten
Max Zimmermann
als Pizzicato gezupft oder plätschern sie ohne wirklichen Puls dahin?»
Setzt du dich in deiner Arbeit mit gesellschaftskritischen Themen auseinander,
wie zum Beispiel mit der ungleichmässigen Wasserverteilung?
Ich habe noch kein Stück über ungleichmässige Wasserverteilung auf der Welt geschrieben, nein (Max grinst). Allerdings wurde letzten Frühling meine Rockoper «Der Schimmelreiter» uraufgeführt, bei dem am Ende ein ganzes Dorf ertrinkt. Hauke Haien scheitert in Theodor Storms Schimmelreiter als grosser Aufklärer. Er will die Gesellschaft vor dem Aberglauben befreien und sie voranbringen, was ihm aber nicht gelingt. Am Ende bricht der Deich und das Wasser verschlingt das ganze Dorf. Das Wasser bekommt also eine spezifische Bedeutung in einem hochpolitischen Stück.

Und wie hast du diese Wassergewalt musikalisch übersetzt?
Wenn der Deich bricht, ist es nicht so schwierig. Das ist einfach ein Riesengetöse, was sich mit einer Band gut umsetzen lässt. Schwieriger war es, die Stimmung des Dorfes an der Nordsee einzufangen, dass diese Weite und Langsamkeit erklingen und eine Weitsicht vermuten lässt, die am Ende der Geschichte doch niemand mitbringt.
Eine ganz andere Umsetzung bzw. Assoziation zum Thema Wasser sind Schallwellen. Hast du da auch Erfahrung?
Mit dem International Composers und Improvisers Ensemble München haben wir Stücke gespielt, die aufgezeichnete Wellenbewegungen darstellten, eine Art visualisierte Melodielinien also. Jeder hatte beim Konzert diese Linien auf dem Pult und hat seine Welle gespielt. Daraus ist eine grosse gemeinsame Welle entstanden.

Bild: Max Zimmermann
Das sind ganz unterschiedliche Arten, zu komponieren. Würdest du sagen,
du hast bereits deinen Stil gefunden?
Keine Ahnung. Bestimmt mehr als vor dem Studium. Aber ich weiss nicht, wie es weitergehen wird. Genau das ist das Schöne. Ich will nicht immer gleich schreiben. Dennoch ist es gut, wenn MusikerInnen mir sagen, dass sowohl das Streichtrio als auch die Rockoper nach mir klingen. Das bedeutet, dass es, abgesehen von den musikalischen Mitteln, die bei beiden Gattungen ganz unterschiedlich sind, in meinen Formen eine Beständigkeit gibt.
Arbeitest du aktuell an einem Werk, das von Wasser beeinflusst ist?
Ja, tatsächlich schreibe ich für das österreichische Ensemble «Trio Tempestoso» ein Stück mit dem Titel «Aggregate». Es geht um Aggregatzustände und den Versuch, diese musikalisch darzustellen.