Annina Reusser und Heinz Gfeller
Annina: Ein weitläufiges Untergeschoss in Thun-Expo, es könnte eine Einstellhalle sein, wird von warmen Tischlampen und Kerzen erhellt, entspanntes «Rhabarberrhabarberrhabarber» schwirrt durch die Luft, Gläser klirren, Teller klappern. Die Stühle sind aus Plastik und die Servietten aus Papier, trotzdem hat die Atmosphäre etwas Gediegenes. An den Tischen sitzen die Theatergäste, sie essen Suppe und Pasta. Das Theaterstück werden sie von ihren Plätzen aus geniessen, das Glas Wein vor sich auf dem Tisch.

Ein Pfeiler versperrt mir die Sicht auf die eine Hälfte der Bühne, doch ich finde es nicht weiter schlimm – ich geniesse die Vorfreude. Kulinarisch und kulturell verwöhnt wird man hier, und erst noch von denselben Leuten: Alle, SchauspielerInnen und KellnerInnen, sind Freiwillige des Theaters Schönau Thun. Auch der Regisseur amtet als Kellner. Irgendwie sind alle gerne hier – die Theatergäste in dieser etwas besonderen Aufführung sowieso, aber auch die freiwilligen HelferInnen schweifen beschwingten Schrittes durch die Halle.
Was wird da gespielt?
Heinz: Die zentrale Figur im Stück «Haub uf em Boum», ein hoher Militär, kehrt nach längerer Abwesenheit heim und muss feststellen, dass sein Nachwuchs, Sohn und Tochter, vom graden Weg abgekommen ist: Die Ausbildung geschmissen, zu den Hippies übergelaufen, unfreiwillig schwanger geworden – was sie mit modernen Ideen verbrämen. Das ausgeflippte Au-pair-Mädchen gesteht gleich selber ein, wie haltlos die junge Generation ist.

Der Vater zieht sich daraufhin aus dem Familienleben zurück. Er will die angebliche Rebellion der Jungen selber ausleben; er wird dabei auf einem Baum landen – so viel zum Titel des Stückes. Während die ältere Generation, die zunächst als Opfer wirkt – namentlich die Gattin und Mutter –, zunehmend ihre Doppelmoral offenbart, werden die Jungen in die Normalität zurückgeholt. Nur der Vater nicht.
Geschrieben hat das Stück, das sich auf die freiheitsdurstigen, aufmüpfigen 60er-/70er-Jahre stützt, Peter Ustinov (1921-2004), berühmter Schauspieler, Regisseur und Autor; Brite (in England ist sein Stück angesiedelt), später auch Schweizer; als Schreiber ernsthaft und engagiert, oft aber auch humoristisch.

Diese Seite überwiegt in «Halb auf dem Baum». Es ist ein Stück, das heiter sein will, mit einer unwahrscheinlichen Handlung und überdrehten, karikierten, darum umso farbigeren Charakteren, eine Komödie mit entsprechend versöhnlicher Wendung, mit etwas Moral, aber ohne strikten Realismus – meint Heinz Gfeller.
Was die Schönau-Leute veranlasst hat, dieses Stück auszuwählen, und was sie damit angestellt haben, erklärt der eine Regisseur, Reto Stucki, im Audio-Beitrag.
Annina Reusser meint:
«Haub ufem Boum» ist ein Spagat. Ein Spagat zwischen aufeinanderprallenden Generationen und ein Spagat zwischen 1968 und 2017. Peter Ustinov machte sich zu seiner Zeit lustig über die aufkommende Hippie-Kultur und befreite Sexualität der «Jungen» einerseits, und über die Doppelmoral der «Alten» andererseits. Das Theater Schönau Thun macht sich zusätzlich lustig über Selfies und hirnloses Googeln.

Ein Stück, das vor fünfzig Jahren spielt, in die Gegenwart zu holen, ist keine leichte Aufgabe. Doch das Theater Schönau Thun hat sich ihr gestellt. Herausgekommen ist ein unterhaltsames Schau-Spiel voller Lacher und schräger, aber liebenswürdiger Figuren. Trotzdem wollen der Hippie als Protestsymbol der Jugend und das allgegenwärtige Smartphone nicht so recht zusammenpassen. Es sind zwei Zeitgeister, die aufeinanderprallen, ähnlich den beiden Generationen, die sich gegenüberstehen. Das Smartphone ist eine bekannte Reibungsfläche zwischen Jung und Alt – aber ob ihre Vorstellungen über freie oder nicht so freie Liebe tatsächlich auseinandergehen? Die «heutige Jugend» ist keine 68er. Im Gegenteil: Die Alten sind es. «Haub uf em Boum», Version 2017, hinterlässt denn auch ein Stück weit Verwirrung – welchem jugendlichen Idealismus lebt der General eigentlich nach? Der Generationenkonflikt, den Ustinov erlebt hat, lässt sich eigentlich kaum ins 2017 transponieren.
Vielleicht führt aber genau diese Vermischung dazu, dass wir über Generationen und ihre unterschiedlichen Werte zu diskutieren beginnen. Wo brennt es denn heute zwischen den Generationen? Auf welchen Baum müsste ein Familienvater heute steigen, wenn er seine Kinder verstehen möchte?
Über das Theater Schönau
Heinz: Das Theater Schönau Thun wird nächstes Jahr sein 50-Jahr-Jubiläum feiern.
Seine Spielorte waren der Reihe nach der Gemeindesaal der Kirche Schönau, dann das Kellertheater in der Oberen Hauptgasse, die Alte Oele, nun die Halle 7 von Thun-Expo.
Es ist ein markantes Beispiel für Freiwilligenarbeit! Niemand erhält eine Gage. Eine treue Gruppe von Mitwirkenden hält sich Jahr für Jahr; doch fehlt es immer wieder an SchauspielerInnen wie an HelferInnen, gerade unter den Jungen. Ein bisschen Familien-Unternehmen ist dabei: Wer heisst nicht alles Stucki, angefangen beim Präsidenten des Vereins. Diesem obliegt es auch, den unverzichtbaren Sponsoren zu danken.
Laientheater also, mit viel Herzblut, einem sympathischen Rahmen und beachtlichen schauspielerischen Leistungen aufwartend.
Weitere Aufführungen ab 10. November, bis 2. Dezember; siehe www.theater-schoenau-thun.ch