Um mehr über diese aussergewöhnliche Schenkung und den Verwendungszweck der Leichen zu erfahren, habe ich Nane Boemke, Leiterin der Prosektur und der Organisation Klinische Anatomie an der Universität Bern, besucht.
Der Präpariersaal: Zentrum der anatomischen Ausbildung
Nane Boemke arbeitet seit 25 Jahren für die Universität Bern und betont, dass die Präparierkurse für die Student:innen äusserst wichtig und wertvoll sind. Das bedeutet auch, dass für alle Medizinstudierenden in der Schweiz die Teilnahme an den Präparierkursen Pflicht ist. Die Kurse finden im Präpariersaal statt.
Nane Boemke: Der Präpariersaal hat mehrere Arbeitsplätze; an jedem ist ein Ganzkörper-Präparat und Präparate der Extremitäten und jeweils ein Assistent oder eine Assistentin und mehrere Studierende, denen alles über Anatomie beigebracht wird. Jeder Nerv, jede Arterie, jeder Muskel wird präpariert. Ärzt:innen müssen sich auskennen im menschlichen Körper. Wenn sie nicht wissen, wo das Herz oder die Niere liegt oder wie das arterielle System aufgebaut ist, oder wie die Nerven verlaufen und was sie versorgen, wie könnten dann Krankheiten erkannt oder Operationen durchgeführt werden?
Der Präparierkurs kann durch nichts ersetzt werden und ist für das Erlernen der Anatomie von grösster Bedeutung. Es ist wichtig für die Studierenden, einen Menschen zu berühren, ob tot oder lebendig. Es ist wichtig, die Muskulatur und die unterschiedlichen Gewebearten zu spüren und anzufassen.
Seit vielen Jahrzehnten werden in Bern Präparierkurse durchgeführt. Die Kurse dienen der Lehre der Anatomie. Es gibt aber auch klinische Kurse, dort üben zum Beispiel die Kliniker:innen aus den unterschiedlichsten Facharztbereichen verschiedene Operationszugänge. So können neue Operationstechniken geübt und neue medizinische Produkte, zum Beispiel Prothesen, getestet werden. Da kein Blut mehr fliesst, ist das Üben einfacher als am lebenden Körper. Was vom Inselspital geschätzt wird, ist die Möglichkeit, dass für die Lokalanästhesie PDA an Präparaten geübt werden kann.
Was passiert, wenn es sich Spender:innen vor ihrem Tod anders überlegen oder ihre Angehörigen keine Körperspende akzeptieren?
Nane Boemke: Nicht jede:r angemeldete Spender:in kommt am Ende zu uns ins Institut. Es gibt viele, die nie bei uns angekommen sind, obwohl sie aufgrund ihres Alters bereits verstorben sein müssten. Die letztwillige Verfügung kann widerrufen werden, oder die Angehörigen können darauf verzichten, den Tod dem Institut zu melden.
Nicht jede:r kann Körperspender:in werden. Man muss unversehrt sein, der Tod sollte vor nicht mehr als 24 Stunden eingetreten sein, man sollte weder offene Wunden aufweisen noch Organe gespendet haben. Auch muss das Institut im Besitz einer letztwilligen Verfügung sein. Starkes Übergewicht, Amputationen oder Infektionskrankheiten sind ebenfalls Gründe für eine Ablehnung. Es ist auch möglich, dass eine Leiche wegen Überbelegung nicht angenommen werden kann.
Gedenkstätte: «Mortui Prosumus Vitae»
Nane Boemke: Nachdem eine Leiche mehrere Jahre im Institut verbracht und ausgedient hat, finden eine Kremation und eine Beisetzung im Gemeinschaftsgrab des Bremgartenfriedhofs statt.
Ein genaues Datum für die Kremation können wir nicht im Voraus nennen, sie erfolgt aber meistens innerhalb von fünf Jahren.
Die Abdankungsfeier findet jedes Jahr im Mai statt; sie gedenkt der Körperspender:innen, die im vorangegangenen Jahr verstorben sind. Das organisieren die Medizinstudent:innen; die Leiter:innen des Instituts nehmen ebenfalls teil. Es findet ein Gottesdienst in der Kapelle auf dem Bremgartenfriedhof statt. Die Studierenden singen, Gedichte werden vorgelesen, Professor Valentin Djonov – der geschäftsführende Direktor des Instituts für Anatomie – spricht und bedankt sich bei den Angehörigen und den Spender:innen. Ein Apéro für die Angehörigen rundet die Gedenkfeier ab. Kerzen und Blumen geben wir – im Andenken an ihre Verstorbenen – den Angehörigen mit; diese schätzen das.