Schatten: Du spielst manchmal andern etwas vor!
Licht: Klar doch, ich spiel ja auch mit farbigem Licht und trete in Lichtspieltheatern auf. Du hingegen siehst manchmal alles zu düster.
Schatten: Nein, ich sehe alles viel differenzierter als du. Wenn du zum Beispiel im Theater die Primadonna mit Rampenlicht anstrahlst, obschon sie gerade ihren Gatten vergiften will, werfe ich mich als langer, bedrohlicher Schatten über ihn, damit er gewarnt ist.
Licht: Und er merkt es trotzdem nicht, der Trottel.
Schatten: Wenn du Neuverliebte ausspionierst, lege ich sanfte, farbige Schatten über sie – zu ihrem Schutz.
Licht: Du bist altmodisch. Früher suchten Verliebte Schattenplätze. Heute bevorzugen sie das Scheinwerferlicht und knipsen Selfies oder drehen Videos. Hingegen werden die meisten Verbrechen im dunkeln Schatten verübt.
Schatten: Ich bin nur dunkel, wenn du zu wenig hell leuchtest. Insofern bin ich von dir abhängig. Aber du bist ebenso von mir abhängig, denn ohne Schatten wäre alles nur diffus hell, also ganz langweilig und niemand würde dich bemerken.
Licht: Bedenke jedoch: Dank mir haben die Lebewesen Augen entwickelt und können sehen, was um sie herum vorgeht.
Schatten: Das mag nützlich sein, aber im Sommer übertreibst du und versengst alles. Dann sind die Lebewesen froh um mich.
Licht: Jetzt verwechselst du etwas. Die Wärmestrahlung versengt etwas, nicht ich.
Schatten: Also, schliessen wir Frieden, denn wir sind beide wichtig – sogar in der Seele der Menschen.
Licht: Dort gibt es uns allerdings mehr symbolisch. Genau betrachtet bist du immer ein Teil von mir, denn jeder Schatten ist Licht – einfach weniger helles.
Schatten: Meinetwegen. Noch genauer genommen sind wir beide Energieformen des Universums.
Licht: Aber ich bin natürlich die hellste Form. Merkst du etwas?
Schatten: Einige Philosophen denken, die höchste Form des Lichts entstehe im Menschen drin: die sogenannte Erleuchtung. Diese tritt allerdings nur ein, wenn die Seelen zuvor Schattenhaftes erlebt und überwunden hatten.