Sam kocht auf dem florierenden Landgasthof seines Vaters. An einem schönen Samstag kommen zwölf Personen dahin für ein Mittagessen. Sie feiern einen ersten Preis als bestes Jungunternehmen der Schweiz und bestellen für alle ein vegetarisches Menu. «Das ist meine Chance, jungen Leuten ein modernes Mahl zu kredenzen», denkt Sam.
Er bereitet farblich schön assortierte Salate vor, eine vortreffliche Gemüseplatte, zehn verschiedene Käsesorten und die besten Brote. Als «Amuse-Bouche» kreiert er eine Gemüsemousse verfeinert mit Kräutern und Honig. Die gutgelaunten Gäste bestellen Champagner und geniessen die Mousse. Schon nach den Salaten klagen einzelne über Bauchschmerzen. Jemand fragt, was in der Mousse gewesen sei. Sam zählt die Zutaten auf. «Und alles war gekocht?», fragt eine Frau. «Nein, alles war so frisch, dass ich es nur pürierte.» «Auch die Bohnen?», schreit sie. «Ja», gesteht Sam unsicher. «Ungekochte Bohnen sind giftig, wir müssen alle ins Spital!»
Sie bestellen Taxis und eine Ambulanz. Allen wird der Magen ausgepumpt. Sam hat im Eifer vergessen, dass Bohnen nur blanchiert essbar sind. «Die Journalistin der Gruppe wird sicher alles dramatisiert in die Medien bringen, und mein jähzorniger Vater wird mich zum Teufel jagen! Da gehe ich lieber selbst. Soll der Lehrling für die Gäste kochen», denkt Sam.
Flucht nach Paris
Er packt zwei Koffer und fährt mit seinem VW-Golf Richtung Paris. «Da wird mich sicher niemand suchen.» Dass er nur Schulfranzösisch sprechen kann, kommt ihm erst an der Grenze in den Sinn. In der Gegend von Montmartre sucht Sam eine günstige Unterkunft. Das erweist sich als schwieriger als gedacht.
Endlich findet er das Hotel «Himmel». Mittlerweile ist es Abend geworden und Sams Magen knurrt vor Hunger. Beim Diner greift er herzhaft zu und lässt sich die französische Küche schmecken. Er überlegt: «Wie geht es wohl meinen Gästen in der Schweiz? Hoffentlich wird der Skandal nicht zu gross und mein Vater findet rasch einen Ersatz für mich.»
Begegnung mit Frau Michel
Seine Gedanken drehen sich im Kreis. Es dämmert bereits, als er in einen unruhigen Schlaf fällt, und er erwacht erst um zehn Uhr. Schüchtern fragt er, ob er noch Frühstück bekommen könne. Die Besitzerin, Frau Michel, bewirtet ihn persönlich und er bemerkt erst heute, wie gut ihm diese Frau gefällt. Sie ist schlank, gross, attraktiv und trägt lange schwarze Haare. Am besten gefällt ihm
ihr herzhaftes Lachen. «Wenn ich in Paris bleiben will, muss ich rasch einen Job finden. Mein Erspartes wird schnell aufgebraucht sein. Vielleicht muss ich als Küchenhilfe anheuern, bis ich besser französisch spreche, und mein Traum, Spitzenkoch zu werden, rückt in weite Ferne», denkt Sam resigniert.
Frau Michel empfiehlt ihm, sich auf dem Lebensmittelmarkt eine Stelle als Verkäufer zu suchen. Da werde er den ganzen Tag französisch hören und sich verständigen müssen. Er findet Arbeit an einem grossen Marktstand und wird dort eingeführt, wie er Fisch, Meeresfrüchte und Fleisch verkaufen soll. Das Verhalten der Kund:innen ist verschieden: Manchmal sind sie charmant, aber gelegentlich auch frustrierend – zum Beispiel als ein gut gekleideter Mann plötzlich über die Theke greift, ein Rindsfilet packt und wegrennt. Sam läuft dem Mann nach und hindert ihn daran, in sein Auto zu steigen. Der Kerl tritt gegen Sams Unterschenkel. Sam nützt das Ungleichgewicht des Diebes aus, legt ihn auf den Boden, nimmt ihm das Filet aus der Hand und rennt zurück. Die Verkaufskollegen klatschen. Sam grinst verschmitzt und reinigt das Filet. Schon eine Woche später findet Sam bei einem Kollegen von Frau Michel, einem renommierten Koch für vegetarische und vegane Küche, Arbeit.
Endlich antwortet er auch seiner Mutter auf ihre vielen SMS und beruhigt sie mit: «Entschuldige mich bitte. Ich lebe gut …»
«Wie seltsam das Leben mit mir spielt: Aus einem Fehler heraus hat sich für mich eine super Zukunftsperspektive ergeben. Und eine wunderbare Frau, die ich von Herzen liebe, habe ich Glückspilz auch gefunden!»
Sam
Neue Chance und neue Liebe
Zum Dank für ihre Hilfe bei der Stellensuche kocht Sam für Frau Michel. Er darf ihre Küche benutzen und beeindruckt sie mit einem schmackhaften, ausgeklügelten Viergang-Menü. Frau Michel greift herzhaft zu und geniesst die Mahlzeit sichtlich. Sie bietet Sam das Du an, was seine Hoffnung auf eine nähere Beziehung zu Lisa Michel wachsen lässt. Beide sitzen bis nach Mitternacht zusammen, trinken Wein und erzählen sich gegenseitig aus ihrem Leben. Er bringt sie noch zu ihrer Wohnungstüre und beim Abschied neigt sie ihm ihren Kopf entgegen, so dass er es wagt sie zu küssen. Nach einem leidenschaftlichen zweiten Kuss geht er wie auf Wolke sieben auf sein Zimmer. Dass Lisa Michel seine Gefühle tatsächlich erwidert, hätte er sich heute Mittag noch nicht zu träumen gewagt. Und jetzt? Ob sie wohl eine gemeinsame Zukunft haben werden?
Am nächsten Morgen begrüsst Lisa Sam mit einem strahlenden Lächeln und sie verabreden, an ihrem freien Abend gemeinsam auszugehen. In einem gemütlichen Restaurant, in dem fast nur Einheimische verkehren, beginnen die beiden ganz selbstverständlich Zukunftspläne zu schmieden, während sie einen feinen Salat und eine schmackhafte Quiche geniessen, dazu einen ausgezeichneten Rotwein trinken.
«In zwei Jahren werde ich genug gespart haben, um in der Schweiz ein kleines Restaurant zu übernehmen», erzählt Lisa. «Ich könnte mich ums Büro und den Service kümmern und du wärst in der Küche dein eigener Chef. Was hältst du davon?» Fragend schaut sie Sam an, der vor Freude errötet und aufgeregt ihrem Plan zustimmt. «Bis dahin kann ich auch Geld zusammensparen sowie mein Kochbuch ‚Herzhaft vegetarisch‘ schreiben », meint er glücklich.
Sam denkt: «Wie seltsam das Leben mit mir spielt: Aus einem Fehler heraus hat sich für mich eine super Zukunftsperspektive ergeben. Und eine wunderbare Frau, die ich von ganzem Herzen liebe, habe ich Glückspilz auch gefunden.»