Generationentalk zum Nachschauen und Nachhören
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Andrea Schär (51) ist selbstständige Archäologin und Forscherin am Institut für Archäologische Wissenschaften der Universität Bern. In ihrem Beruf macht sie das Meiste was sie findet kaputt. Joël Luc Cachelin (41) ist promovierter Betriebswirt und berät Unternehmen in Zukunftsfragen. Er erforscht die Zukunft und befindet diese für weniger düster als manch andere.
Vieles wissen wir nicht
Für beide ist ein erster elementarer Grundstein ihrer Arbeit, mit dem Nichtwissen umzugehen. Für die Forschung der Vergangenheit als auch für die der Zukunft sind Warum-Fragen grundlegend. Diese sind für Andrea Schär beispielsweise warum der Standort eines Dorfes an diesem und nicht an jenem Ort ist.
Auch Joël Luc Cachelin baut gerne Ketten in die Vergangenheit, um den Anfang einer Entwicklung nachvollziehen zu können. Daher interessiert er sich für die Geschichte der Technologie. Mit der Frage nach dem Warum geraten jedoch beide an ihre Grenzen, da wir weder über die Vergangenheit, noch über die Zukunft alles herausfinden können. Verschiedene Thesen, Gründe und Annahmen vermischen und addieren sich und die Antwort ist nicht mehr klar ersichtlich: Wir müssen mit dem Nichtwissen leben.
Erleben wir gerade eine Zeitenwende?
Die Geschichte ist unterteilt in Epochen und Brüche, Ereignisse werden chronologisch eingeordnet und alles ist ordentlich sortiert. Auch jetzt wird wieder von einer Zeitenwende geredet. Diese soll mit dem neuen Krieg in Europa eingeläutet worden sein. Joel Luc Cachelin erkennt jedoch noch viele Kontinuitäten mit dem 19. Jahrhundert: «Wir sind eher im 19. Jahrhundert, weil wir immer noch dasselbe Ernährungssystem haben, dasselbe Energiesystem, dieselbe Stadtentwicklung.»
Andrea Schär erklärt, dass es in der Geschichte oft nicht diesen einen Bruch, sondern verschiedene Parallelismen, also verschiedene Gesellschaften in verschiedenen Entwicklungen, gibt. Ein Beispiel ist für sie die Neolithisierung. Es gibt nicht diesen einen Punkt, an dem die Menschen plötzlich alle sesshaft geworden sind. Die Neolithisierung ist ein Prozeß, der sich während eines längeren Zeitraumes entwickelt hat und nicht alle Völker im selben Moment geprägt hat.
Die Beiden stellen jedoch fest, dass unsere Gegenwart von bestimmten Merkmalen geprägt ist. Zum Beispiel das schnelle Tempo der Veränderungen, aber auch der Zugang zum Wissen. Noch nie zuvor ist eine so grosse Menge an Wissen so vielen Menschen zugänglich gewesen. Dies birgt natürlich auch Probleme wie beispielsweise die Privatisierung des Wissens, Desinformationen und die Aufgabe, das Wissen allen Generationen zugänglich zu machen.
Der verhängnisvolle Blick in die Zukunft
Wir befinden uns im Anthropozän, also dem Zeitalter, in dem der Mensch einen so grossen Einfluss auf die Erde hat, dass er als einer der wichtigsten geologischen, biologischen und atmosphärischen Faktoren gezählt werden kann. Dabei ist klar, dass der Mensch irgendeinmal an planetarische Grenzen stossen wird, denn die Ressourcen der Erde sind begrenzt. Deshalb stellt Joël Luc Cachelin sich die Frage, ob nicht auch das Ende des Anthropozäns schon in Sicht ist.
Ihm ist jedoch auch bewusst, dass ein zu düsterer Blick in die Zukunft unser Handeln blockieren kann. Oder dass ein zu weiter Blick in die Zukunft dazu führen kann, die Gegenwart zu vergessen. Hierbei spielt er auf die Longtermisten im Silikon Valley an, eine Gruppe von Superreichen rund um Elon Musk, die sich beispielsweise fragen, wie fremde Planeten besiedelt werden könnten.
Panta rhei: alles fliesst – auch die Zeit
Die Zeit ist ein Fluss, sie vergeht und sie steht gewissermassen über uns, denn wir sind ihr machtlos ausgeliefert. Andrea Schär sieht einen Reiz in dem Endlichen. Sie erzählt von einer Führung über den Fund eines Dinosauriers, die sie zurück auf den Boden geholt hat. Dort wurde ihr erklärt, dass es in der Geschichte der Dinosaurier eine Datierungslücke von 24 Millionen Jahren gibt. In der Archäologie, die sich mit der menschlichen Dimension befasst, sind jedoch schon 200 Jahre eine wahnsinnig grosse Lücke.
Joël Luc Cachelin findet den Wandel und diesen unendlichen Fluss der Zeit spannend. Am liebsten würde er über hunderte von Jahren leben, um all die Veränderungen mitzuerleben. Er beschreibt das Leben wie eine Serie, die so spannend sei, dass er sie einfach nicht abstellen wolle. Auf die Frage was nach den Menschen kommt finden beide keine Antwort.
Der Fluss der Zeit verbindet die Vergangenheit mit der Zukunft. Joël Luc Cachelins Thesen über die Zukunft entstehen, da er sich mit den Spannungsfeldern unserer Gegenwart beschäftigt. Andrea gräbt tausende von Jahren alte Funde aus, damit nachfolgende Generationen diese wertschätzen, erforschen und weitertragen können. Die Erforschung der Vergangenheit hat Folgen für die Zukunft, während die Erforschung der Zukunft ohne die Kenntnis der Vergangenheit nicht möglich ist. Schlussendlich ist sowohl die Erforschung der Vergangenheit, als auch die Erforschung der Zukunft zum grossen Teil ein Spiegel unserer Gegenwart.
Was ist der Generationentalk?
Zwei Generationen – ein Thema: Das ist der Generationentalk von UND Generationentandem. Jeden Monat diskutieren Jung und Alt miteinander über brisante Themen aus Gesellschaft und Politik. Der Talk dauert zwischen 30 und 45 Minuten. Danach hat das Publikum die Gelegenheit, sich an der Diskussion zu beteiligen. Die Veranstaltung wird vom generationendurchmischten Redaktionsteam professionell aufgezeichnet und fotografisch dokumentiert. Alle Talks sind dann hier als Podcast nachzuhören.
Redaktion und Moderation: Luc Marolf (18)