Telsche: Ich denke: «Erstaunlich viel älteres Publikum, hier gibt’s doch kein Symphoniekonzert.» Der Abend steht unter dem Thema «Beziehungen». Da kippt die erwartungsvolle Stimmung plötzlich in Entsetzen, als der Moderator auf ein Kunstwerk der Sammlung einsticht. Den Atem anhalten, denke ich, aber zum Glück ist es nur eine Kopie. Unser Entsetzen fängt er locker und witzig auf: «So nicht, meine Lieben, in diesem Haus wohnt die Kunst». Ein Anfang zum Thema «Beziehungen» ist gemacht. «Das kann ja spannend werden, wenn das so weitergeht.»
Miriam: Remo Rickenbachers Kunst, das Publikum, ob jung oder alt, ob slam-erfahren oder nicht, sofort zu packen, begeisterte auch mich von Anfang an. Vom ersten Stockwerk des wunderschönen Thunerhofes, einem ehemaligen Grand Hotel, liess sich die Szenerie bestens beobachten. Egal ob sitzend, stehend oder kniend schüttelte sich das Publikum vor Lachen, wenn Remo die Spielregeln des Kunstmuseums sowie des Poetry-Slammens erklärte. Lange blieb jedoch niemand auf seinem Platz sitzen. Nach dem ersten Input des Moderators führten die GruppenleiterInnen das Publikum zu den SlammerInnen und ihren selbst ausgewählten Kunstwerken. Die Show konnte losgehen! Es wurde geslammt über Klima-Karten und Kindheitserinnerungen. Telsche, für dich war es dein erster Poetry Slam. Hat dich dieses Format angesprochen?
Telsche: Es macht Lust auf mehr! Ich mag Sprache und mag Rhythmus, hier floss schöpferische Energie unmittelbar hin und her, und Gestik unterstrich das gesprochene Wort. Der Funke beschleunigte das Verstehen schneller als beim Lesen. Allerdings bei der Dichte der Gedanken, in schnellem Tempo in nur wenigen Minuten vorgetragen, bekam ich nicht alles mit. Ich verstand bei Andreas Kesslers Kunstwerk «Ganz in Weiss» statt Küre immer «Kühe», also lief in meinem Kopf der Film: «Kühe im Nebel». Für mich war es plausibel als Antwort auf seine so witzige vorgetragene Frage: «Was ist Kunst? Eben, das, was sie mit dir macht.»
Sprache ist mächtig, kann kunstvoll und starkes individuelles Ausdrucksmittel sein: Gina Walters Flut von empfindsamen Metaphern für die Liebe sind mir geblieben: «Du bist für mich wie der letzte Löffel Tiramisu, wie der weiche Schnitt durch Papier usw.» Der Reiz des Neuen, hier knisterte es. Wie denkst du darüber?
Miriam: Für mich ist ein guter Slamtext einer, der eine gewisse Tiefe erreicht. Eine Tiefe, an die ich als Zuhörerin durch Witz, Charme und gelungene Wortspiele langsam herangeführt werde. Gregor Stähelis Halbfinaltext erreichte in meinen Augen genau diesen Tiefgang. Er slammte über Peter Pans Wunsch, für immer Kind zu bleiben. Beim Zuhören verlor ich mich in seinen Worten. Immer wieder schaute ich meine Kindergartenkollegin, die mich zum Slam begleitet hatte, melancholisch an, während vor meinem inneren Auge ein Film meiner schönsten Kindheitserinnerungen lief.
Telsche: Wir alle waren einmal Kinder, auch ich sah mich als Kind mit Zöpfen den Brummkreisel peitschen. Wir waren uns ebenso nah beim Thema Klimawandel vor einer kleinen graphischen Weltkarte, wonach bald Pinguine am Thunersee spazieren und am Nordpol Sonnenblumen blühen, oder so ähnlich. Da hatten wir beide etwas zu bedenken, ob wir wollten oder nicht. Komischerweise hat mich das Thema «Er und sie reden aneinander vorbei» nicht so beeindruckt, vielleicht, weil ich noch nach 50jähriger Ehe damit ringe. Bei Hans Jürg Zinggs Beiträgen aus seinem «Wörtersack» schwebte ich in einer Wolke aus Musik: schöne für mich fremdartige Mundart, ein Genuss. Worin lag für dich der Gewinn des Abends? Hat dich die Kombination von Kunstwerk und Poetry Slam überzeugt?
Miriam: Die Gegenüberstellung der Slams mit verschiedenen Ausstellungsstücken erleichterte das Verständnis für die beiden «Kunstwerke», die Texte und das Bild. Die oft sehr schnell gesprochenen Texte wurden visuell wunderbar unterstützt. Wenn man den Faden verlor, nach der dritten Performance noch immer an den Worten des ersten Slammers herumstudierte, holte einen ein Blick auf SlammerIn und Gemälde zurück in die Gegenwart. Nicht nur deswegen überzeugte mich diese Kombination. Durch das Zusammenspiel der zwei sehr unterschiedlichen Kunstformen, gewannen alle Betroffenen etwas dazu. Slammer und Dichter Hans Jürg Zingg bildete mit den ihn umrundenden Gemälden beinahe ein künstlerisches Ensemble. Andreas Kessler verlieh seinem erwählten «Werk ohne Titel» eine eigene Sprache. Die leeren Bilderrahmen von Gina Walters gewählter Installation füllten sich durch ihre Worte mit den verschiedensten Bildern. Auch Gregor Stäheli vermochte es, einen der Gänge des Kunstmuseums zum Leben zu erwecken, auch wenn sein doch sehr kleines Kunstwerk leicht zu übersehen war. Als ZuhörerIn gewann man durch diese einmalige Kombination im Rahmen des Art Slams unerwartet spannende Eindrücke.
Telsche: Der Abend war anregend und wirkte direkt in seiner innovativen Frische. Der Versuch, junge und alte BesucherInnen, die sonst oft etwas verloren vor Werken im Kunstmuseum stehen, zu aktivieren, ist gelungen. Sie erhielten einen Kick, die Werke mit den Augen anderer zu sehen, und gerieten dabei in einen stillen Dialog mit der Slam Poetin oder dem Poeten – eine wirklich pfiffige Idee. ☐